„Zur Geschichte der Juden in Bayern“ von Dr. Thea Strauß (1925)

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Auch wenn manche Leser nun möglicherweise ächzen werden „Schon wieder ein Beitrag zur bayerischen Judengeschichte“, hat die Wiedergabe gerade dieses Aufsatzes seine ganz besondere Berechtigung. Denn er enthält wesentliche Gesichtspunkte, die in den bisherigen Abhandlungen zur bayerischen Judengeschichte nicht ausreichend behandelt werden konnten, schlicht aus dem Grunde, weil deren Autoren keine Fachleute für Wirtschaft waren. Um gerade so eine Spezialistin für Volks- und Staatswissenschaften handelte es sich bei Dr. Thea Strauß, deren „Zur Geschichte der Juden in Bayern“ im Mai und Juni 1925 in der „Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung“ erstmals abgedruckt wurde…   

Von Robert Schlickewitz

Einleitend merkt die Autorin an: „Dieser Vortrag, der im jüdischen Frauenbund gehalten wurde, erhebt nicht den Anspruch neue Ergebnisse auf Grund von selbständiger Quellenforschung zu bringen. Er ist eine Zusammenfassung der neuesten Berichte über die bayer. Judengeschichte und vor allem von der jüngst erschienenen Schrift: Paul Sundheimer: Die jüdische Hochfinanz und der bayerische Staat im 18. Jahrhundert, erschienen im Finanzarchiv. Hrsg. v. Schanz. 1924 – beeinflußt.“ Solche Worte, die von Bescheidenheit und Zurückhaltung zeugen, geben einen falschen Eindruck von dem wieder, was die promovierte Volks-und Staatswissenschaftlerin Thea Strauß tatsächlich ihren Hörern oder Lesern vorlegte. Denn nahezu eine jede ihrer Aussagen belegt sie mit Stellen aus dem Besten der damals zur Verfügung stehenden Literatur und sie geht an ihr Thema nach tadelloser Wissenschaftlerart heran. 

Umso bedauerlicher ist die Tatsache, dass weder der Internetkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek noch das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher Einträge auf ihren Namen enthält und auch sonst keine weiteren Angaben zu ihrer Person zu ermitteln waren.

Auf einige Gesichtspunkte ihres Artikels soll vorweg eingegangen werden:

Heute geht man aufgrund archäologischer Funde davon aus, dass die ersten Juden in Bayern entlang der Donau und anderer Handelswege bereits in der späten Römerzeit (um 350 nach der Zeitrechnung) ansiedelten, also beträchtliche Zeit vor Ankunft des germanischen Stammes der Bajuwaren. Frau Strauß konnte dies noch nicht wissen und nimmt daher ein wesentlich späteres Erscheinen von Juden in Bayern an.

Dass die Judenverfolgungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit in Bayern im Vergleich zu anderen deutschen Regionen ganz besondere Ausmaße und Qualität erreichten, haben bereits früher an dieser Stelle wiedergegebene Autoren festgestellt. Bei der Volkswirtin/Staatswissenschaftlerin trifft man auf eine entsprechende Aussage („Nirgends aber sind dieselben so häufig und so fürchterlich als in Bayern.“) 

Dr. Strauß erwähnt antisemitische Erkenntnisse von Professor Werner Sombart bzw. zitiert aus dessen grundlegendem Werk „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ von 1911. Dieser höchst zweifelhafte Volkswirtschaftler und Soziologe (1863-1941) veröffentlichte wenig später auch noch mit „Die Zukunft der Juden“ ein ganz offen judenfeindliches Pamphlet. Sombart galt in gewissen Kreisen lange als „bedeutender Wissenschaftler“ mit besonderen Verdiensten um die Erforschung von Kapitalismus und Sozialismus. Dabei wurde nur zu gerne seine militaristisch-kriegstreiberische Polemik während des Ersten Weltkriegs, seine Affinität zum deutschen Nationalsozialismus bzw. seine tatkräftige, auch ideologische, Unterstützung für den Nationalsozialismus‘ kleingeredet oder sogar ganz übersehen. Dass sich Sombart sehr spät (1938) in seiner Schrift „Vom Menschen“ vom Nationalsozialismus wieder distanzierte, schmälert seine Mitschuld an der deutschen Katastrophe des 20. Jahrhundert nur marginal.

Ferner beruft sich die Volks-und Staatswissenschaftlerin mehrfach auf Vorarbeiten von Dr. Paul Sundheimer. Von diesem Autor veröffentlichte haGalil erst kürzlich einen Aufsatz, ebenfalls zur Geschichte der Juden in Bayern. So zitiert Dr. Strauß hier Sundheimer u. a. mit einer Stelle, die ein besonderes Licht auf die spezifisch bayerischen Verhältnisse wirft: „daß die bayr. Hofjuden zu einer ähnlichen Stellung gelangt wären, wie die spanischen Juden im Mittelalter, die dort festbesoldete Beamte waren, war ausgeschlossen. Dem stand von vorneherein die innerpolitische Konstellation, die sich in Bayern unter der Maxime des katholischen Klerus herausgebildet hatte, im Wege.“ (!)

Erfreulicherweise kennt die Autorin, anders als so mancher andere, der sich der bayerischen Judengeschichte annahm, keine falsche Scheu die ungeheure Schuld gerade der katholischen Kirche in Bayern am Hass gegenüber, und der Verfolgung von, Angehörigen der Minderheit mit deutlichen Worten zu benennen. So ist bei ihr von der „Willkür der Bischöfe“ die Rede, oder von „gesetzlichen Bestimmungen“ seitens der Kirche (und des Staates), die das Leben der Juden Repressionen unterwarfen, oder sie spricht unumwunden von „religiöse(m) Haß“, dem sich die Juden in Bayern immer wieder gegenüber sahen.

Die Währungsbezeichnung „fl.“ steht für Floren, Florin, Gulden bzw. „goldene Münze“. Es handelt sich hierbei um eine nach italienischem Vorbild geprägte deutsche Goldmünze, die seit dem 14. Jahrhundert im Rheinland, später auch in anderen Teilen Deutschlands im Umlauf war. Im Spätmittelalter war der Gulden die meistverbreitete Goldmünze. Goldgulden wurden in Bayern bis ins 19. Jh. hergestellt. Der Diebstahl weniger Gulden durch einen Angehörigen der Unterschicht konnte bereits mit der Todesstrafe belegt werden. Noch 1804 wurde in München ein siebzehnjähriger Dienstbub eines Pfarrers gehängt, weil er paar Gulden gestohlen hatte.

