David Heimann, 1934: Tagebuch über meine Reise nach Erez Israel

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David Heimann, geboren am 12. März 1864 in Festenberg, Kreis Groß Wartenberg in Schlesien, war ein erfolgreicher Kaufmann für Lederwaren. Sein Geschäft eröffnete er zunächst in Pommern, wo er seine erste Frau Clara, geb. Amfeld ehelichte. Das Paar hatte drei Kinder: Theodor (geb. 1891), Thekla ( geb. 1895) und Else (geb. 1899). Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Oslo zog David Heimann 1904 mit seiner Familie nach Berlin, wo er sich in der jüdischen Gemeinde engagierte und eine Ausweitung des Synagogenbezirkes bis nach Oranienburg erwirkte. David Heimann war Vorsitzender der Synagogengemeinde sowie Kuratoriumsmitglied des Jugend-, Mädchen- und Altersheimes in Berlin-Hermsdorf. Nach dem Tod seiner Frau Clara 1924, heiratete er deren verwitwete Schwester Rosa…

David Heimann musste sein Haus Ende 1940 weit unter Wert verkaufen, nach damaliger Schreibweise „Entjudung“, und mit den noch verbliebenen Angehörigen in das s.g. Judenhaus nach Berlin-Hermsdorf umziehen. Seinen Kindern Thekla und Theodor konnte David Heimann die Ausreise nach England und die USA ermöglichen. David Heimanns eigener Versuch, nach Palästina auszuwandern, scheiterte. Das Palästina-Amt Berlin schrieb ihm: „Bei der Bearbeitung Ihres Fragebogens stellen wir fest, dass Sie bereits 75 Jahre alt sind. Da erfahrungsgemäss die Strapazen einer derartigenReise sehr gross sind, können wir es nicht verantworten, Menchen ihres Alters auf diesem Wege zur Alijah zu bringen.“

Rosa Heimann starb am 1. Januar 1942. David Heimann wurde 11. September verhaftet und drei Tage später mit dem 62. Alterstransport nach Theresienstadt deportiert. Am 29. September 1942 wurde er weiter in Richtung Osten transportiert und galt als verschollen. David Heimann wurde vermutlich im KZ Minsk ermordet.

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Die überlebenden Kinder David Heimanns, Thekla Stemberg, geb. Heimann, geschied. Hirsch und Prof. Theodor Heimann klagten 1955 um die Rückerstattung der entzogenen Vermögenswerte von ihrem Vater, erhielten jedoch lediglich eine geringfügigen Abfindung. David Heimanns Enkel Wolfgang Hirsch spendete kürzlich einen Hain in Nord-Galiläa im Namen seines Großvaters.

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Im folgenden dokumentieren wir David Heimanns Tagebuch einer Reise nach Palästina im Jahr 1934.

 

 tagebuch

29.4.34.
Familienappell und Abschied Anhalter Bahnhof. Sonderwagen bis Florenz. Fahrt über Leipzig, Reichenbach, Plauen, Hof. Ankunft München 10 Uhr. Weiterfahrt 11 Uhr abends. Kufstein 1 Uhr nachts. Deutsche und Österreichische Pass- und Gepäckkontrolle. Ueber Innsbruck um 3 Uhr nachts Station Brenneroo, italienische Pass-und Gepäckkontrolle. Kein Schlaf. Durchfahren Brennerpass.

Schneebedeckte Gipfel. Grandioses Panorama. Viele Tunnels. Es wird allmählich heller. Fahrt geht langsam abwärts. Bahnstrecke windet sich zwischen bewaldeten, teils schneebedeckten Höhenlagen durch Felsen, rechts der reissende Gebirgsfluss Isaroo. Hechts und links Weinberge, saftige Wiesen, wenig Aecker, herrlich gelegene Ortschaften mit Kirchen, wir halten ½ 6 Uhr Bolzano-Gries (Bozen). 40 Minuten Kaffeepause. Gegend wird immer romantischer. Fahren durch breite Täler voller Weinrebengärten. Rechts und links bewaldete hohe Berge, die oberen Partien sohneebedeckt, unten dagegen grünt und blüht alles, herrliches Südtirol! An den Abhängen Ortschaften und Dörfer wie angeklebt. Wir sehen auch viele Kapellen. In Trento (Trient) kurzer Aufenthalt. Jetzt geht es nach Verona und Bologna. Wir halten in Roverdo. Links starke militärische Forts mit Infanterie und Artillerie in Richtung Jugoslavien in 2700 Meter Höhe, vor uns schneebedeckte Berge, 3000 Meter hoch. Heller Sonnenschein, Gegend wird immer schöner.

