Shining Stars

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Als 1996 ein Mörder am Dizengoff Center in Tel Aviv 13 Menschen ermordete, indem er sich in die Luft sprengte, befand sich unter diesen Menschen auch der 22-jährige Assaf Wax, dessen Schwester Maytal schwer verwundet wurde…

Von Julia Anspach

Die Produzentin und Regisseurin Yael Kipper Zaretzky folgte der damals 27-jährigen Frau während ihrer monatelangen Rehabilitation zurück in die Normalität eines Lebens, das zuvor nicht das ihre gewesen war. Sie dokumentierte in dem Film MAYTAL (1996) den harten und schmerzvollen Genesungsprozess, das langsame Realisieren dessen, was geschehen war: den Tod ihres Bruders, die eigene Zukunft im Rollstuhl mit schwersten Behinderungen. Ein halbes Jahr nach der Entlassung aus der Klinik trennte Maytal sich von ihrem Mann und lebte in den folgenden Jahren alleine. 2005 entschloss sie sich, durch künstliche Befruchtung ein Kind zur Welt zu bringen und alleine groß zu ziehen. Wieder begleitete Yael Kipper Zaretzky sie mit der Kamera durch den langwierigen und schweren Prozess der künstlichen Befruchtung und durch die Schwangerschaft: Es entstand der hoch emotionale und bewegende Dokumentarfilm SHINING STARS (2008).

Er erzählt die Geschichte Maytals durch die Augen der Kamera, aus der subjektiven Perspektive der Filmemacherin. Damit erzählt er ebenso die Geschichte der Freundschaft der Filmemacherin zu der Frau, deren Leben sie beobachtet und begleitet.

maytal

Es handelt sich um einen Film, der schwer in Worte zu kleiden ist; im Wesentlichen entwickelt er sich als Dialog zwischen Maytal und der Kamera – ein Dialog in Bildern. Jenseits der Informationen, die Zwischentitel und kurze Texte geben, jenseits der Off Voice Erläuterungen, der Fragen der Dialogpartnerin hinter der Kamera und jenseits selbst der Antworten, die Maytal gibt, erzählt ihr Gesicht, bisweilen von einer ruhigen Hintergrundmusik akzentuiert. Wenn sie in Momenten selbstvergessener Versunkenheit aus dem Fenster schaut, wenn sie angespannt an den Fingernägeln kaut, wenn sie erschrickt, schmerzverzerrt das Gesicht verzieht und einen Augenblick später lächelt, als könnte die Kamera diesen vergangenen Moment übersehen haben, oder auch nur vor sich hin starrt, während beispielsweise ihre Hände die Narbe auf dem schwangeren Bauch streicheln, übertragen die Bilder eine Nähe, die kein Dialog transportieren könnte. Maytals Augen, ihre Mimik teilen die Schmerzen des Durchlebten mit, die Pein der wiederkehrenden Erinnerungen und ermöglichen die Identifikation mit einer starken Frau und ihrer – trotz und wegen alledem – Freude am Leben.

Maytal kämpft gegen Erinnerung, gegen Einsamkeit, gegen einen gezeichneten Körper und zugleich um diesen Körper, um Leben, ihr Leben und ihre Freude daran: Sie lernt Tanzen, singt mit Freunden, fährt Fahrrad. Sie will Leben geben, weitergeben. Sie will sich erkannt und anerkannt wissen. Leben zu geben, ein Kind zu gebären bedeutet das Erinnern an die eigene Person zu sichern, und in Maytals Fall zudem die Erinnerung in der Zukunft an sich selbst als Person der Gegenwart. Eine Szene aus dem ersten Film als Rückblende wiederholt einen Satz, den sie nach dem Attentat sagte: „Nur ein Kind wird mich kennen, wie ich bin, nicht, wie ich vorher war.“ „Vorher“ – das ist der Zustand in der Vergangenheit, vor dem Moment, der alles veränderte. Ruhige Einstellungen lassen ihn in die Gegenwart hineinwirken.

Konfrontiert mit der Vergangenheit fehlen Maytal die Worte. Wieder und wieder drängt sich in die Gegenwart das Attentat als Ereignis, das für Maytal und ihre Familie alles veränderte. Es teilt sich im Anblick an Orte mit, in Gerüchen, Geräuschen und Gefühlen. Immer scheint es subtil präsent zu sein.

Als unbewältigtes Moment, als unvergessenes Ereignis kehrt es wieder und dominiert als schwarzes Loch in seiner Unbewältigtheit noch die Zukunft. Es ist von „vorher“, von „damals“, von „wie es war“ die Rede; die Dialoge ranken sich um ein unmittelbar Unaussprechliches.
Dieses schreckliche, unvergessliche Ereignis der Vergangenheit überwältigt Maytal bereits bei dem ersten Versuchs der künstlichen Befruchtung. Sie bricht zusammen. Und versucht es ein zweites Mal. Wieder und wieder beteuert sie, es sei der letzte Versuch. „Ich habe keine Kraft mehr.“ Sie blickt ermüdet und erschöpft in die Kamera: „Ich habe keine Kraft mehr.“ Sie hebt den Kopf und ihre Augen sagen mehr, als der Dialog könnte: Sie trotzt der Erschöpfung.

