Jüdische Bankiers und Heereslieferanten um 1800 in Bayern

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Dass Juden in Deutschland nicht nur Opfer, sondern häufig wertvollste Kulturträger waren, dass sie bedeutende Beiträge zum Geistesleben leisteten und dass sie zum Gedeih der Wirtschaft oft entscheidend beitrugen, wird nur in sehr wenigen allgemeinen Werken zur deutschen Geschichte gewürdigt. Erfreulicherweise haben jedoch diese positiven Aspekte der jüdisch-deutschen Minderheitengeschichte in kleineren Kreisen beständig angemessene Anerkennung gefunden. Letztere schlug sich in weit verstreuten Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Periodika, sowohl aus der Hand jüdischer als auch aus der nichtjüdischer Autoren, nieder…

Von Robert Schlickewitz

Gleich mehrerer solcher Trouvaillen, so werden zufällig aufgefundene literarische oder wissenschaftliche ‚Perlen‘ an unerwartetem Orte bezeichnet, enthält das 2. Oktoberheft der in München erschienenen „Illustrierten Halbmonatsschrift für Bayerns Land und Volk – Das Bayerland“ aus dem Jahre 1926.

Diese populärwissenschaftlich gehaltene Heimatzeitschrift, die mit dem Beisatz „Amtlich empfohlen von sämtlichen bayerischen Staatsministerien“ unter ihrem Namenszug warb, widmete sich gewöhnlich pro Heft einem eigenen Thema. Die oben erwähnte Nummer ist mit „Die Juden in Bayern“ überschrieben und enthält Beiträge jüdischer und nichtjüdischer Autoren.

Ehe auf einen bestimmten Artikel darin eingegangen wird, sei noch erwähnt, dass Ulla B. Vollhardt sich mit diesem Bayerischen Blatt näher beschäftigt hat und ihre Erkenntnisse 1998 unter dem Titel „‚Das Bayerland‘ und der Nationalsozialismus: Zum Wirken einer Heimatzeitschrift in Demokratie und Diktatur“ veröffentlicht hat.

Das Erscheinungsjahr 1926 des hier interessierenden Heftes stand vor allem in Bayern bereits stark unter dem Eindruck der an die Macht strebenden Nationalsozialisten. Auch wenn noch eine christlich-bürgerlich-konservative Regierung (BVP) die Geschicke des Landes bestimmte, kann man den vorherrschenden politischen Geist nur als rassistisch bezeichnen; so ist das Jahr 1926 in die Annalen der deutschen Sinti-und-Roma-Geschichte als das Jahr der diskriminierendsten Gesetze, die je gegen diese Minderheit erlassen wurden, eingegangen. Die Nationalsozialisten brauchten wenige Jahre später das bayerische Gesetz „zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“ nur noch zu übernehmen und auf das ganze Deutsche Reich zu übertragen.

Wie bekannt, war bereits 1920 an der Isar die NSDAP, 1921 die SA sowie 1925 die SS entstanden und antijüdische Aktionen, Einschüchterungen bzw. Gewalt gegen Juden gehörten 1926 in Bayern ebenso zur traurigen Realität wie eine breite Abneigung der Bevölkerung gegen diese wie andere Minderheiten. Um so erstaunlicher wirken daher die aus diesem nationalistisch vergifteten Rahmen fallenden judenfreundlichen Artikel im „Bayerland“.

„Die jüdischen Bankiers und Heereslieferanten Bayerns im Zeitalter der napoleonischen Kriege“ stammt von Diplomvolkswirt Ludwig Hümmert, der als Wohnort München angibt. Dessen Ausführungen zufolge ist diese Studie nur ein kurzer Auszug aus seiner wirtschaftsgeschichtlichen Dissertation. Von Hümmert wird in Kürze erneut zu berichten sein.

Zum besseren Verständnis seines Beitrages sind gewisse Erläuterungen des historischen Hintergrundes unerlässlich.