Verwunderlich erscheint, dass Frau Dr. Strauß, ebenso wie eine Reihe weiterer Autoren ihrer Zeit, die Emanzipation der Juden in Bayern als mit den Jahren 1849/50 für erreicht erachtet. Damals, um die Jahrhundertmitte, galt immer noch für Juden, und nur für diese, der Matrikelparagraph, der lediglich dem jeweiligen ältesten Sohn eines bayerischen Juden gestattete im Lande zu bleiben und alle seine Geschwister zur Auswanderung zwang. Die Statistiken belegen deutlich genug, dass sich die Anzahl der Juden in Bayern im 19. Jahrhundert die längste Zeit über auf einem Stand von um 50 000 hielt. Kann man unter diesen Umständen von Gleichberechtigung sprechen? – Wohl kaum. Heutige Historiker geben i. d. R. das Jahr 1871, als jenes Jahr an, in dem bayerische Juden ihren christlichen Mitbürgern vollständig rechtlich gleichgestellt waren.

„Zur Geschichte der Juden in Bayern.

‚Der Maßstab des Lebens ist die Seele, die schönste Musik der Seele ist die Güte.‘
Rom. Rolland. Joh. Christophe III, 205.

Ursprünglich, als ich dieses Referat übernahm, war es meine Absicht nachzuweisen, woher die ersten Juden, die sich in Bayern ansiedelten, eigentlich kamen. Doch bald mußte ich mir sagen, daß die Beantwortung dieser Frage schon für den reinen Historiker an den Lücken des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials scheitern muß. Mir mußte meine Aufgabe um so unvollkommener gelingen, als ich, in diesem Falle als Laie an meine Aufgaben herantretend, sowohl in der Ausdeutung der spärlichen Quellen als auch bei der Kritik der über diesen Gegenstand veröffentlichten Schriften, technisch und qualitativ behindert war. Ich mußte also meine erste Absicht fallen lassen und mich damit begnügen, in einem kurzen Durchblick durch die Geschichte der Juden in Bayern von ihrem Anfang bis zur Emanzipation ein wenn auch vielen von Ihnen bekanntes, so doch wie ich hoffe, wenigstens geschloßenes Bild der grauenvollen Zustände und bewundernswerten Kämpfe zu geben, die unsere Glaubensgenossen während langer Jahrhunderte überstanden haben.

Die Geschichte der Juden in Bayern beginnt im frühen Mittelalter. Allerdings die Märe von ihrer Seßhaftigkeit in Regensburg schon vor Christi Geburt ist eine phantastische Schöpfung aus der Zeit der Kreuzzüge. Dagegen ist der Nachweis erbracht worden, daß zur Zeit der Entstehung der leges baiuvarorum <<Gesetze der Bajuwaren>>, also etwa um das 6. und 7. Jahrhundert, noch keine jüdischen Ansiedlungen in Bayern aufzufinden waren.

Unter der Regierung der Karolinger wurden die ersten Juden in Bayern seßhaft. Dieses Herrschergeschlecht, vor allen Dingen Karl der Große, hat eine intensive Handelspolitik getrieben, was für die Richtigkeit obiger Annahme spricht. Denn der hauptsächliche Berufszweig der Juden war damals schon der Handel. Gotthelf stellt fest, daß wo uns in den Quellen das Wort ‚Jude‘ begegnet, es in Beziehung zu einem Handelsgeschäft gebraucht wird. Das liegt aber nicht im Wesen des Juden begründet, es folgt mit Naturnotwendigkeit aus den mittelalterlichen Theorien über den Zins und die Dienstverhältnisse zwischen Christen und Juden. Th. v. Aquino, Oresmius und andere Vertreter  des kanonischen Rechts gingen zur Bestimmung des angemessenen Preises aus von der sachlichen Güte der Ware, zuzüglich der Aufwendungen des Verkäufers an Kosten und Arbeit, getreu dem Grundsatz: dignus operarius mercede sua <<ein Arbeiter ist seines Lohnes wert>>. Da man unter Wucher ‚jeden Austausch verstand, wobei der eine Teil einen Mehrgewinn auf Kosten des anderen hatte‘ (Oncken), verboten die Capitularien den Klerikern  und den Laien Zinsen zu nehmen. Der Schwabenspiegel hält dieses Verbot aufrecht. Auch die Reformation des bayerischen Landrechts von 1518 bestimmt noch: ‚es soll sich jeder mit der Bezahlung des Wertes, den er hingeliehen, begnügen lassen und Keiner von dem Anderen aufschatz oder wucher nehmen.‘ Ja, das bayer. Landpot von 1516 setzte sogar fest, ‚daß auf Borg nicht höher verkauft werden dürfe als um baares Geld‘. Solche Verbote schlossen die Christen von jedem Handel, mindestens von jedem Geldgeschäft aus. Die Kirche selbst half sich durch Rentenkauf, bis man später allgemein zwischen erlaubtem Zins und unerlaubten Wucher unterschied. Bis dahin wurden nur die Geldgeschäfte vorwiegend von den Juden getrieben, auf die sich ja die Verbote nicht erstreckten. Hinzu kam, daß das Handwerk in früheren Zeiten verachtet war. Als später das Zunftwesen aufkam, wurden die Juden nicht in die Zünfte aufgenommen. Auch Ackerbau konnte der Jude nur selten treiben, weil ihm das Halten christlicher Dienstboten verboten war. Es mußten sich also die Juden auf den Handel werfen und so sich selbst, wie wir sehen werden, den Weg zu ihrem Verderben bahnen. Denn überall in Deutschland brechen aus den gleichen Gründen: Habsucht, Neid usw., Verfolgungen gegen die Juden aus. Nirgends aber sind dieselben so häufig und so fürchterlich als in Bayern.

Nach dieser Abschweifung kehre ich zu meinem Ausgangspunkt zurück. Ich habe behauptet, daß überall, wo wir in einer Quelle das Wort ‚Jude‘ finden, es im Zusammenhang mit dem Wort ‚Handelsgeschäft‘ gebraucht wird. Dann kann man wohl annehmen, daß die ersten Juden, die in Bayern zur Zeit der Karolinger auftraten, durch die intensive Handelspolitik dieses Herrschergeschlechts herangelockt worden sind. In der Tat schickte Karl der Große einen Juden als Gesandten zum Kalifen und von Karls Nachfolger, Ludwig dem Frommen, wissen wir, daß er einige Juden unter den besonderen kaiserlichen Schutz gestellt und ihnen spezielle Handelsfreiheiten eingeräumt hat. Es wurden also die Juden erst durch den mit dem allgemeinen Aufkommen der Tausch-Geldwirtschaft sich vollziehenden Wandel der Wirtschaft zum Agrar-Manufakturstaat in das Land gelockt. Diese empirischen Daten sind ein Glied jener Kette von Beweisen, die die Behauptung Sombarts, daß die Juden überall den Frühkapitalismus zur Entstehung brachten, ad absurdum führen.

