Enst Federn, Pionier der Psychoanalytischen Pädagogik, wurde wegen seines antifaschistischen Engagements und seines Judentums von 1938 bis 1945 in Dachau und Buchenwald gefangengehalten. Dort lernte er 1939 Bruno Bettelheim kennen und freundete sich mit ihm an…
Von Roland Kaufhold
Ihre Freundschaft ist in ihrem Briefwechsel dokumentiert. Gemeinsam wurden sie zu den Begründern einer psychoanalytischen Theorie des Terrors, die sie nach ihrer Befreiung in wissenschaftlichen Studien vorstellten. Im Jahr 2003 habe ich den seinerzeit 89-jährigen Ernst Federn gebeten, für einen Bettelheim-Band der Zeitschrift für politische Psychologie (H. 1-3/2003) anlässlich des 100. Geburtstages Bettelheims die Bedeutung des Gesamtwerks seines Freundes in einem den Band einleitenden Beitrag erinnernd darzustellen.
Die Bedeutung Bruno Bettelheims
Von Ernst Federn
Bruno Bettelheim war zu seiner Lebenszeit ein sehr berühmter Schriftsteller und anerkannter Fachmann. Da er Selbstmord beging, wurde in den Vereinigten Staaten eine Kampagne gegen seinen Charakter geführt und seine Leistungen geschmälert. Es gibt zwei gute Biographien über ihn. Eine von Theron Raines (2002) und eine von Nina Sutton (1996). In Fachkreisen ist er weiterhin anerkannt und geschätzt. Und das mit recht, denn Bruno Bettelheim hat Bleibendes geleistet.
Er hat gezeigt, wie man mit einem Team von Erziehern und Psychologen sehr schwer gestörte Kinder und Jugendliche zu einem sozial angepassten Leben bringen kann. Natürlich nicht alle, aber doch einige, und das ist auf diesem Gebiet schon viel. Dieser Beitrag zur Teamarbeit stammt nicht von Bettelheim allein. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat bereits August Aichhorn in Wien gezeigt, wie durch richtiges Verhalten und psychologisches Verständnis verwahrlosten Jugendlichen geholfen werden kann. Bettelheim hat, was er in Wien gelernt hatte, auf geisteskranke Kinder und Jugendliche übertragen und gezeigt, wie im Team gearbeitet werden muß (s. Federn 1993, 1999, Aichhorn 2003, Kaufhold 2001). Das Wesentliche dieser Methode liegt in der Erkenntnis, dass in jedem gestörten Jugendlichen auch positive Elemente im Ich vorhanden sind, die immer mindestens von einem der Mitarbeiter verstanden und so ausgenützt werden können, dass der Jugendliche oder das Kind eine menschliche Beziehung zu diesem Teamarbeiter herstellt. Über diese Beziehung kann der Patient erreicht und das positive Verhalten auf die ganze Persönlichkeit übertragen werden. Bettelheim hatte volles Verständnis der psychoanalytischen Methode und benützte diese in seiner Arbeit mit seinem Team. Es ist unvermeidlich, dass eine solche Teamarbeit nur von einer besonders dazu begabten Persönlichkeit erfolgreich durchgeführt werden kann.
Da er gut schreiben konnte, läßt sich viel von seiner Berichten lernen, was auch geschieht.
Bruno Bettelheim 1985 auf dem von Prof. Jochen Stork veranstalteten Symposium „Das Märchen – ein Märchen?“
© Psychosozial Verlag, Roland Kaufhold, Prof. Dr. Dr. Jochen Stork
Ich habe diesen Aufsatz mit der bleibenden Bedeutung Bettelheims begonnen. Er hat aber noch zwei andere Beiträge geleistet. Er war der erste, der aus dem Konzentrationslager befreit, die psychologischen Verhältnisse im Konzentrationslager geschildert und zu verstehen versucht hat (Bettelheim 1943, 1964, s. Federn 1994, 1999, 1999a). Diese bedeutsame Leistung wurde zuerst nicht anerkannt, aber schließlich von Dwight D. Eisenhower erkannt. Auf dem österreichischen Kongreß „Vertriebene Vernunft“, den ich 1987 u.a. zusammen mit Bettelheim und Rudolf Ekstein besucht habe und auf dem Bruno in unserem Namen als Ältester sprach, hat er hierzu ausgeführt: „Als die amerikanische Armee 1945 die Konzentrationslager befreite, und damit meine Arbeit Bestätigung erfuhr, ordnete General Eisenhower an, daß alle Offiziere der Besatzungsarmee den Artikel zu lesen hatten.“ (Bettelheim 1988, S. 217, s. auch Federn 1988) Es ist wahrscheinlich, dass durch Bettelheims Arbeit Eisenhower auf die Idee kam, den Psychoanalytiker William Menninger zum Chef der Heerespsychiatrie zu machen. Ich nehme das allerdings nur an, ohne Beweise zu haben.
