Die Anti-Minarett-Initiative in der Schweiz und der jüdische Seismograph

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Während sich im Nahen Osten Juden und Muslime bekriegen und das Thema Islamismus seit dem 11. September 2001 weltweit in den tagespolitischen Diskussionen präsent ist, versucht auch die Schweiz nicht nur aussenpolitisch, sondern auch innenpolitisch auf den Zug aufzuspringen – nach der „Kopftuchdebatte“ nun mit einer politischen Diskussion um das Verbot von Minaretten. Dagegen wehren sich unter anderem auch jüdische Kreise…

Von Benji Epstein

Der Klang von Kirchenglocken gehört in der Schweiz zum Alltag. Früher läuteten Kirchenglocken, um den Bewohnern die Zeit anzugeben. Ist das Gebimmel zur Tradition geworden, ist es längst Teil der Religions- und Glaubensfreiheit. So leitet das Schweizer Radio DRS 1 jeden Samstag in der Sendung „Zwischenhalt“ den Sonntag mit aufgenommenen Klängen von Glockentürmen ein. Zu Zeiten des Radios „Beromünster“ trug das Programm sogar den Namen „Glocken der Heimat“, was das Christentum mit der Heimat, mit der Schweiz verbinden sollte. Auf der anderen Seite nerven sich auch viele über das Läuten der Glocken. Die Störung der Nachtruhe durch die Kirchenglocken wird dabei nicht nur anhand von Gutdünken und Lärmschutzmessungen generell in Frage gestellt, sondern auch mit wissenschaftlichen Forschungen versucht zu belegen, wie es zum Beispiel auf der Internetseite des IG Stiller Vereins, der sich stark gegen Kirchenglocken einsetzt, zu lesen ist: „Kirchenglocken stören den Schlafrhythmus und die REM-Phasen“ (www.nachtruhe.info).

Während christliche Gebetshäuser mit Glockenmusik ihr Territorium definieren und den Bürger regelmässig an die Tageszeit erinnern, sind Synagogen Orte, an welchem heutzutage im Stillen gebetet wird. Bis ins 18. Jahrhundert bestand auch in der jüdischen Gemeinde in Endingen das Amt des „Schuleriefers“. Seine Aufgabe war es, durch lautes Ausrufen, die Männer zum Gebet zu ermahnen. Also durchaus eine Art jüdischer „Muezzin“. Mit der Einweihung der neuen jüdischen Synagoge in Endingen wurde das Amt des „Schuleriefer“ 1852 durch – man staune – Glocken ersetzt.

Die Anti-Minarett-Initiative

Eine hitzige Diskussion, die mehr und mehr zu eine Stellvertreterdebatte über den Islam und seine Werte wird, sorgt zurzeit die Abstimmung zur sogenannten Anti-Minarett-Initiative, über welche das Schweizer Stimmvolk voraussichtlich im Herbst 2009 an den Urnen entscheidet. Die Diskussion wurde vor allem durch die geplanten Bauten von Minaretten in Olten, Wangen und Will im Jahre 2006 in der Schweizer Öffentlichkeit ausgelöst.

Worum geht es bei der Vorlage? Die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) lancierte Initiative soll ein Verbot des Baus von Minaretten in der Bundesverfassung festhalten. Die Befürworter der Initiative sind der Meinung, dass ein Minarett nicht unbedingt zu einer Moschee gehört, beziehungsweise dass für die Ausübung des Islams auch eine Moschee ohne Minarett genügt und somit die Religionsfreiheit und das Völkerrecht nicht tangiert werden. So ist auf einem Flyer der Befürworter zu lesen: „Das Minarett hat selbst in der muslimischen Welt nichts zu tun mit Glaubensinhalten.“ Das Minarett sei lediglich ein Signal und Wachturm über und für die Gläubigen (www.minarette.ch).

