Der Koran und die Juden (1): Entstehung und Aufbau

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Viele Gerüchte, meistens keine vorteilhaften, kreisen in der nicht aufgeklärten Öffentlichkeit um den Koran und seinen Inhalt. Er spreche schlecht über die Juden und Christen, heißt es, und er rufe zum Krieg gegen die Ungläubigen auf, wird häufig behauptet. Was die Christen und die Aufrufe zum Dschihad betrifft, sind schon andere Autoren dieser Frage nachgegangen…

Miriam Magall

1. Vorwort

Im Folgenden soll ausschließlich untersucht werden, was der Koran tatsächlich über Juden sagt. Und natürlich ist es auch interessant, der Frage nachzugehen, welche Elemente aus der Hebräischen Bibel Eingang in den Koran gefunden haben und in welcher Form.

2. Der Koran

Doch zunächst einmal soll der Koran kurz vorgestellt werden, gehört er doch zumindest in der westlichen Welt nicht gerade zu den am häufigsten gelesenen Büchern.

Der Koran ist die authentische Urkunde für Mohammeds Leben und Werk. Er enthält seine eigenen Worte, die er als Offenbarungen Gottes erklärte. In ihm spricht Allah entweder in der Ein- oder Mehrzahl zum Propheten und durch diesen zu den Menschen oder Gläubigen. Dank Muhammed wurde den Arabern eine Offenbarung in ihrer eigenen Sprache zuteil — wobei sich die Offenbarungen im Koran nach des Propheten Meinung mit denjenigen decken, die frühere Völker durch ihre Propheten erhalten haben. Demnach sollte das, was Moses in der Thora, David in den Psalmen und Jesus in den Evangelien ihre Völker lehrten, auch den Arabern in ihrer Sprache verkündet werden.[1]

Schon in Mekka dürfte die gedächtnismäßige Bewahrung der Predigten und Ermahnungen Mohammeds eingesetzt haben, da sie offenbar zugleich als Rezitationen kultischen Zwecken dienten. Darauf verweist bereits die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Koran, die „Vortrag, Rezitation“ lautet. Zu Lebzeiten des Propheten hat es anscheinend keine kanonische Sammlung der einzelnen Offenbarungen gegeben. Es existierten zunächst verschiedene, eher private Sammlungen. Erst unter dem dritten Kalifen Othman (644–656) wird eine offizielle Koran-Ausgabe erstellt. Eine von Othman in Medina eingesetzte Kommission von drei Mekkanern schuf in ungefähr fünf Jahren die heute noch gültige Textausgabe.

Die Einteilung des Korans in Suren und Verse, wie man sie kennt, geht auf den othmanischen Text zurück. Er umfasst insgesamt 114 Suren von sehr unterschiedlicher Länge; sie bestimmt auch die äußerliche Anordnung nach absteigendem Umfang, d.h. die längsten Suren stehen, außer Sure 1, am Anfang, die kürzesten und zugleich ältesten am Ende. Jede Sure trägt heute einen Namen, der aus einem hervortretenden oder ungewöhnlichen Wort der betreffenen Sure gewonnen ist. Abgesehen von der 9. Sure wird jede Sure mit Basmala, eingeleitet, was „Im Namen des barmherzigen und erbarmenden Gottes“ bedeutet.

Abb. aus Gabriele Mandel:
Gemalte Gottesworte, das arabische Alphabet,
ersch. im Marix Verlag*

Dem deutschen Orientalisten Theodor Nöldeke (1836–1930) kommt das Verdienst zu, die Chronologie der koranischen Texte festgestellt zu haben. Demnach wird zwischen zwei bis drei mekkanischen Perioden von der medinischen Zeit unterschieden. Inhaltlich bestehen die Suren aus Lobpreisungen von Allahs Güte und Schöpfermacht, Ankündigungen des Jüngsten Tages, Trostworten, Ermahnungen und Warnungen. Im Lauf der Zeit kamen Hinweise auf Abschnitte der früheren Heilsgeschichte, rhetorische und sachliche Auseinandersetzungen mit den Gegnern, zuletzt auch Regelungen von Rechtsfragen hinzu.