Bayern war gegen Ausgang des 18. Jh.s noch kein Königreich, sondern Kurfürstentum; es unterstand in den Jahren 1777-1799 seinem Landesherrn Karl Theodor, einem Pfälzer. Als 1792 Österreich und Preußen gegen Frankreich Krieg führten, bemühte sich der Kurfürst zunächst um einen Neutralitätskurs; die Umstände zwangen ihn jedoch bald ‚Farbe‘ zu bekennen und seine Soldaten österreichischem Kommando zu unterstellen. Nachdem sich aber Frankreich auf dem Schlachtfeld als überlegen erwiesen hatte, musste Bayern Territorien an den Sieger abtreten und dessen Vorherrschaft anerkennen; 1805 wurde es Frankreichs Bündnispartner. Unter seinem neuen Kurfürsten Maximilian IV. Joseph (ab 1799) und dessen Berater Maximilian Baron Montgelas erlebte Bayern auf französischer Seite stehend Schlachten und Siege gegen Österreich und Preußen, die ihm territoriale Gewinne eintrugen. 1806 proklamierte Maximilian Joseph die Königswürde für sich und es entstand damit das Königreich Bayern. Auch noch sechs Jahre später standen bayerische Truppen auf Seiten der Franzosen, mit denen sie in Russland eine vernichtende Niederlage erlebten. Diese hatte für Bayern zur Folge, dass 30 000 eigene Soldaten nicht mehr heimkehrten, aber auch dass die Oberhoheit Frankreichs beendet war.

„Die jüdischen Bankiers und Heereslieferanten Bayerns im Zeitalter der napoleonischen Kriege von Ludwig Hümmert, „Das Bayerland“, Nummer 20, 37. Jahrgang, Oktober 1926/II, S. 601f.

Wie die Rothschilds im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die europäischen Wirren zu erfolgreichen Geldoperationen ausnützten und das Fundament zur Weltmacht ihres Hauses legten, so kam auch den jüdischen Bankiers in Bayern die ‚Kriegskonjunktur‘ zugute. Dem bayerischen Staat, dessen Finanzen in große Unordnung geraten waren, haben die Juden einen Teil der materiellen Güter zur Verfügung gestellt, die er brauchte, um die langjährige Kriegsperiode glücklich zu überwinden. Durch Darlehen und durch Heereslieferungen, die erst nachträglich vergütet wurden, haben die Juden die Kriege Bayerns in der Napoleonischen Zeit mit finanziert.

Da die Steuerkraft der Untertanen beschränkt und öffentliche Anleihen bei der damaligen Armut des bayerischen Volkes wenig ergiebig waren, so wurden die zumeist jüdischen Bankiers mit Anlehenswünschen des bayerischen Staats überhäuft. Besonders umworben wurde im ersten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts das Bankhaus Westheimer & Straßburger in München, der Hofbankier Aaron Elias Seeligmann in München, der jüdische Bankier und Heereslieferant Obermayer in Augsburg, der Bankier Jakob Hirsch in Ansbach, ferner die Fürther Bank und das nichtjüdische Bankgeschäft Rüppel & Harnier in Frankfurt, schließlich Mayer Amschel Rothschild.
Die meisten bayerischen Staatsanlehen jener Zeit kamen bei A. E. Seeligmann zustande. Dieser stammte aus Leimen (bei Heidelberg), wo er Tabakfabrikant und Inhaber des Tabakmonopols für Bayern, ferner kurpfälzischer Hoffaktor unter Karl Theodor war. Durch seine Heereslieferungen an die kaiserliche Armee in den Niederlanden wurde er 1786 K. u. K. Hof- und Kammeragent. Bis 1802 Heereslieferant für die bayerische Armee, gewährte er im nämlichen Jahr dem bayerischen Staat eine Dreimillionen-Gulden-Anleihe zu 6 Prozent gegen Verpfändung der Steuereinnahmen, 1804 eine 500 000-Gulden-Anleihe zu 5 Prozent und 1808 eine Viermillionen-Anleihe zu 5 Prozent gegen Verpfändung der Zolleinnahmen. Die meisten Obligationen dieser Anleihen verblieben im Besitz der Familie Seeligmann, so daß von einer tatsächlichen Kreditgewährung, nicht nur von einer Vermittlertätigkeit Seeligmanns gesprochen werden kann. Dieser leistete auch an die königliche Kabinettskasse Vorschüsse von mehreren hunderttausend Gulden jährlich. Das Rechnungswesen des Auswärtigen Amts, also vor allem die Gehaltsauszahlungen an das Gesandtschaftspersonal im Ausland, besorgte der Bankier Seeligmann, der stets aushalf, wenn der diplomatische Dienst plötzlichen Geldbedarf hatte. Der jüdische Hofbankier, der zu den einflußreichsten Männern des Landes gehörte, erfreute sich des vollsten Vertrauens seines Königs, der ihm am 22. September 1814 den Adel als Freiherr von „Eichthal“ verlieh. Im darauffolgenden Jahr besorgte Arnold von Eichthal mit seinem Vater Aaron Elias die Umwechslung und Einlieferung der englischen Subsidiengelder im Betrag von 608 695 Pfund Sterling an die bayerische Staatskasse. Ein anderer Sohn des alten Seeligmann begründete in Paris das Bankhaus „Louis d’Eichthal“, während der jüngste Sohn Simon, unter der Mithilfe des Maier Anselm Rothschild, die Bayerische Hypothek- und Wechselbank gründete.