Bettelheim hat auch aufgezeigt, wie in den Vereinigten Staaten Freuds Schriften falsch übersetzt wurden. Ihre englische Übersetzung ist ungenau und die Psychoanalyse nimmt dadurch eine Gestalt an, die von Freuds ursprünglichen Auffassungen abweicht (Bettelheim 1984, Federn 1999).
Bettelheim war persönlich ein schwieriger Mensch, aber trotz aller aggressiven Angriffe gegen anders Denkende hatte er viele ihn hochschätzende Freunde, eine Familie mit drei Kindern, ein künstlerisch ausgestattetes Haus in Kalifornien, und er wurde häufig zu Vorträgen eingeladen. Daß er interessante Bücher und Aufsätze schreiben konnte, wurde schon erwähnt.
Bettelheim hatte ein schwierige Kindheit und Jugend hinter sich. Die Anschuldigung, nicht psychoanalytisch ausgebildet zu sein, ist unberechtigt und geht darauf zurück, dass man in den Vereinigten Staaten wenig über die Verhältnisse im Wien der 20er Jahre weiß. Bettelheim war seit seinem 17. Lebensjahr an Psychoanalyse interessiert und hatte in Dr. Richard Sterba einen ausgezeichneten Analytiker. Ich war mit Bruno Bettelheim 50 Jahre lang befreundet, habe sein Haus und seine Schule besucht, viele Briefe mit ihm gewechselt und nie mit ihm gestritten (s. Kaufhold 1999a, 2001, Federn 1994, 1999). Ich war auch Zeuge seiner aggressiven Art, mit Leuten umzugehen, die anderer Meinung waren als er. Er war zwar ein „schwieriger Mensch“, aber er verdient zu seinem 100. Geburtstag von uns geehrt zu werden.
Literatur
Aichhorn, T. (Hg. 2003): Zur Geschichte der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung I und II, 1938-1949, Luzifer-Amor, 16. Jg., Heft 31 und 32, 2003.
Bettelheim, B. (1943): Individual and Mass Behavior in Extreme Situations. In: Journal of Abnormal and Social Psychology, 38, October: S. 417–452. Deutsche Fassung: Individuelles und Massenverhalten in Extremsituationen. In: Bettelheim (1960), S. 47–57.
Bettelheim, B. (1964): Aufstand gegen die Masse. Die Chance des Individuums in der modernen Gesellschaft. Frankfurt/M. (Fischer).
Bettelheim, B. (1980): Erziehung zum Überleben. Zur Psychologie der Extremsituation. München (dtv).
Bettelheim, B. (1984): Freud und die Seele des Menschen. München (dtv).
Bettelheim, B. (1988): Kulturtransfer von Österreich nach Amerika, illustriert am Beispiel der Psychoanalyse. In: Stadler, F. (Hg.) (1988): Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940. Wien-München (Jugend und Volk), S. 216–220.
Federn, E. (1988): Die Emigration von Sigmund und Anna Freud. Eine Fallstudie. In: Stadler, Friedrich (Hg. 1988): Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil Österreichischer Wissenschaft 1930–40. Wien-München (Jugend und Volk), S. 247–250.
Federn, E. (1992): Psychoanalyse und Nationalsozialismus. Bemerkun¬gen eines Zeitzeugen. In: Luzifer-Amor: Hitlerdeutungen, Nr. 9, S. 43–47.
