Neue Studie über bayerische Ärzte in der NS-Zeit…
Im April 1933 forderte Adolf Hitler vor den versammelten Funktionären der ärztlichen Spitzenorganisationen „die Ausmerzung der Überzahl jüdischer Intellektueller“ – eine „rassenhygienische Reinigungsarbeit“, die ein „festes Fundament für die künftige völkische Entwicklung schaffen solle.“ Diese Forderung fiel bei der deutschen Ärzteschaft auf fruchtbaren Boden, da Viele schon in der Weimarer Republik mit autoritären und nationalsozialistischen Überzeugungen sympathisierten, wie die bereits 1929 in Nürnberg erfolgte Gründung des Nationalsozialistischen Ärztebunds verdeutlicht. Dessen Satzungsziel war es, „das Heilwesen mit nationalsozialistischem Geist zu durchdringen.“ Julius Moses, Berliner Arzt und ehemaliger SPD-Reichstagsabgeordneter konstatierte daher: „Man kann heute sagen, dass bei keinem anderen akademischen Beruf die nationalsozialistische Propaganda solchen Erfolg erzielt hat, wie bei den Ärzten.“ Im Verhältnis zu anderen wissenschaftlich gebildeten Berufsgruppen hatten die Mediziner mit 45 Prozent den höchsten Anteil an NSDAP-Mitgliedern. Ihre Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Terror-Organisation SS (Schutzstaffel) lag bei rund neun Prozent. Die einzige Berufsgruppe, die in der SS noch stärker repräsentiert war als die Mediziner, waren die Juristen.
Die deutsche Ärzteschaft hatten einen wesentlichen Anteil an den Verbrechen des NS-Regimes wie etwa bei der „Euthanasie“ oder der Zwangssterilisierung. Zwischen 1933 und 1945 wurden etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert; Hunderttausende von „lebensunwerten“ Männern, Frauen und Kinder wurden im Rahmen der T 4-Aktion vergast und bei Menschenversuchen im Rahmen der Medikament-„Euthanasie“ oder bei Tötungen durch medizinisch begleitete Unterernährung ermordet.
Viele dieser Mediziner haben ihre Karrieren nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt – ihre Verstrickungen in das nationalsozialistische Mordprogramm war lange Zeit ein Tabuthema. Erst nachdem Historiker wie etwa Ernst Klee die Rolle der Ärzte im NS-System untersucht hatten, beschäftigten sich – eher zögerlich – auch die ärztlichen Standesorganisationen mit diesem unseligen Kapitel ihrer Geschichte. Lange Zeit galt jedoch das Motto: „Wenn auf der Wäsche einige hässliche Flecken sind, dann wird sie nicht dadurch sauberer, dass man sie vor aller Welt aufhängt.“ Erst im Jahr 2010 verabschiedet der 68. Bayerische Ärztetag den Beschluss, „die Erforschung der Rolle der organisierten Ärzteschaft bei Euthanasie und Zwangssterilisierung im Nationalsozialismus in Bayern“ erforschen zu lassen. 2017 wurde die von Annette Eberle, Professorin für Pädagogik und Dekanin an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, erarbeitete Untersuchung publiziert. Die Autorin beschreibt wie ab 1933 die Selbstgleichschaltung innerhalb der Ärzteschaft vonstatten ging, die Ausgrenzung der jüdischen Konkurrenten brutal durchgesetzt wurde und dokumentiert die institutionelle Verquickung der Mediziner mit dem NS-Parteiapparat. Ausgehend von München, der „Hauptstadt der Bewegung“ beschreibt Eberle detailliert die Funktion der Ärztekammer und kassenärztlichen Vereinigung als politische Verwalter einer Gesundheitspolitik des „Ausmerzens“ zwischen 1933 und 1945.
Eine wichtige und eindrucksvolle Studie, die leider viel zu spät vorgelegt wurde, denn viele NS-belastete Mediziner konnten in der Bundesrepublik amtlich „entnazifiziert“ in Praxen und Universitäten unbehelligt ihrer Arbeit nachgehen. – (jgt)
Annette Eberle: Die Ärzteschaft in Bayern und die Praxis der Medizin im Nationalsozialismus. Berlin 2017, 336 Seiten, 22 €, Bestellen?
Bild oben: NS-Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti im Hof des Hauses der Deutschen Ärzte, München (April 1939), Repro: aus dem besprochenen Band