Die demographische Perspektive und der Blick in die Zukunft bietet vor allem Grund für die Befürworter gegen Minarette zu plädieren. In der Schweiz leben heutzutage etwa 300‘000 Muslime. Aus demographischer Sicht sei es durchaus möglich, so die Befürworter, dass in naher Zukunft die Muslime eine 50 Prozent Mehrheit in der Bevölkerung erreichen werden. Im Zugeständnis vom Bau von Minaretten wird somit ein erstes Signal gesehen, das diese Entwicklung wiederspiegelt und vor allem bestätigt. Die Befürworter befürchten, dass eine solche Entwicklung im „schlimmsten“ Fall die heutige Rechtsordnung nach und nach durch die Scharia ersetzt werden könnte. Dieses „Horrorszenario“ der Befürworter wird als Angstmacher in der Abstimmung geschickt verwendet und somit als Anlass zu einer Grunddiskussion zur Haltung der Schweiz gegenüber dem Islam geschickt ausgenutzt.

Gegner der Initiative argumentieren in erster Linie mit der Religionsfreiheit in der Schweiz. Für sie gehört das Minarett zur Moschee, wie der Kirchenturm zur Kirche. Der Vorstoss gelte als fremdenfeindlich und rassistisch zu gleich und verletze das Menschenrecht. Wird die Initiative angenommen, so die Gegner, könnte dies zu einer Gefährdung des religiösen Frieden in der Schweiz führen. Zudem hätte dies auch Auswirkungen über die Schweizer Grenzen hinaus. Bei der Annahme wird befürchtet, dass dies negative Reaktionen in der muslimischen Welt hervorrufen könnte und die Sicherheit der Schweiz durch Aktionen aus islamistisch fundamentalistischen Kreisen gefährdet werden könnte – man denke an den Karikaturenstreit.

Jüdische Stimmen zur Initiative

An der Delegiertenversammlung des Schweizer Israelitischen Gemeindebundes (SIG) im Mai 2009 wurde die Politik stark auf das Gemeinsame, statt auf das Ausgrenzende gerichtet. So meinte Herbert Winter, Präsident des SIG, die Anti-Minarett-Initiative sei eine Bedrohung für den religiösen Frieden in der Schweiz und verletze die in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit. Ein Bauvorverbot von Minaretten sei keine angemessene Antwort auf mögliche muslimische Parallelgesellschaften. Wichtig sei eine Diskussion mit muslimischen Gemeinschaften (www.swissjews.ch).

Während die Minarette in der Schweiz an einer Hand abgezählt werden können, sehen die Befürworter in der Initiative eine Gelegenheit sich mit dem Islam als Ganzes auseinanderzusetzen. So wird die Diskussion schnell auch von ausgrenzenden und fremdenfeindlichen Argumenten begleitet. Durch den Diskurs werden Grundwerte der Schweiz in der Öffentlichkeit diskutiert, was zu einer Selbstreflexion der Schweizer Identität führt. Durch die Ausgrenzungspolitik der Befürworter wird das Eigene, das Schweizerische betont, was unter der „islamophobischen“ Bevölkerung zu Einigkeit und kollektiver Identität führt und den Befürwortern somit eine starke gemeinsame Basis gibt. Ob das Schweizer Recht tatsächlich irgendwann durch die Scharia ersetzt werden könnte, oder eine Art Parallelgesellschaft entstehen könnte ist sicher eine Frage, die sich in Zukunft stellen wird. Angesichts des Schweizer Rechtsstaates und der sekulären Verfassung, wird dieses „Problem“ jedoch zerfallen, solange die Hierarchie der Rechtsordnung respektiert wird.

Seien es nun Kirchenglocken, Imame oder „Schuleriefer“, der Lärm spielt bei der Diskussion natürlich eine untergeordnete Rolle und die Debatte findet klar auf einer übergeordneten Werteebene statt. Gerade aus jüdischer Sicht ist somit die offizielle Haltung des SIG durchaus zu verstehen. Die Schreckenszeit des Holocausts und das Prinzip „nie wieder“ spielt auch hierbei ein wichtiger Hintergedanke. Dabei ist jedoch nicht nur das jüdische Volk gemeint, sondern das Prinzip soll vielmehr auf die ganze Weltbevölkerung angewandt werden. Der Seismograph jüdischer Öffentlichkeit, der seit dem zweiten Weltkrieg auf Ausgrenzungstendenzen und Fremdenfeindlichkeit stark anfällig ist soll auch anfällig bleiben. Er ist zu einem wichtigen Instrument geworden, das Tendenzen in Richtung Ausgrenzung und Rassismus früh zu erkennen vermag.