Gar bald erhalten wir die erste sichere Kunde vom Auftreten der Juden in Bayern. Als man auf dem Landtag zu Rasfeldstadt (906) in den ‚leges portoriae‘ <<Zollgesetze>> Vereinbarungen über den Zoll zu Passau traf, fixierte man auch verschiedene Bestimmungen über die Juden. Von ganz besonderem Interesse ist hier, daß die Juden in diesen Paragraphen unter verschiedenen Waren, wie Vieh, Salz usw. genannt sind, also als Sache behandelt werden. Noch aus demselben Jahrhundert ist uns ein Denkmal erhalten, das zeigt, daß vereinzelte Juden auch im Besitz von Landgütern sich befanden. Trotz einer Reihe von Zeugnissen über jüdische Ansiedlungen in Bayern, fehlt es aber an einer einheitlichen, bayerischen Judengeschichte. Das liegt hauptsächlich in den damaligen innerpolitischen Verhältnissen begründet. Da nämlich die Juden vor allem als Bewohner von Städten auftraten, so waren sie vielfach der Willkür eines Bischofs, oder kaiserlichen Beamten, der sich über das von ihm verwaltete Territorium nahezu absolutistische Gewalt anzueignen gewusst hatte, preisgegeben. Dadurch hat die Historie der bayerischen Juden mehr einen lokalen Charakter und mangelt der Einheitlichkeit. Wir haben nicht nur eine Geschichte der Juden von Oberbayern, der pfälzischen Juden und eine solche der fränkischen, sondern eine Geschichte der Juden von Passau, von Regensburg, von Schnaittach, von München usw. Diese örtliche Gestaltung wurde im großen und ganzen von dem Einvernehmen des territorialen Machthabers diktiert. Klar ist es, daß dieses wiederum von den gegenseitigen finanziellen Beziehungen, die jeweilig zwischen dem Träger der Macht und den Juden bestand, abhängig war.

Erst die Kreuzzüge bildeten sowohl in Bayern wie im Reich das einigende Moment in der Behandlung der Juden. Der Haß gegen die Juden bildete einen nicht unwesentlichen Bestandteil in der Ideologie der Scharen, die unter dem Zeichen des Kreuzes zum heiligen Grab zogen. Dieser fanatische Haß machte sich in einer Reihe von Verfolgungen Luft. Sundheimer stellt fest, daß Bayern in der Bewegung gegen die Juden an der Spitze der deutschen Staaten stand. So unterzog man im Jahre 1096 in Regensburg die Juden einer grausamen Verfolgung. Die meisten Bewohner jüdischen Glaubens, die nicht noch rechtzeitig die Stadt verlassen hatten, wurden ermordet. Der kleine noch verbleibende Rest mußte sich der Zwangstaufe unterziehen. Als Heinrich IV. im nächsten Jahr bei seiner Rückkehr aus Italien Regensburg passierte, rettete er die Juden von den Bedrückungen. Er gab ihnen die freie Ausübung ihrer religiösen und sozialen Gebräuche wieder.

Der Kaiser ließ sich jedoch zu dem Judenschutz nicht lediglich von Humanitätsgefühlen bewegen. Materielle Interessen bildeten die eigentliche Triebfeder seines Handelns. (Sundheimer.)

Immerhin muß es Heinrich zum Verdienst angerechnet werden, daß er durch den Landfrieden von 1103 die Sicherstellung der Juden im ganzen Reich durchzuführen versuchte.

Aus solchen Anfängen entwickelte sich bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts die sogen. Kammerknechtschaft. Sie bestand in einer regelmäßigen Abgabe der Juden an das Reich, wofür ihnen der Kaiser seinen Schutz gegen Dritte gewährte. Diese Kammerknechtschaft der Juden bedeutete also an sich nur, daß die Juden dem Kaiser unterworfen und zu Abgaben verpflichtet waren. Es liegt nicht in ihr zugleich die oftmals behauptete Tatsache, daß die Juden Leibeigene waren, über deren Gut und Blut der Kaiser nach Belieben verfügen hätte können. Denn Knecht, servus, bezeichnet im Mittelalter nicht den rechtlosen Mann, sondern denjenigen, der in einem bestimmten Abhängigkeitsverhältnis zu einem andern stand. Auch den Ministerialen, den Ritter unfreier Abstammung nannte man servus noch zu einer Zeit, in der in rechtlicher Beziehung so gut wie gar nicht mehr von dem freien Vasallen verschieden war und sich längst über den freien Bauer und über den Bürger erhoben hatte. Daher ist auch der Jude als Kammerknecht nicht der schrankenlosen Willkür des Kaisers preisgegeben, sondern nur zu Steuern an ihn verpflichtet.            

Mit der Kammerknechtschaft war das Judenregal an die kaiserliche Kammer übergegangen. Es stand also lediglich dem Kaiser das Recht zu, von den Juden Abgaben zu erhalten. Nur ihm allein waren sie unterstellt. Der Kaiser konnte aber den Judenschutz auch einem Landesfürsten, einem Herzog, einem Grafen oder wer sonst Hoheitsrechte auszuüben befugt war, übertragen. Diese Übertragung erstreckte sich entweder auf die Juden eines bestimmten Gebietes, oder es war überhaupt erst mit der Übernahme des Judenschutzes das Recht verbunden, Juden im Lande aufzunehmen.

Dank der bestehenden Finanznot des Reiches stellte es sich bald heraus, daß die Kammerknechtschaft, als kaiserliches Steuerprivileg, wieder abbröckelte. Es erscheint sogar zweifelhaft, ob je der Kaiser den Schutz der Juden des ganzen Reiches tatsächlich in einer Hand vereinigte, somit die Kammerknechtschaft in praxi durchgeführt war. Für die Juden in Bayern bedeutete die Übertragung ihres Schutzes durch den Kaiser keine wesentlichen Veränderungen. Sie waren nur allzubald wieder der Willkür der Fürsten, der Bischöfe und des Pöbels ausgesetzt. In München wurden sie im Jahre 1285 unter dem Vorwand verfolgt, sie hätten ein Christenkind verkauft.

Kaum ein halbes Jahrhundert später begann die Vertreibung der Juden aus Deggendorf, an die sich eine Verfolgung schloß, die über ganz Bayern und Österreich Verbreitung fand. Von Aretin wurde sie in einer sicherlich objektiv dargestellten Geschichte der Juden in Bayern als die ‚grimmigste der bayerischen Geschichte‘ bezeichnet. Die Juden werden alsdann aus Straubing vertrieben, Landshut, und Regensburg mußten sie soweit sie nicht ermordet wurden, ebenfalls verlassen oder sich der Zwangstaufe unterziehen.

