Von Wien nach New York: Zum Tode der Psychoanalytikerin Else Pappenheim (22.5.1911 – 11.1.2009)

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Die österreichisch-amerikanische Psychoanalytikerin Else Pappenheim war das letzte Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) – und gehörte doch allzu lange zu den Vergessenen der von Sigmund Freud geprägten, ins Exil vertriebenen Wiener Psychoanalytikerinnen. Am 11. Januar ist sie 97-jährig in New York verstorben. Ein Anlass, an ihren schwierigen, und doch produktiven Lebensweg zu erinnern…

Von Roland Kaufhold

pappenheimElse Pappenheim wurde in Salzburg als Kind einer jüdischen Familie geboren und besuchte die legendäre, progressive Wiener Reformschule von Eugenie Schwarzwald. In ihrer Maturaarbeit legte sie eine sowohl sprachlich als auch theoretisch anspruchsvolle Studie über den Dichter Friedrich Hölderlin vor, welcher später schizophren werden sollte. In dieser frühen umfangreichen Studie ist ihr psychiatrisch-klinisches Interesse bereits spürbar – welchem sie ihr Leben lang verbunden bleiben sollte. Diese Studie wurde erst vor vier Jahren, gemeinsam mit zahlreichen weiteren ihrer Studien, in einem vulominösen, von Bernhard Handlbauer 2004 herausgegebenen Sammelband publiziert. Eine ihrer Mitschülerinnen war die Psychoanalytikerin und Marxistin Marie Langer, mit der sie zeitlebens befreundet blieb und der sie einen rührenden, langen Nachruf widmete (in Handlbauer 2004).

Else Pappenheim studierte an der Wiener Universität Psychologie, ließ sich von Anna Freud psychoanalytisch ausbilden und war seit 1937 Mitglied der Wiener psychoanalytischen Vereinigung. Im Rahmen ihrer Ausbildung lernte sie die Psychoanalytiker Otto Isakower, Richard Sterba, Heinz Hartmann, Anna Freud, Paul Schilder, die Bühlers, Emmy Sylvester und Judith Kestenberg kennen. Nach dem Medizinstudium arbeitete sie als Ärztin an der Wiener neurologisch-psychiatrischen Klinik. „Man hat irgendwie geglaubt, man könne noch studieren, noch fertig machen, so ging es von Jahr zu Jahr,“ (Handlbauer 2004, S. 55) erinnerte sie sich Jahrzehnte später an diese schwierigen, bedrohlichen letzten Jahre in Wien.

Ihre Erinnerungen an diese Jahre erscheinen als von tiefer Enttäuschung geprägt, da ihr – sie galt erst als „Anwärterin“ – von ihren Wiener sowie ihren amerikanischen Kollegen nicht geholfen worden sei. Angst hatte sie in dieser Zeit dennoch nie. Ihre lebenslange Freundin Judith Kestenberg – später eine Pionierin einer Arbeit mit kindlichen Opfern der Shoah – „wurde meine Rettung“ (Handlbauer 2004, S. 74): Sie vermittelte ihr ein Affidavit. Am 8.11.1938 emigrierte sie, nach einem Zwischenaufenthalt in Haifa, wo sie noch einmal ihren Vater wiedertraf, nach New York. Ihrer Mutter sowie einigen weiteren Verwandten hingegen gelang die Flucht nicht mehr. Sie entzogen sich am 25.1.1942 in Bonn der Deportation durch Selbstmord.

Ihr Vater Martin Pappenheim (1881-1943), seit 1928 WPV-Mitglied, war in Wien ein bekannter Psychoanalytiker und aktiver Sozialdemokrat. Er gehörte zum engeren Kreis um Sigmund Freud. 1934, nach dem blutigen Scheitern der Wiener Februaraufstände, war er nach eindringlichen Warnungen von Freunden von einer Palästinareise nicht mehr nach Wien zurückgekehrt. Er war maßgeblich am Aufbau der Psychoanalyse in Palästina beteiligt und hatte einige berühmte Zionisten – Meir Dizengoff (1861 – 1937) und Chaim Nachman Bialik (1873-1934) – psychotherapeutisch behandelt. Martin Pappenheim gehörte zu den Mitbegründern der Vereinigung für psychische Hygiene Palästinas und führte Konsultationen in Ägypten und Syrien durch. Seine Schwester Marie Frischauf-Pappenheim gehörte in Wien gemeinsam mit Wilhelm Reich zu den Begründern der „Sozialistischen Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung“.