Von Anfang an hat sich der Islam weitgehend von der Darstellung lebender Wesen ferngehalten, dafür wurde die Ornamentik in Gestalt von Arabeske und geometrischem Ornament und noch mehr die Schriftkunst in den islamischen Ländern gepflegt. Höchster Ehrgeiz eines jeden Kalligraphen war und ist es, das Wort Allahs in möglichster Vollkommenheit zu schreiben. Davon zeugen bis heute die wunderschönen Schriftfriese, die, in Stein gehauen oder in schimmernde Fayence eingelegt, die Tore und Kuppeln der Moscheen krönen.

3. Andere Interpreten

Nach Ansicht von Rudi Paret[2] und Annemarie Schimmel[3] zeigt der Koran vor allem Einflüsse von Christen, sehr viel weniger dagegen von Juden.

Das ist nach Ansicht der Verfasserin dieser Zeilen eine mehr als ungenaue Behauptung. Um ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, braucht der Leser lediglich einen Blick in das Register der wichtigsten Eigennamen und Begriffe in der von Schimmel annotierten Koran-Ausgabe zu werfen.[4] Schon ein ganz oberflächlicher Blick wird zeigen, dass die Zahl der Koran-Zitate aus der Hebräischen Bibel, auch als „Altes Testament“ unter den Christen bekannt, die aus dem christlichen „Neuen Testament“ um ein Vielfaches übersteigt. Allein Aaron, Mose Bruder, kommt in 13 Suren vor, Abraham in 26 Suren, Abrahams Sohn Isaak in 12 Suren und dessen Sohn Jakob wiederum in 10 Suren. Die Juden werden in insgesamt 11 Suren erwähnt, die Kinder Israel in 16 Suren, Moses gar in 33 Suren, die Thora, d.h. die Hebräische Bibel, in 20 Suren, dabei wurde nicht einmal die Zahl der Erwähnungen der altisraelischen Propheten und Könige wie Elias und Elisa, Saul, David und Salomo genannt.

Die Christen finden dagegen lediglich in fünf Suren Erwähnung, das Evangelium als Buch Jesu in insgesamt acht Suren; Jesus, der Sohn der Maria, in 13 Suren, Johannes der Täufer in gerade einmal vier Suren, und schließlich begegnet das Volk der Schrift, womit sowohl Juden als auch Christen gemeint sind, in 18 Suren.

Nach Ansicht von Paret[5] traf Mohammed zum ersten Mal in Medina (seit dem Jahr 622) auf Juden, und dort hat er Paret zufolge wohl auch zum ersten Mal etwas von ihrer Thora gehört. Weiter meint Paret, die jüdischen Siedlungen und die darin lebenden Juden, die schon seit Generationen dort ansässig waren, standen in ihrer Umwelt auf verlorenem Posten, er betrachtet sie als Kolonien, die kein Mutterland mehr besaßen.[6] Das jüdische Reich, aus dem sie vor Jahrhundert abgesprengt waren, gehörte der Vergangeneheit an. Die Christen, die zur Zeit von Mohammeds Auftreten in Arabien lebten, befanden sich dagegen, wie Paret meint, in einer wesentlich günstigeren Lage. Sie bezogen ihre geistige Nahrung aus den an die Halbinsel angrenzenden Kulturländern, aus Gebieten also, in denen das Christentum schon längst festen Fuß gefasst hatte. Und doch, meint Paret, habe man sich in Mekka nur mangel- und bruchstückhaft über das Christentum orientieren können.[7] Ist das der Grund dafür, warum Mohammed über die Geburtsgeschichte und die Jugend der Maria besser Bescheid wusste als über das Leben und Wirken von Jesus? Aber dieser Frage soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Interessanter ist da schon das Problem mit den antijüdischen Äußerungen im Koran, die große Ähnlichkeiten mit derartigen Aussagen vor allem im Johannes-Evangelium aufweisen.