Es wird von einigen Kennern der jüdischen Geschichte als die merkwürdigste Erscheinung nach allen Judenverfolgungen festgestellt, daß die Vertriebenen immer wieder zurückkehren, daß neue Einwanderungen stattfinden, oder dass sich überhaupt ein Teil der Juden der Verfolgung entziehen kann. Und wirklich ist dies auch in Bayern der Fall, sowohl  im 13. und 14. Jahrhundert, als auch in der späteren Zeit. Wider alle gesetzlichen Bestimmungen, mochten sie von staatlicher oder kirchlicher Seite ausgehen, wußten sich die Juden immer wieder in die Lande, denen sie unter dem Zwange der Gewalt den Rücken gekehrt hatten, Eingang zu verschaffen. Neuansiedlungen sind nur selten nachzuweisen. Meist tauchen ganz plötzlich Berichte über die Juden in den Quellen auf, wonach ihre Anwesenheit als eine schon längere Zeit gegebene Tatsache zu erkennen ist. So ist von Bergmann festgestellt worden, daß Herzog Ludwig im Jahre 1315, also drei Dezennien nach Vertreibung der Juden aus der Stadt, diese durch ein Mandat in ihren Privilegien einschränkte. Er räumte ferner den Bürgern gewisse Freiheiten in der Behandlung jüdischer Bewohner ein. Die Juden haben es also während der dreißig Jahre trotz der Verfolgung fertig gebracht in München Einlaß zu erhalten, ja sich sogar Privilegien zu verschaffen gewußt. Diese Vorzugsrechte erstreckten sich jedoch für gewöhnlich nur auf die Tätigkeit der Juden im Handel. Nach dem Münchner Stadtrecht von 1347 brauchten die Juden z. B. gestohlenes oder geraubtes Gut, das sie belehnt hatten, nur gegen Rückerstattung der Pfandsumme herauszugeben. In Regensburg war den Juden schon 1230 das Recht eingeräumt worden, mit Gold und Silber zu handeln.

Je hervorragender aber die Stellung der Juden im Handel wurde, desto mehr Feinde zogen sie sich zu. Vor allem mit dem Aufkommen der Kaufmannsgilde erwuchs ihnen ein mächtiger, fanatischer Gegner. Er fand im Staate eine starke Stütze. Die Bewegung gegen die Juden wurde immer intensiver. Es ist überhaupt ein hervorstechender Zug aller Judenanfeindungen, daß diese Bewegung vor allem vom nichtjüdischen Handels- und Industriestande ihren Anstoß und ihre Hauptförderung erfährt. Trotz aller angestrengten Bemühungen gelang es nicht, wie beabsichtigt, die Bestrebungen der Juden im Keime zu ersticken. Sie verstanden es immer wieder sich durchzusetzen und größere Vermögen zu erwerben, die ihnen als Grundstock für ihre Geld- und Kreditgeschäfte dienten.

Vor allem auf dem Kapitalmarkt waren den Juden günstige Expansionsmöglichkeiten gegeben. Besonders durch die Reformbestrebungen der Cluniazenser im 13. Jahrhundert, die gegen die Verweltlichung der Klöster gerichtet waren  und in Verbindung damit sich gegen die Geldgeschäfte der geistlichen Orden wandten, hatten die Juden Gelegenheit, sich dieses Erwerbszweigs zu bemächtigen. Wenn sie schon durch ihren Handel bei christlichen Konkurrenten Mißgunst und Haß hervorriefen, so zogen sie sich als Wechsler noch mehr Feinde zu, die sich aus allen Bevölkerungsschichten rekrutierten. Dazu gesellte sich noch der religiöse Haß gegen sie.   

Eine besondere Einstellung ihnen gegenüber legten jeweils die einzelnen Fürsten und Bischöfe an den Tag. Vom privatwirtschaftlichen Standpunkt aus waren diese den Juden wohlgewogen; denn deren Reichtum bildete eine willig fließende Kreditquelle und war zugleich ein günstiges Steuerobjekt. Außerdem bot sich immer wieder die Gelegenheit, nach der Inszenierung eines Gewaltaktes das ganze Eigentum der Juden  in die eigene Tasche zu stecken. Es lagen also eine Reihe von Gründen vor, die die Träger der territorialen Gewalt veranlaßten, in ihrem Machtbereich Juden aufzunehmen und deren Vermögensbildung durch Handelsprivilegien zu begünstigen. Nach kurzer Zeit waren die Machthaber dann ihren Günstlingen verschuldet. Sobald aber die jüdischen Kapitalforderungen gegen den Territorialherrn eine beträchtliche Höhe erreicht hatten, wurde gegen die ’Verhaßten‘ eine Verfolgung eingeleitet.

Ein drastisches Beispiel haben wir wiederum in der bayerischen Geschichte. Herzog Heinrich stellte im Jahre 1338 nach der Vertreibung der Juden aus Straubing den Bürgern der Stadt einen Gnadenbrief aus, in welchem er diese belobt, daß sie die ‚Ketzer verprennet und verderbet haben‘. Er erklärt ferner alle Forderungen der Juden gegen die Bürger für kraftlos. Ebenso wurden die Verbindlichkeiten der Bewohner von Deggendorf gegen die Juden gelöst; denn diese ‚sollen ihrer gänzlich ledig seyn, von uns allen leuten.‘ Die ganze Habe der Juden fiel der Bürgerschaft zu. So erließ im Fürstentum Ansbach Kaiser Karl IV. 1337 dem Burggrafen Albrecht und dessen Bruder Johann alle Schulden, die sie bei jüdischen Gläubigern hatten. Das läßt auf die wahren Motive schließen, die sich hinter den Anschuldigungen verbargen, die Juden hätten ein Christenkind verkauft, Hostien geschändet u.a.m. Zugleich beweisen die Dokumente auch, daß es zu jener Zeit um den kaiserlichen Judenschutz schon sehr schlecht bestellt war.

Mit dem Anwachsen der territorialen Macht entglitt dem Kaiser das Judenregal immer mehr. Es war ihm längst verloren gegangen, als im Jahre 1356 durch die goldene Bulle dem Kurfürsten das Recht zuerkannt wurde, in seinem Lande Juden zu halten. In Bayern trat durch diese gesetzliche Regelung keine wesentliche Änderung de facto ein. Eine solche ergab sich erst zwei Jahrhunderte später, als die bayerische Landordnung von 1553 das Licht der Welt erblickte. Sie stellt einen Eckpfeiler in der bayerischen Geschichte der Juden dar.