Zwölf Mal versucht sie es, die Anspannung wächst mit den sich wiederholenden Enttäuschungen – bis sie endlich schwanger ist. Doch das Glück währt nicht lange; es stellen sich schwere Komplikationen ein. Blutungen, ein Verdacht auf Bauchhöhlenschwangerschaft, Verwachsungen an den Eierstöcken: Maytal schwebt in Gefahr, wird operiert, es ist nicht sicher, ob die Schwangerschaft abgebrochen werden muss, ob es zu einer Fehlgeburt kommt.

Sie liegt mit schrecklichen Schmerzen im Krankenhaus, Schmerzen, die sie Sterne sehen lassen. Und sie singt von leuchtenden Sternen, schwankend zwischen schmerzhafter Verzweiflung, Flehen um Besserung, verzweifelt-zynischem Humor und Kampfesgeist. Schließlich erhält sie die gute Nachricht: Es sind vier Herztöne zu hören. Doch die gute Nachricht birgt wieder Konsequenzen: Maytal steht vor einer kaum erträglichen Entscheidung, denn sie kann keine vier Kinder zur Welt bringen.

Lachend erzählt sie von einem Traum, in dem sie Fünflinge zur Welt brachte: fünf Jungen. Auf die Frage der Filmemacherin, ob sie schon eine Entscheidung getroffen habe, antwortet Maytal nicht. Sie will nicht darüber reden. Ein Zwischentext teilt schließlich die Entscheidung mit: Maytal wird zwei Kinder bekommen. Das Wesentliche bleibt somit unausgesprochen: Ihr Lachen ist kein fröhliches, ihre Augen schauen traurig. Es sind Bilder, die Aussagen treffen, besonders die Bilder, die nicht gezeigt werden, die die Schwere der Entscheidung und die Verzweiflung verdeutlichen: Der Zwischentext verbirgt Bilder, spricht für Maytal, die nicht aussprechen kann, was für sie kaum erträglich zu sein scheint und vermittelt in dieser Funktion als Verschleierung des Schmerzes mehr, als Bilder es unmittelbar könnten.

Bald kommt es erneut zu Komplikationen: Im sechsten Monat hat Maytal eine Frühgeburt. Ihre Töchter Noa und Maya sind unterentwickelt und schwach, kämpfen um ihr Leben und müssen monatelang im Brutkasten liegen bis sie nach Hause dürfen. Lange bangt Maytal um ihr Leben, langsam tastet sie sich an die Babys heran. Die ersten vorsichtigen Berührungen, die ersten gemeinsamen Minuten außerhalb des Brutkastens, die ersten Tage zu Hause. Die Präsenz der von Maytal eifersüchtig beäugten Kinderfrau verdeutlicht, dass über das scheinbar glückliche Ende hinaus das Verhältnis dieser Mutter zu ihren Kindern niemals unkompliziert sein kann. Dies überschattet noch den Ausblick in die Gegenwart mit Noa und Maya als lebhaft spielenden und krabbelnden Mädchen, den der Abspann mit anderthalb Jahren zeitlicher Differenz bietet.

Während der Schwangerschaft verändert sich Maytals Verhältnis zur Kamera und der Filmemacherin, die nun als deren Vertraute stärker wahrnehmbar wird: Sie wird angesprochen und ist als Gesprächspartnerin sogar im Bild. Dies erscheint in der Entwicklung des Filmes konsequent und vergrößert zugleich die Distanz zum Zuschauer, der bislang durch die Position der Kamera eine unmittelbare Nähe zu Maytal und ihrer Geschichte empfinden konnte.

Insbesondere mit der Geburt treten die Babys als Bezugspersonen hinzu, die Relevanz des Zuschauers nimmt ab: Er verbleibt als Beobachter. Zuvor konnte er emotionaler Begleiter sein, indem er als Zeuge von Maytals Kampf gegen die Einsamkeit und die Alpe, die sie nicht losließen, in Teilen durch leise Hintergrundmusik angeleitet, mit ihr mitfühlen konnte.

Nun entlässt der Zuschauer mit dem Film seine Hauptperson und ihre Töchter in die Zukunft des erfüllten Traums und Wunsches in Form neuer emotionaler Bindungen. Indem ihre Kinder sie nun als Menschen der Gegenwart kennen und lieben lernen, kann auch Maytal sich in gewisser Weise von der Vergangenheit emanzipieren – und mit dieser auch von der Kamera als Repräsentant und Bewahrer dieser Vergangenheit.

SHINING STARS (Israel, 2008)
Regie: Yael Kipper Zaretzky, 61 Minuten