Verona, italienische Tiefebene, viel Obst und Wein. Links und in der Ferne schneebedeckte Berge, unten dagegen heller Sonnenschein. Viele Weizenfelder, welche schon Aehren zeigen. Bologna berühmte Universitätsstadt, sehr schön gelegen. Nach kurzem Aufenthalt durch fruchtbare, tief gelegene Täler Firenze (Florenz). Circa 350.000 Einwohner. Gesamtansicht vom Café St. Marie mit dem Arno-Fluss überwältigend; im Hintergrund die hohen Gebirgszüge. Besichtigung der Kathedrale mit den alten Domteil, Campanile, Besuch der Krypta der Familie Medici, Rathaus, gegenüber Säulengang mit allegorischen Denkmälern, Findelhaus, Brüderhaus, verschiedene altertümliche Plätze. Besuch der prächtigen Synagoge, gotischer Bau, Orgel und Kanzel wie in katholischen Kirchen. 3000 Juden. Besuch des stellvertretenden Rabbiners, meine Begrüssungsansprache, seine Erwiderung und Segenswünsche für unsere Erez-Reise.

Weiterfahrt Florenz-Rom durch fruchtbare Täler. Natur in voller Entfaltung. Weinreben, Obstbäume, Getreide, fette Wiesen, Viehherden, romantisch an Felsabhängen gelegene Städte und Ortschaften, hier und da Kapellen. Links von der Bahnstrecke das Etrusker-Gebirge, dann der grosse Trasimenische See, bekannt aus der alten römischen Geschichte durch die grosse Schlacht. Langsam nähern wir uns Rom, erblicken links das Sabiner-Gebirge, weiterhin das Albaner-Gebirge. Es wird immer wärmer. Die Vegetation wird immer stärker, Rom in voller Blüte, Zypressen, Palmen. Auf Wiesen eine nie gesehene Blumenpracht, auf der Weide weisses Vieh, welches zum Teil zum äkern benutzt wird. Wir sind nunmehr in der Ewigen Stadt Rom.

1. 5.34.

Ueberwältigend. Besichtigung Pantheon, Forum Romanum, Forum Hadrianum, Capitol, Bogen des Septimus Severus, Titus-Bogen (Tempelgeräte, Menorah im Triumphzug des Titus), Konstantin-Bogen, Kolosseum, Arena, Palatin, Säulen des Trajan und Hadrian, Venus-Tempel, Vesta-Tempel, Nationaldenkmal, Quirinal, Denkmal des Garibaldi und seiner Frau, Justizpalast, Vatikan mit Peterskirche. Inneres besichtigt, herrlich, wunderbar tiefer Eindruck. Vespermesse mit Chören, wobei zwei Bischöfe zelebrieren.

Schweizer Gardisten. Petersplatz mit Obelisk, Basilika, Engelsburg mit Brücke, Lateran-Kirche, Altar des Papstes, Marien-Kirche, Finanz- und Innenministerium, Parlament, Mussolini-Palais mit Balkon, von welchem er zum Volke spricht. Viele Paläste der Medici und Borghese. Grosse Synagoge, Jahrzeitraum, keine Orgel. Für Rabbinerbesuch ist es zu spät geworden. Das frühere Ghetto, Judenviertel, hoch interessant. Ueberall Schalom-Rufe und Wiederbegrüssungen. Am Kolosseum jüdische Ansichten-Verkäufer, die uns mit „Schalom“ begrüssen.

Die Fahrt von Rom nach Neapel führt durch fruchtbare südliche Bezirke, links Albaner-Gebirge, später steinige Höhen, während rechts höchste Fruchtbarkeit erscheint. Zwischen Olivenbäumen winden sich von Baum zu Baum Weinreben wie Guirlanden, während der flache Boden dazwischenliegende Weizenfelder birgt, – also dreifache Fruchtgabe. Station Fornio, Kriegshafen, erscheint als erste Etappe der Mittelmeers, dann erscheint links der Vesuv, z.Zt. ohne Feuerspeien, und dann Neapel, Grosstadt, eine Million Einwohner, echt südliches Getriebe, Lärm, Geschrei, keine Ordnung. Die Stadt als solche macht grosstädtischen Eindruck; Hafen relativ klein. Ehe wir die „Vulkania“, die 5 Stunden Verspätung hat, betreten, Pass- und Billet-Kontrolle. Alles umständlich und langwierig; abgekämpft, ehe wir an Bord sind. Meine Aussenkabine teile ich mit Rechtsanwalt Dr. Rau und Zahnarzt Dr. Walter aus Nürnberg bezw. Fürth, nette junge Männer, letzterer sehr fromm. Rituelle Verpflegung, Abendbrot sehr gut. Die koschere Abteilung überfüllt. Amerikanische und andere Juden an Bord. Ca. 1300 Passagiere aller Nationen und Konfessionen. Schönes Schiff. Auf der Fahrt Rom-Neapel neue Bekanntschaften aus Beuthen, Breslau, Ratibor, Budapest, alle mit dem Ziel Erez Israel, alle voll Begeisterung, 3 weitere Anwälte dabei. Ich durchstreife das Schiff und sitze bis ¾ 11 Uhr auf Deck. Täglicher Gottesdienst früh und abends. Als Maschgiach fungiert Rabbi Grün, früher in New York, und ein Chasan und Schauchet. Die Mahlzeiten sind prima und überreichlich.