Da sich die Juden trotz der Vertreibung aus Regensburg im Jahre 1519 wieder über ganz Bayern ausgebreitet hatten, verfügte Herzog Wilhelm auf Betreiben der Landschaft deren Ausweisung. Nach der Landordnung von 1553 durfte in Zukunft kein Jude mehr Bayern betreten. Falls einer doch gezwungen war, durch das Land zu reisen, so sollte er ‚ohn Geleit darein nicht kommen‘. Für dieses Geleit er an jeder Mautstation – und deren gab es damals in Bayern nicht wenige – das sogenannte Geleitgeld zahlen, das pro Meile errechnet wurde und dessen Höhe vielfach ganz willkürlich bestimmt wurde. Ferner durfte sich kein Jude länger als eine Nacht am gleichen Orte aufhalten. Kein Bürger dürfte ihm Wohnung gewähren, der Handel war den Juden untersagt und den Untertanen war es bei Strafe verboten mit den Juden Verträge abzuschließen.     

 So war durch die Landordnung von 1553 Bayern den Juden völlig versperrt.

Erst nach Ablauf von 150 Jahren finden sich neuerdings Spuren von Juden in Bayern. Es wird angenommen, daß sie während der österreichischen Administration, infolge der damaligen Geldknappheit, wieder ins Land gekommen sind. 1715 verwies Kurfürst Emanuel schon wieder die Juden durch eine Verordnung aus dem Lande. Innerhalb 24 Stunden mußten sie dem kurfürstlichen Befehl Folge leisten. Doch scheint das von St. Cloud aus an die Landstände gerichtete Dekret nicht vollkommen durchgeführt worden zu sein; denn während des ganzen 18. Jahrhunderts treffen wir Juden in Bayern an. Sie waren in Sulzbach, in Schnaittach, ja selbst in der Hauptstadt und anderen Orten ansässig. Im Jahre 1725 wurden von Seiten des Handelsstandes wieder Klagen laut, so daß sich die Landschaft für die abermalige Ausweisung dieser ‚schändlichen Individuen‘ einsetzte. Als dann gar die Münchner Judengemeinde das Laubhüttenfest feierte, brach der Sturm der Entrüstung aus.

Da jedoch die Mehrzahl der damaligen Juden in Beziehung zum bayr. Kurhaus stand, war es nicht ohne weiteres möglich, sie aus dem Lande zu jagen. Die sog. Hofjuden hatten sich durch ihre Finanztransaktionen mit einflußreichen Persönlichkeiten und dem Staatsoberhaupt selbst eine relativ starke Position erobert. So erteilte man den Juden zu Schnaittach einen Konzessionsbrief, wonach diesen das Geleit vollständig erlassen wurde und sie nur an den Landesgrenzen Leibzoll entrichten mußten. Wenn auch das Auftreten der Hofjuden in Bayern vielleicht schon mit den Anfängen der Geschichte der Juden in Bayern überhaupt, also im Mittelalter, zusammenfällt, so beginnen sie sich doch erst am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts über ganz Bayern zu verbreiten. Grätz nimmt an, daß die Hofjuden eine ‚Erfindung‘ des Wiener Hofes gewesen seien, der während des Dreißigjährigen Krieges eine Reihe von Juden mit besonderen Privilegien ausstattete und sie dafür zur Hebung der eigenen Finanznot heranzog. Auch sollen schon 1617 in München Hofjuden ihre Tätigkeit entfaltet haben. Immerhin fällt jedoch die Blütezeit der Hofjuden in das 18. Jahrhundert. In dieser Periode waren die Hofjuden eine regelmäßige Erscheinung fast an allen europäischen Fürstenhöfen. In den meisten außerbayerischen Staaten gelangten die Hofjuden zu mehr oder weniger großem politischen Einfluß. Ich erinnere an Jud Süß, der am Hofe Alexanders von Württemberg zu einer, wenn auch versteckten politischen Bedeutung gelangt war, die er freilich nach dem Tode seines Herrn bitter bereuen mußte.

Am Münchner Hof war der Einfluß der Juden lediglich auf das enge Gebiet der Finanzen beschränkt. Die Hofjuden waren lediglich Geldgeber. Es stand ihnen nie die Möglichkeit zu, offen aktiv in die Staatsfinanzen oder gar in die Politik einzugreifen. Der genaueste Kenner der Verhältnisse, Sundheimer schreibt: ‚daß die bayr. Hofjuden zu einer ähnlichen Stellung gelangt wären, wie die spanischen Juden im Mittelalter, die dort festbesoldete Beamte waren, war ausgeschlossen. Dem stand von vorneherein die innerpolitische Konstellation, die sich in Bayern unter der Maxime des katholischen Klerus herausgebildet hatte, im Wege.‘ Die Juden mußten zufrieden sein damit, daß ihnen überhaupt der Aufenthalt in Bayern gewährt wurde, und daß sie durch Privilegien von den allgemein für die Juden geltenden Bestimmungen enthoben waren. Diese Bevorzugung der Hofjuden geschah durch die Ausstellung von Geleit- und Freibriefen. Vor allem aber durch die Ernennung zum Hoffaktoren, entweder mittels des kleinen oder des großen Patentes. Diese Privilegierung konnte jedoch nur der vermögende Jude, also nicht immer der beste erreichen. Da die Patente jährlich erneuert werden mußten, hing es wieder von der Kapitalkraft der Juden ab, ob er seine Stellung behalten konnte. War er dazu nicht imstande, so mußte er wieder zurückgleiten in die Sphäre der Rechtlosigkeit und der wirtschaftlichen Unfreiheit. Wer das kleine Patent besaß, war vom Schutz- und Geleitgeld befreit. Die Inhaber des großen Patentes durften auch frei im Lande handeln und wandeln. Die Hauptschranken gegen ihre Handelstätigkeit waren für sie gefallen.

Eine weitere Förderung des Handels der Hofjuden bedeutete es auch, daß für sie der erste Artikel des 5. Buches der Land- und Polizeiordnung außer Kraft gesetzt war. Dieser Artikel verbot den Juden den Abschluß irgendeines Vertrages mit bayerischen Untertanen. Nachdem ursprünglich dieses Entgegenkommen nur einigen Wenigen gewährt wurde, erweiterte man 1751 diese rechtliche Besserstellung auf alle mit ‚kurfürstlichen Pässen und Toleranzen versehenen Juden‘. Ebenso wurde die Bestimmung, daß Juden keine Forderungen an Christen wieder an Christen zedieren dürften, für privilegierte Juden außer Kraft gesetzt. Denn man mußte den Juden gestatten, mit christlichen Einwohnern in geschäftliche Verbindung zu treten, da man ja die Vermögensbildung der Juden aus finanzpolitischen Gründen fördern wollte. Daher brachte man auch die Wechselfähigkeit der Juden auf ein höheres Niveau.