Ein anderer jüdischer Finanzmann, der durch Max Joseph geadelt wurde, war Jakob Hirsch aus Würzburg. Durch Kriegslieferungen und seit 1800 als Bankgeschäftsinhaber in Ansbach reich geworden, konnte er durch Anlehen und Bargeldvorschüsse die Finanznot des bayerischen Staates etwas lindern. Er war auch Hofbankier des Großherzogs von Würzburg, der ihm den Erwerb fränkischer Rittergüter gestattete, so daß er in Deutschland der erste jüdische Großgrundbesitzer mit Patrimonialgerichtsbarkeit wurde. Jakob Hirsch hatte große Pferdelieferungen an bayerische Garnisonen in Franken (geleistet) und rüstete 1813 auf eigene Kosten 75 Mann für den Befreiungskrieg aus. 1818 in den Adelsstand erhoben, wurde Jakob von Hirsch drei Jahre später bayerischer Hofbankier in München.

Weniger bekannt wurde die Tätigkeit des Bankiers Josuel Westheimer in München und Augsburg. In den Jahren 1800 und 1801 ermöglichte er durch seine Geldvorschüsse an die bayerische Hauptstaatskasse die Zahlung der Kontributionen an die französische Revolutionsarmee, welche Bayern besetzt hielt. Die Firma Westheimer & Straßburger gewährte 1802 dem bayerischen Staat ein zu 5 Prozent verzinsliches Anlehen von einer Million Gulden gegen Verpfändung der Steuergefälle. Im nächsten Jahr nahm der Kurfürst Max Joseph für seine Kabinettskasse ein Anlehen bei Westheimer & Straßburger auf. Als die beiden Bankiers im selben Jahre von den judenfeindlichen Maßnahmen der Augsburger Kaufmannschaft betroffen wurden, welche alle Wechselbriefe auf Juden, wenn sie nicht mit einem bürgerlichen Domizil versehen waren, mit Protest zurücksandten, da erklärte Max Joseph, daß er es nicht mit Gleichgültigkeit ansehen könne, wenn dadurch Nachteile für die zwischen dem bayerischen Staat und Westheimer eingeleiteten Geschäfte entstehen würden, und er unterstützte durch ein Schreiben an den Rat der Reichsstadt Augsburg den Bankier Westheimer, welcher ein Kontor in Augsburg beanspruchte, um seine Geschäfte unter eigenem Obligo führen zu können. Dem Wunsch des bayerischen Kurfürsten wurde nicht entsprochen; erst als ein halbes Jahr später die Finanznot den städtischen Rat zwang, bei den jüdischen Bankhäusern Westheimer & Straßburger, Henle Ephraim Ullmann und Jakob Obermayer ein Anlehen aufzunehmen, da erhielten die Bankiers Westheimer & Straßburger mit den beiden andern Juden die Aufenthaltsbewilligung in Augsburg. Auch die Stadt München bekam von Westheimer öfters Kredite; so lieh er noch 1820 zum Ausbau der Münchner Wasserleitung 300 000 Gulden. Als in der Zeit schlimmster Finanzkalamität, im Jahre 1812, auf Veranlassung des Staates die bayerische Diskontokasse gegründet wurde, beteiligte sich der Bankier Westheimer mit 300 000 Gulden am Aktienkapital dieses Instituts zur Hebung des Staatskredits und schloß die meisten Geschäfte der Diskontokasse auf eigene Rechnung ab. 1813 diskontierte Westheimer um 1 462 000 Gulden Wechsel der Schuldentilgungsanstalt. Im nächsten Jahr gewährte er derselben ein Anlehen von 2 250 000 Gulden, kaufte 1 375 000 Gulden Malzaufschlagsanweisungen und zwei Millionen bayerische Hypothekarsanweisungen und diskontierte noch Wechsel der Schuldentilgungsanstalt im Betrag von 1 550 000 Gulden. Nach Schluß des Krieges lieh Westheimer und der Hofbankier v. Eichthal dem Ministerium des Innern und dem Finanzministerium bedeutende Summen zum Ankauf von Getreide im Ausland, um die Hungersnot und die Teuerung von 1816/18 zu bekämpfen.