Eine völlig neue Sicht des Koran bietet Christoph Luxenberg in seinem Buch „Die syro-aramäische Lesart des Koran“, der wegen der Brisanz seiner Thesen nicht unter seinem wirklichen Namen schreibt, sondern unter einem Pseudonym.[8] Luxenberg ist Semitist und behauptet, zur Zeit der Entstehung des Koran sei das Arabische noch keine Schriftsprache gewesen. Für ihn stellt sich daher die Frage, woher die Araber plötzlich diese grammatisch so perfekte Sprache hatten. Damals sei das Aramäische die Lingua franca im westasiatischen Raum gewesen, wohingegen die so genannte altarabische Poesie erst seit dem neunten Jahrhundert schriftlich dokumentiert sei. Die Verfasser des Korans seien Luxenberg zufolge demnach keine Araber gewesen, vielmehr sieht er Juden oder Christen als seine Urheber an. Beide werden im Koran ja wiederholt (in 18 Suren) als Volk der Schrift bezeichnet. Allerdings dürfte Luxenberg zufolge der jüdische Anteil überwiegen, gibt es doch viele Artverwandtschaften in der Hebräischen Bibel und im Koran — allerdings auch, das betrifft den Judenhass, im Neuen Testament. Was die Übersetzer betrifft, so treten Juden als solche schon sehr früh in Erscheinung. Erinnert sei lediglich an die Septuaginta, die noch vor der Zeitenwende von siebzig jüdischen Gelehrten aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt wurde. Und auch später werden Juden immer wieder als Sprachvermittler erwähnt. Es könnte also durchaus ein, dass, immer vorausgesetzt, Luxenbergs These stimmt, Juden die Verfasser des Korans sind.

[1] So sagt es Annemarie Schimmel in ihrer Einleitung zu der Koran-Ausgabe, die 1960 und in einer verbesserten Ausgabe 1991 bei Reclam herausgegeben wurde; S. 9.

[2] Paret, Rudi: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten. Stuttgart 1957.

[3] Der Koran. Aus dem Arabischen übersetzt von Max Henning. Einleitung und Anmerkungen von Annemarie Schimmel. Stuttgart 1960; durchgesehene und verbesserte Ausgabe 1991 (die Reclam-Ausgabe).

[4] Ebda., S. 619–625.

[5] Siehe Paret: Mohammed und der Koran. S. 104.

[6] Ebda., S. 12.

[7] Ebda., S. 12–14.

[8] Luxenberg, Christoph: „Die syro-aramäische Lesart des Koran. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache.“ Berlin 2000. 2. Auflage, Berlin 2004.

*) Bei der Kultur des Islam handelt es sich um eine derjenigen Weltkulturen, in deren Kunstschaffen die Kalligraphie entscheidende Bedeutung genießt: Sie ist nicht bloße Formkunst, sondern dient vielmehr dazu, durch die „ästhetisch anziehende Form der Schrift den Gl„äubigen den Inhalt von Gottes Text zu vergegenwä„rtigen. Entstehung, Entwicklung und Bedeutung der Kalligraphie im Islam hä„ngen dem Wesen nach mit den Grundzügen der islamischen Religion und dem Gottesverstä„ndnis im Islam selbst zusammen.
Das vorliegende Buch erlaubt es, immer wieder in die Schö”nheit der kalligraphischen Linienführung einzutauchen, wä„hrend es auf allgemein verst„ändliche Weise in die Geschichte der arabischen Schrift und ihrer Buchstaben einführt und anschaulich ihre mannigfaltigen Stile erkl„ärt.
Gabriele Mandel beschäftigt sich seit Jahren mit der islamischen Kunst und Kultur. Er ist Universitätsdozent, Autor und Künstler. Er bekam den Ehrendoktortitel der Staatlichen Universität in Konya (Türkei) verliehen und ist Gründungsmitglied und Mitglied der Internationalen Islamischen Universität von Cordoba und der Islamischen Akademie von Camebridge. Zur islamischen Geschichte und Kultur hat er wichtige Bücher veröffentlicht. Vom selben Autor liegt auch „Eine Einführung in das hebräische Alphabet und die Mystik der Buchstaben“ vor, ebenfalls bei marix erschienen.