Die Juden waren also in ihrer sozialen Stellung am Anfang des 18. Jahrhunderts zu den untersten Schichten der Bevölkerung zu zählen. Insbesondere für die Nichtprivilegierten Juden trat während des 18. Jahrhunderts noch keine wesentliche Besserstellung gegenüber früheren Zeiten ein. Den Juden waren als ‚personae viles‘ <<unwichtige, unbedeutende Personen>> die öffentlichen Ämter unzugänglich. So konnten sie nicht als Vormund fungieren, da dieses Amt mit einer ‚gewissen Dignität‘ verknüpft war. Da sie wie die Henker und Schinder als mit der ‚levi macula‘ <<kleiner Fleck, Makel>> behaftete Menschen angesehen wurden, waren sie vom Heeresdienst ausgeschlossen. Ebenso war den Juden der Zugang zu den öffentlichen Bädern versagt, deren Benutzung sonst nur noch den Aussätzigen verboten war. Die Hofjuden nahmen eine angesehenere Stellung ein als die übrigen Juden. Schon die Ernennung zum Hofagenten bedeutete eine ehrenvolle Würdigung seiner Verdienste. Eine solche Auszeichnung ist niemals einem Schinder oder Henker zuteil geworden. Ferner kamen ja die privilegierten Juden schon in Anbetracht ihrer Geschäfte mit den höchsten Stellen in Berührung, ja sogar der Zutritt zum Hofe mußte ihnen gewährt werden. Diese gehobenere soziale Stellung der Hofjuden trat schon dadurch nach außen hervor, daß die Privilegierten vom Tragen des Judenabzeichens befreit waren. Die Behörden waren ferner angewiesen, dem Hofjuden auf seinen Geschäftsreisen ‚beförderlich an die Hand zu gehen und nichts widriges zu gestatten, sondern selben jedesmal zu schützen und zu schirmen‘. Auch wurde dem Hofjuden das Tragen von Waffen gestattet, was den übrigen Juden strengstens untersagt war.

Immerhin konnten die Hofjuden im 18. Jahrhundert noch nicht das erreichen, was uns als Selbstverständlichkeit erscheint, nämlich die soziale Gleichstellung mit den christlichen Untertanen. Galt ja die Aufnahme des Juden Emanuel Mayer als Kammeragent am Hofe Carl Theodors als ganz besondere Auszeichnung. Ebenso vereinzelt steht die Tatsache dar, daß man einem Hoffaktoren im Jahre 1780 eine jährliche Pension von 200 fl. gewährte. Die Hofkammer äußert sich noch 1787 sehr erstaunt darüber, daß einem gewissen Amschel Levi auf dessen Ansuchen wie einem andern der Rechtsweg ungesperrt sei. Für den später geadelten pfälzisch-bayerischen Hoffaktor Isaac Wertheimer war es eine ganz besondere Auszeichnung, daß er das auf dem Schloßplatz in Bayreuth stehende Haus kaufen und bewohnen durfte. Freilich wurde er ausdrücklich verpflichtet, daß er ja keinen Juden darin Unterkunft gewährte und, daß er den Platz von ‚schnurr- und betteljuden frei halte‘.

Immerhin war man gegen Ende des Jahrhunderts noch immer besorgt, daß die Juden öffentliches Ärgernis erregen konnten. Nur ungern gestattete man es gegen Bezahlung von jährlich 500 fl. in die Armenkasse, daß die Münchner Judengemeinde das Laubhüttenfest feierte. 60 Jahre vorher hatte der Hoffaktor Noe noch ein dringendes Ansuchen zu machen. Er erhielt die Erlaubnis, doch mußte die Feier ‚dergestalten und in der Stille‘ vor sich gehen, ‚daß es sine exercitio publico‘ <<ohne öffentliche Erregung>> geschehe. Damals galt diese Konzession noch als eine besondere Ehre und Auszeichnung des Hofjuden Noe.

Wir sehen also, daß die soziale Stellung der Hofjuden sich jeweils nach der Intensität der finanziellen Beziehungen der einzelnen Juden zum Kurhaus oder dessen ausführenden staatlichen Organen richtete. Diese Beziehungen waren zweierlei Natur: die Juden traten als Kreditoren des Staates auf und als Heereslieferanten. Von den Juden, die als Finanzquelle des bayer. Staates fungierten, sind vor allem die Juden Noe Samuel Issac und Wolf Wertheimer im wahrsten Sinn des Wortes zu bezeichnen. Sie standen in innigster Verbindung mit dem Kurhaus und befriedigten hauptsächlich dessen persönliche Bedürfnisse durch ihre erzwungenen Hilfeleistungen.

Werner Sombart hat in seinem bekannten Buch ‚Die Juden und das Wirtschaftsleben‘ die Entstehung des modernen Staates indirekt auf die Juden zurückgeführt, indem er sagt: ‚Wenn ich von einem Anteil an der Begründung des modernen Staates spreche, so denke ich nicht sowohl an die unmittelbare Wirksamkeit der Juden als staatsmännische Organisatoren, als vielmehr an eine mehr indirekte Mitwirkung an dem großen staatsbildenden Prozeß der letzten Jahrhunderte. Ich denke daran, daß sie es vor allem waren, die dem werdenden Staate die materiellen Mittel zur Verfügung stellten, mit deren Hilfe er sich erhalten und weiterentwickeln konnte, daß sie auf zwiefache Weise das Fundamentum stützten, auf dem alles moderne Staatswesen ruht: die Armee. Auf zwiefache Weise: durch deren Versorgung mit Waffen, Monturen und Lebensmitteln im Kriege und durch Beschaffung der notwendigen Geldbeträge, die natürlich nicht nur für Heereszwecke, sondern auch zur Deckung des Hof- und Staatsbedarfs Verwendung fanden. Mit anderen Worten: Ich erblicke in den Juden, namentlich während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, die einflußreichsten Heereslieferanten und die leistungsfähigsten Geldgeber der Fürsten und glaube diesem Umstand eine überragende Bedeutung für den Entwicklungsgang des modernen Staates zumessen zu sollen.‘ Diese von Sombart in keiner Weise durch empirische Tatsachen bewiesene These gab den Anstoß zu einer wirtschaftlichen Abhandlung: Paul Sundheimer. Die jüdische Hochfinanz und der bayerische Staat im 18. Jahrhundert (erschienen im Finanzarchiv, herausg. v. Schanz 1924.) Auf Grund streng wissenschaftlicher, objektiver Untersuchungen kommt Sundheimer zu dem Ergebnis, daß die bayr. Juden erst zu Beginn der 20iger Jahre des 18. Jahrhunderts bedeutungsvoll in Erscheinung traten, also zu einer Zeit in der der kapitalistische Staat schon entstanden war.