Federn, E. (1993): Zur Geschichte der Psychoanalytischen Pädagogik. In: Kaufhold (Hg.) (1993): S. 70–78.
Federn, E. (1994): Bruno Bettelheim und das Überleben im Konzentrationslager. In: Kaufhold (Hg.) (1994): S. 125–127, sowie in Kaufhold (Hg.) (1999): S. 105–108.
Federn, E. (1999): Ein Leben mit der Psychoanalyse. Von Wien über Buchenwald und die USA zurück nach Wien. Gießen (Psychosozial-Verlag).
Federn, E. (1999a): Versuch einer Psychologie des Terrors. In: Kaufhold (Hg.) (1999), S. 35–75.
Federn, E. (2001): Geleitwort. In: Kaufhold (2001), S. 9f.
Kaufhold, R. (Hg.) (1993): Pioniere der Psychoanalytischen Pädagogik: Bruno Bettelheim, Rudolf Ekstein, Ernst Federn und Siegfried Bernfeld. psychosozial Heft 53 (I/1993), 16. Jg.
Kaufhold, R. (1993a): Zur Geschichte und Aktualität der Psychoanalytischen Pädagogik: Fragen an Rudolf Ekstein und Ernst Federn. In: Kaufhold (1993), S. 9–19.
Kaufhold, R. (Hg. 1994): Annäherung an Bruno Bettelheim. Mainz (Grünewald) (nur noch beim Autor für 12 Euro erhältlich: roland.kaufhold (at) netcologne.de)
Kaufhold, R. (Hg.) (1999): Ernst Federn: Versuche zur Psychologie des Terrors. Material zum Leben und Werk von Ernst Federn. Gießen (Psychosozial-Verlag). http://web.psychosozial-verlag.de/psychosozial/details.php?p_id=47
Kaufhold, R. (1999a): Material zur Geschichte der Psychoanalyse und der Psychoanalytischen Pädagogik: Zum Brie¬fwechsel zwischen Bruno Bettelheim und Ernst Federn. In: Kaufhold (1999), S. 145–172 (auf englisch, 2008: Documents Pertinent to the History of Psychoanalysis and Psychoanalytic Pedagogy: The Correspondence Between Bruno Bettelheim and Ernst Federn. In: The Psychoanalytic Review , (New York), Vol. 95, No. 6/2008, S. 887-928).
Kaufhold, R. (2001): Bettelheim, Ekstein Federn: Impulse für die psychoanalytisch-pädagogische Bewegung. Mit einem Geleitwort von Ernst Federn. Gießen (Psychosozial-Verlag). http://web.psychosozial-verlag.de/psychosozial/details.php?p_id=1069
Kuschey, B. (2003): Die Ausnahme des Überlebens. Ernst und Hilde Federn. Eine biographische Studie und eine Analyse der Binnenstruktur des Konzentrationslagers. Band I und II. Gießen (Psychosozial-Verlag).
Raines, T. (2002): Rising to the Light: A Portrait of Bruno Bettelheim. New York (Alfred A. Knopf).
Sutton, N. (1996): Bruno Bettelheim. Auf dem Weg zur Seele des Kindes, Hamburg (Hoffmann und Campe).
Dieser Beitrag ist zuvor erschienen in: Kaufhold, R. et. al. (Hg., 2003): „So können sie nicht leben“ – Bruno Bettelheim (1903-1990), Zeitschrift für Politische Psychologie Heft 1-3/2003. Wir danken der Redaktion (Dr. Thomas Kliche, Dr. Helmut; Universität Hamburg, Psychologisches Institut I, Von-Melle-Park 5, 20146 Hamburg) sowie dem Verlag für die freundliche Nachdruckgenehmigung. Bestellung: bestellung@politische-psychologie.de. Online: Einführung in das Themenheft
[…] und das Ãœberleben im Konzentrationslager (Federn, 1994) sowie seinen 2003 geschriebenen Beitrag Die Bedeutung Bruno Bettelheims – seine wohl letzte wissenschaftliche Studie. […]
[…] Der “Spiegel” und sein Märchen vom bösen Juden Bruno Bettelheim Die Bedeutung Bruno Bettelheims […]
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