In dem beschränkten Raum ist es unmöglich, sämtliche Leistungen jüdischer Bankiers als Kreditoren des Staates anzuführen, noch schwieriger wäre es, die Scharen der jüdischen Heereslieferanten Bayerns Revue passieren zu lassen. Um eine Vorstellung von der Betriebsamkeit der Juden auf diesem ihrem ‚traditionellen‘ Gebiet händlerischer Betätigung zu ermöglichen, erwähne ich die Naturalienlieferungen an die bayerischen Truppen in Tirol für die Zeit vom 10. Januar bis 10. Juli 1810. Nach den Akten des Kriegsarchivs lieferten in diesem halben Jahr die Juden Jakob Obermayer, Samson Binswanger und Joseph Wallersteiner von Augsburg, Mendel Bachrach und Joseph Wolf Levi aus Vorarlberg, Jonas Nathan von Innsbruck, Israel Hirsch Pappenheimer, Gebrüder Marx und Abraham Uhlfelder aus München, ferner Jolson Uhlfelder, Feldmann und David Levi insgesamt 13 000 Zentner geschlachtetes Fleisch, 10 500 Zentner Mehl, 1500 Scheffel Korn, 2675 Eimer Branntwein, 42 700 Zentner Heu und Stroh und 12 750 Scheffel Hafer. Diese Waren, welche fast den ganzen Bedarf der Truppen in Tirol deckten, wurden immer erst einige Monate nach erfolgter Ablieferung an die Magazine bezahlt, so daß auch diese jüdischen Heereslieferanten als Kreditoren des Staates anzusprechen sind. Soweit im übrigen Bayern die Fouragelieferungen durch Akkord den Mindestfordernden übertragen wurden, hatten die Juden zumeist den Löwenanteil. Auch als Waffenlieferanten spielten sie eine große Rolle; ich nenne die Gewehr- und Säbellieferanten Marx, Kaula, Schnitzler und Kirschbaum. Die Finanznot des bayerischen Staates war 1815 noch so groß, daß dem jüdischen Lieferanten Spiro ein Betrag von 974 460 Gulden mangels Bargeld in Lotterieanlehenslosen vergütet wurde. Die Lieferungen der Juden an die bayerische Armee nach den Befreiungskriegen müssen aus dieser Betrachtung ausscheiden. Hier sollte lediglich hingewiesen werden auf die Geschäfte der Juden mit dem bayerischen Staat in einer der kritischsten Phasen seiner Entwicklungsgeschichte.“

Anmerkung:
Der Text wurde in der Originalschreibweise übernommen, auf die Wiedergabe einer Fußnote verzichtet und ein Setzfehler stillschweigend korrigiert.

Literatur, auch weiterführende:
Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Lebensläufe, (Hg.) M. Treml u.a., (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur Nr. 18/88), München 1988
Neues Lexikon des Judentums, (Hg.) J. H. Schoeps, Gütersloh/München 1998, Essay: Juden und Wirtschaftsleben in Deutschland von W. E. Mosse
R. Schlickewitz, Die ehrliche weißblaue Chronik, München 2006 (unveröffentlicht)
R. Schlickewitz, Sinti, Roma und Bayern, 3. Aufl., Deggendorf 2008
W. Volkert, Geschichte Bayerns, München 2001