Die Heranziehung der Juden als Finanzleute war bedingt durch den Mangel an Geld in den Staatskassen, der seinerseits wieder hervorgerufen war durch die Ausgaben für die vorangegangenen zahlreichen Kriege und die Kosten der prunkvollen Hofhaltung Max Emanuels. Sundheimer stellt nun auf Grund genauester Berechnungen fest, daß 1723, als der Anteil der Juden an der Staatsschuld seinen Kulminationspunkt erreicht hatte, sich die gesamten jüdischen Gläubigerrechte auf 5 218 460 fl. beliefen, während der Schuldenstand mit über 20 Millionen fl. angenommen werden kann. Aus dieser Gegenüberstellung folgert Sundheimer, daß man von einer überragenden Bedeutung der Juden im Sinne Sombarts berechtigtermaßen kaum sprechen kann.

Als dann 1728 das Schuldenabledigungswerk für den bayer. Staat in einfacher Weise dadurch vor sich ging, daß den beiden Hauptgläubigern Noe und Wertheimer die Tilgung verweigert wurde, traten die Juden als Finanzleute in den Hintergrund. Es begannen jedoch nunmehr die Juden als Heereslieferanten eine regere Tätigkeit zu entfalten. Aber auch hier gelangten die Juden zu keiner überragenden Stellung. Der Hoffaktor Abraham Mändel hat sich zwar ein Monopol in der Pferdelieferung zu erringen gewußt. Dieser Fall war jedoch vereinzelt. Sundheimer stellt fest, daß von irgendeiner Versorgung der Armee mit Monturen, Waffen und Munition während des ganzen Jahrhunderts nicht bekannt ist.

Wenn auch die Juden im siebenjährigen Krieg zum erstenmal stark in den Vordergrund treten und es auch richtig ist, daß die Juden die Kosten der Verpflegung dem Staate auf kurze Zeit kreditiert haben, so ist damit die These Sombarts noch nicht bewiesen. Denn in den meisten Fällen waren die Juden selbst wieder verschuldet und zwar an den christlichen Münchner Bankier Nocker. Er war der eigentliche Finanzmann der Verpflegung und ohne seine Beihilfe wäre auch die Hilfeleistung der Juden zusammengebrochen. Auch als Kreditoren des Staates spielten die Juden damals keine bedeutende Rolle. Der jüdische Anteil an den Staatsschulden rührte lediglich von alten, noch unbezahlten Darlehen her, die mit den daraus entstandenen Zinsen Dezennien lang im Schuldenwesen mitgeschleppt werden mußten. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts erfolgte wieder eine intensivere Verbindung zwischen Jude und Staat. Bei Regierungsantritt Karl Theodors konnte die Verfügung des neuen Kurfürsten zeitweise den Zinsendienst einzustellen, die Finanznot des Staates nicht beheben. Es wurde im Gegenteil bewirkt, daß der schon geschwächte Kredit völlig untergraben wurde.

Wie immer in solchen Zeiten der größten Finanznot erinnerte man sich nun der Juden. Besonders da sie die billigsten Lieferanten waren und zum großen Teil auf Kredit lieferten, wurden sie zunächst zum Verpflegungswesen der Armee herangezogen. Unter diesen Heereslieferanten ragten besonders die Hoffaktoren Westheimer und Aron Elias Seligmann hervor. Der letztere war vom Jahre 1799 an der einzige Verpflegungsmodiateur der bayer. Armee. Man hatte ihn gerufen, um die Naturalbedürfnisse des Heeres auf Kredit zu erhalten. Es hatte zwar auch die Westheimersche Gesellschaft im Jahre 1798 die Ausgaben für die Truppenverpflegung mehrere Monate lang kreditieren müssen. Das geschah jedoch erzwungen und nicht aus freien Stücken, wie es Aron Elias Seligmann tat. Ihn und seinen Bruder, den Finanzmann Issac Seligmann, können wir als die einzigen vom kapitalistischen Geist beseelten jüdischen Unternehmer jener Epoche bezeichnen. Wobei ich unter ‚kapitalistischen Geist‘ einen besonders intensiven Erwerbstrieb verstehe, der die Ansammlung großer Vermögensmassen anstrebt, die weder zur Konsumtion noch zu Thesaurierungszwecken, sondern lediglich zur weiteren produktiven Arbeit dienen sollen. Mit den beiden Seligmann erfüllten sich auch in einem gewissen Grad die Forderungen, die Sombart als die Gründe der Entstehung des modernen Staats anführt. Auch wenn wir nicht, wie Sombart aus fanatischer Prinzipienreiterei, die Entstehung des modernen Staates auf ein einziges Causalmoment zurückführen, so müssen wir nach den Ausführungen Sundheimers auch die Ansicht ablehnen, die meint, daß die bayerischen Juden auch nur eines der vielen Anlässe gewesen seien, die bei der Entstehung des modernen Agrar-Industriestaates Bayern mitwirkten. Niemals mit Ausnahme der beiden Seligmann sind die Juden zu einer wirklich überragenden Bedeutung gelangt. Das war ihnen auch bei der rechtlosen Stellung, die selbst die bayerischen Hofjuden inne hatten, unmöglich gemacht.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Stimmen immer lauter, die sich ernsthaft mit dem jüdischen Problem beschäftigten und die in Wort und Schrift für Gleichstellung der Juden eintraten. Gleichzeitig als die durch den Rationalismus und Neuhumanismus geweckten Ideen zur Befreiung der Individualitäten führten, brachen sich auch die Emanzipationsbestrebungen der Juden Bahn. Die Morgenröte einer neuen Zeit schien auch für sie gekommen zu sein, fast schien es, als ob das Wort vom ‚ewigen Ahasver‘ der Vergangenheit angehören sollte. Bayern erteilte der Kurfürst 1802 dem Landesdirektorium den Antrag zu prüfen, wie dieser ‚unglücklichen Menschenklasse eine Nahrungsquelle ohne Nachteil der kurfürstlich-christlichen Untertanen eröffnet werden könnte.‘ Bald werden die Schulen dem Juden geöffnet, bald wird er in die Reihen des Heeres aufgenommen. Immer mehr nähert sich der Jude dem Ziele, in dem Lande, wo er wohnt, ein Vaterland zu finden. Dieses Ziel, das Maximilian Joseph bald zu erreichen wähnte, wurde jedoch durch die Kriegszeit um mehr als ein Jahrhundert hinausgerückt.