Else Pappenheim ließ sich zunächst an der John Hopkins Klinik in Baltimore, 1941 dann mit ihrem aus Wien gebürtigen Mann, dem österreichischen Anwalt und Ingenieur Stephen Frishauf, in New York nieder. Dort arbeitete sie ab 1943 als Psychoanalytikerin sowie als Hochschullehrerin. Psychiatrische Erkrankungen standen im Mittelpunkt ihres klinisch-therapeutischen Interesses. Erst in ihren letzten Jahren fand sie, u.a. im Kontext von Oral History Projekten, wieder, innerlich zögernd und wohl zutiefst ambivalent, Zugang zu ihrer Wiener Heimat. In zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen erinnerte sie sich als Zeitzeugin an die Entstehung der Psychoanalyse in Wien (Handlbauer 2004) sowie an die Psychoanalyse in New York (Boveland 2006). Ihre umfangreiche Privatbibliothek stiftete sie vor einigen Jahren, sie war nahezu erblindet, der Sexualberatungsstelle Salzburgs.

1956 – 18 Jahre nach ihrer rassistischen Vertreibung aus ihrer Heimat – ist Else Pappenheim erstmals wieder nach Österreich gereist. Eine Remigration nach Wien – wie sie Ernst Federn 1972 vollzogen hat – kam für sie und für ihren Ehemann jedoch nie ernsthaft in Frage. Die zerstörerischen Erfahrungen, die eigenen Verluste, waren zu bedrückend. Erst das Wiener Symposium „Vertriebene Vernunft“ im Jahr 1987, an welchem sie gemeinsam mit Bruno Bettelheim, Ernst Federn und Rudolf Ekstein teilnahm, ermöglichte eine Wiederannäherung an jüngere österreichische Kollegen, hierunter an Bernhard Handlbauer. Auf die Frage nach ihrem Zuhause entgegnete Else Pappenheim einmal: „Im Grunde genommen wahrscheinlich noch immer Wien, obwohl das grotesk ist. Das ist nicht zu Hause. Aber sagen wir, in meiner Seele ist es das Zuhause.“ (Handlbauer 2004, S. 139).

Ihr Einfühlungsvermögen, etwa in den drei Jahre jüngeren Ernst Federn, der sieben Jahre Lagerhaft in Dachau und Buchenwald überlebt hat und zu einem Pionier einer Psychoanalyse des Terrors wurde, ist bewegend. Etwa 20-jährig hatte sie Ernst Federn in Wien kennengelernt. Jahrzehnte später formulierte diese bemerkenswerte Frau in einem Interview ihre Wertschätzung ihres lebenslangen Freundes:

„Was mir an ihm wirklich imponiert: der Mann war sieben Jahre im Konzentrationslager und ist trotzdem anständig geblieben. Er hat eine besonders liebe Frau und hat trotz allem zustande gebracht, nicht nur ein normales Leben zu führen, sondern sogar sehr engagiert mit Gefangenen zu arbeiten. Das imponiert mir. Er ist wirklich ein hochanständiger Mensch. Er ist von Kreisky eingeladen worden zurückzukommen, ist wirklich ein Idealist in vieler Beziehung und ein Optimist. Ich habe ihn gefragt, ob es in Österreich wirklich so schlimm ist und er hat gesagt, `aber nein, es ist ja alles nicht so arg´ – die Gemeinde und die Regierung täten sehr viel gegen den Antisemitismus. Er, der ein wirkliches Opfer war, sagt das. Ich muss sagen, es imponiert mir, dass jemand so – nicht nur anständig, sondern – gut bleiben kann und nicht bösartig geworden ist. Das ist schon allerhand, dass einer das überlebt und trotzdem noch an die Menschheit glaubt. Das bewundere ich.“ (Handlbauer 2004, S. 272)

Am 11. Januar ist Else Pappenheim 97-jährig in New York verstorben.

Literatur:
Bernhard Handlbauer (Hg.) (2004): Else Pappenheim. Hölderlin, Feuchtersleben, Freud.
Beiträge zur Geschichte der Psychoanalyse, der Psychiatrie und Neurologie (Bibliothek Sozialwissenschaftlicher Emigranten, Bd. VII), Graz-Wien (Verlag Nausner & Nausner).
Brigitta Boveland (2006): Exil und Identität. Österreichisch-jüdische Emigranten in New York und ihre Suche nach der verlorenen Heimat. Gießen (Haland  & Wirth im Psychosozial-Verlag).

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