 

3.5.1934.

Palermo. Ausflug nach Castell Cisar, erbaut im 12. Jahrhundert durch den Normannenkönig Wilhelm II., in arabisch-byzantinischem Stil, mit Harem, trotz Christentum. Dann nach Monreale, 7 km entfernt, ca. 1500 m hoch gelegene Stadt mit der Kirche Monreale und Basilika in arabisch-byzantinisch-romanischem Stil, viele kostbare Seitenkapellen, herrliche Mosaiken und Altäre. Decken- und Seitenmosaiken zeigen Figuren aus Altem und Neuem Testament. Kreuzgang mit Garten arabisch-orientalisch, Tropenpflanzen, grosser Palmen- und Blumengarten. Vor uns herrliches Panorama von Palermo mit Bucht und Hafen und Blick auf den Monte Pellegrino. Die Abhänge des Monte Reale sind mit übermannsgrossen Kakteen, Geranien und herrlichen anderen Blumen bewachsen. An den Abhängen Citronengärten. Besuch des Schlosses des Grafen Taska mit Park, herrliche alte Bäume; eine Magnolie; vor 75 Jahren von Amerika eingeführt, hat einen Stamm von einer Dicke, dass sechs Mann den Stamm umfassen können. Kapuzinerkloster mit Katakomben, in denen etwa 10.000 Leichen liegen. Hunderte von Leichen liegen offen da, teilweise auch in Särgen, teilweise hängen die Mumien an den Wänden. Die Kathedrale monumentaler gotisch-arabischer Stil, 1190-1220 n.Chr.erbaut, Altäre und Galerien von Velasquez, Mosaiken orientalisch-arabischer Eindruck, Sarkophage des Hohenstaufenkaisers Roger, des Hohenstaufenkaisers Friedrich II. und seiner Gemahlin Constanzie, Kronen und andere Schätze aus Gold und Edelsteinen unter grossem Verschluss, Krönungsstuhl Friedrich II., kostbare Wandteppiche aus lauterem Gold und Edelgestein hergestellt aus den kaiserlichen Gewändern, unschätzbare Werte. Kaiserschloss, durch den Hohenstaufen-Kaiser Friedrich II. im Jahre 1225 erbaut, mit Schlosskapelle und wundervollen Mosaiken und Bildern. Kapelle der Heiligen Rosalia mit Bild von Velasquez. Botanischer Garten, herrliche Bäume und Pflanzen, Seifenbaum, Korollanbaum, riesige Kakteen. Rückkehr nach Palermo. Besuch des berühmten Café Italia, wo wir das berühmte Cassata Siciliana, sizilianisches Eis, einnehmen. Mit italienischer Pünktlichkeit Abfahrt von Palermo statt 6 Uhr 30 um 3 Uhr bei schönem Wetter.

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Gesell. Reise nach Palästina 1934. Unsere amerik. Reisegenossen auf dem SS. Vulcania

Seefahrt. Auf der „Vulkania“ sind von den etwa 1300 Passagieren 640 Juden, wobei sich etwa 250 amerikanische Juden befinden. Die Amerikaner, welche der Organisation „Beth Zion“ angehören, arrangieren zu Ehren der auf dem Schiff befindlichen deutschen Juden am Lag Bomer einen Begrüssungsabend im grossen Speisesaal. Knüppelvoll. Blau-weisse Mögen Dovids zieren die Wände. Begrüssung durch den Präsidenten Rabbi Weinberg, Es folgen Ansprachen teils in hebräischer, teils in deutscher Sprache seitens der amerikanischen Juden, auf welche von deutsch-zionistischer Seite Dr. Ernst Markos, Berlin, und von volksparteilicher Seite ich erwidern. Es folgen Ansprachen von Juden aus Marokko, Wien. Grosse Verbrüderung. Dazwischen hebräische Chorgesänge. Zu Beginn und am Schluss Sang der Hatikwah. Bei der Veranstaltung waren mehrere amerikanische Multimillionäre, wie Bankiers Gottesmann Vater und Sohn, und Wilson, anwesend. Gottesmann sen. dadurch bekannt, dass er in New York für eine Viertelmillion Dollars eine Jeschiwa gegründet. Es wird geplant, in Jerusalem, Tel Awiw und Haifa 3 Bankgeschäfte zu gründen, um zu ganz niedrigen Sätzen der Wirtschaft Geld zuzuführen. Ein orthodoxer Rabbi aus Amerika sprach besonders gut. Alle Teilnehmer waren von der Veranstaltung tief ergriffen, alle mit Inbrunst Zion.

1 Uhr nachts zu Bett. Vorzüglicher Schlaf. Ausgeruht. Wir passieren in der Nacht den Aetna und den Stromboli, von welchen wir leider nichts sehen konnten.

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