Inzwischen wurde Bayerns Umfang durch viele neue Gebiete erweitert. Damit kamen auch wieder neue Juden an Bayern. (Reichsdeputationshauptschluß von 1803, Preßburger Friede 1805, Rheinbundsakte.) Alle diese Gebiete brachten ihre eigentümlichen Rechte bezüglich der Juden mit. Es erschien daher im Jahre 1809 ein Dekret, wonach die Gerichtsbarkeit über die Juden auch fernerhin provisorisch in der Art beibehalten werden sollte, wie sie in den verschiedenen Teilen des Königreichs bisher bestanden hatte. Vor allem sollte aber die drückendste Fessel von den Juden fallen, bevor das Edikt von 1813 gegeben wurde.

Nachdem man schon 1799 den Leibzoll für die Juden etwas erleichtert hatte, wurde er im Jahre 1808 für ganz Bayern fallen gelassen. Damit war das größte Brandmal der Juden abgeschafft. Während in Preußen schon 1812 die Erhebung der Juden zu Staatsbürgern erfolgte, gelangte in den süddeutschen Staaten mit Ausnahme von Baden die endgültige Emanzipation erst im Gefolge der Revolution zur Durchführung. In Bayern erhielten die Juden nach den stürmischen Landtagsverhandlungen von 1849/50 die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie die Christen zugesprochen.

Die Geschichte der Juden in Bayern bis zu ihrer Emanzipation ist also, wie ich eingangs schon erwähnt habe, eine lange Leidensgeschichte. Nicht genug Achtung und Verehrung können wir haben für jene Männer, die trotz der tiefsten sozialen Erniedrigung die ihnen erfuhr, in dem rastlosen Kampf um ihren Aufstieg zu einem menschenwürdigeren Leben nie versagten. Möchten wir nie vergessen, daß unsere jetzige gehobenere Stellung im Staate nicht uns, sondern eben jenen Märtyrern des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit zu verdanken ist.

‚Was Du ererbt von Deinen Vätern hast

Erwirb es, um es zu besitzen.‘ “   

Quelle:

Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, Heft 4, 9. Mai 1925, S. 53-57
Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, Heft 5, 6. Juni 1925, S. 80f

Anmerkungen:

Der Text wurde in seiner Originalschreibweise übernommen, Hervorhebungen der Autorin (Strauß) kursiv wiedergegeben, Fußnoten, die lediglich Quellen- bzw. Literaturverweise enthalten, nicht berücksichtigt. Meine (Robert Schlickewitz) Übersetzung der lateinischen Termini steht in << >>-Klammern.

Literatur:

J. v. Aretin, Die Geschichte der Juden in Bayern, 1803
F. Auer, Das Stadtrecht von München, München 1840
M. v. Bergmann, Geschichte der Haupt- u. Residenzstadt München, München 1783
J. Elbogen, Geschichte der Juden, o. O. o. J.
K. Freyberg, Pragmatische Geschichte der bayer. Gesetzgebung u. Verwaltung, Leipzig, 1849
J. Gotthelf, Historisch-dogmatische Darstellung der rechtlichen Stellung der Juden in Bayern, München 1851
H. Graetz, Geschichte der Juden, Bd. 7, Leipzig 1896
v. Kreittmayer, Anmerkungen über deb codicem Maximilianeum Bavaricum civilem, München 1759
Monumenta germanica historica. Legum Lectio V., o. O. o. J.
Neues Lexikon des Judentums, (Hg.) J. H. Schoeps, Gütersloh/München 1998, Stichworte: Bayern; Sombart, Werner
F. Priebatsch, Die Judenpolitik des fürstlichen Absolutismus im 17. und 18. Jahrhundert, Jena 1915
R. Schlickewitz, Die ehrliche weißblaue Chronik, 2006 (unveröffentlicht)
“Sombart, Werner” in: Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte, München 1973 und Augsburg 1995 (Nachdruck)
“Sombart, Werner” in: Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21. Aufl., Leipzig und Mannheim  2006
“Sombart, Werner” in: E. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 2005
“Sombart, Werner” in: Lexikon der deutschen Geschichte bis 1945, (Hg.) G. Taddey, Stuttgart 1998
“Sombart, Werner” in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Aufl.,  Mannheim u. a. 1978/1979 korrigierter Nachdruck
“Sombart, Werner” in: U. Sautter, Biographisches Lexikon zur deutschen Geschichte, München 2002
O. Stobbe, Die Juden in Deutschland während des  Mittelalters, Braunschweig  1822
G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte. Bd. 4 und 5, Kiel 1874
M. Zimmermann, Josef Süß Oppenheimer, ein Finanzmann des 18. Jahrhunderts, o. O o. J

2 Kommentare

  1. @Edi,

    Die Dame hat wahrscheinlich nur für oben erwähntes Magazin geschrieben.
    Der Link zu ihren Artkeln:

    Strauß, Thea: Zur Geschichte der Juden in Bayern. – Quelle: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, 1 (1925/1925), Heft 4 (9.5.1925, S. 53 – 57)

    Strauß, Thea: Zur Geschichte der Juden in Bayern : (Fortsetzung und Schluss). – Quelle: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, 1 (1925/1925), Heft 5 (6.6.1925, S. 80 – 81)

    findest Du auf http://www.digitalisiertedrucke.de/

    In Deutschland werden Bücher und Zeitschriften von der Deutschen Bücherei (heute Deutsche Nationalbibliothek) in Leipzig seit 1913 erfasst und gesammelt. Gemeindezeitungen gehören allerdings nicht zum Bestand. Es besteht die gesetzliche Verplichtung für jeden deutschen Verlag mindestens ein Exemplar nach Leipzig zu senden. Dies war auch in Zeiten der Teilung unseres Landes so und so war Leipzig die einzige Bücherei in der ehemaligen DDR, wo man auch Bücher aus dem Westen Deutschlands lesen aber nicht ausleihen konnte.

    Somit ist es erklärlich, dass es weder im Katalog der Bayerischen Staatsbibliothek vorhanden noch im Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher aufgeführt ist.
    Den Kritikern der Digitalisierung von Werken sei gesagt, dass diese Technik auch Vorteile bietet. So trägt der Blick in die Presselandschaft von damals dazu bei Geschichte etwas anfassbarer zu machen. Aber nun mache ich mich ans Lesen von Roberts Artikel.

  2. Es ist erstaunlich, dass weder der Internetkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek noch das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher Einträge auf ihren Namen enthält und auch sonst keine weiteren Angaben zu ihrer Person zu ermitteln waren. Gleichzeitig ist es aber um so rühmlicher, Herr Schlickewitz, dass Sie, um diesem „Fehlstand“ abzuhelfen, aktiv geworden sind.

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