Hauptsache Diskretion

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Trotz Embargo und fehlender diplomatischer Anerkennung herrscht zwischen Israel und manchem arabischen Staat ein reger Warenverkehr. Nur viel reden will kaum einer über diese Geschäfte. Zudem tauchen sie in den meisten Statistiken nicht auf…

Von Ralf Balke

Ziemlich beste Freunde. Auf diese Formel ließe sich der aktuelle Stand der Beziehungen zwischen Israel und Saudi Arabien auf den Punkt bringen. Obwohl die wahabitische Regionalmacht den jüdischen Staat nicht offiziell anerkennt, herrscht zwischen Jerusalem und Riad seit geraumer Zeit eine Harmonie, die jedoch nur auf dem ersten Blick zu überraschen vermag. Denn Israel, Saudi Arabien, aber auch die Golfstaaten sind sich einig in ihrer Einschätzung, dass der Iran derzeit für sie alle die größte existentielle Bedrohung darstellt. Genau deshalb tauschen die Nachrichtendienste beider Länder bereits regelmäßig Informationen aus. Doch trotz der neuen Annäherung sorgte eine Meldung dieser Tage für Verwirrung. Mit Verweis auf diplomatische Quellen meldete das arabische Nachrichtenportal al-Khaleej Online, dass Israel den Saudis ihr hochmodernes Raketenabwehrsystem Iron Dome verkaufen würde. Der Handel sei durch amerikanische Vermittlung zustande gekommen, hieß es darin weiter. Sofort machte diese Neuigkeit in den israelischen Medien die Runde. „Einen solchen Deal gibt es aber nicht“, betonte daraufhin das Verteidigungsministerium in Tel Aviv in einer Erklärung. Und auch Rafael Advanced Defense Systems, der staatliche Rüstungsbetrieb, der zusammen mit Israel Aerospace Industries (IAI) das Hightech-System herstellt, verneinte umgehend einen geplanten Verkauf.

In der Tat wäre die Lieferung eines derart hochmodernen Rüstungsguts aus Israel an ein arabisches Land einige Schlagzeilen wert. Auch ist es nicht das erste Mal, dass Gerüchte über einen möglichen Verkauf des Iron Dome-Systems nach Saudi Arabien zum Schutz vor den Raketen der vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen durch die Medien geistern. Und schließlich gibt es zwischen Israel und der arabischen Welt einen recht regen Warenaustausch und das nicht erst seit heute. Zwar gilt der 1948 von der Arabischen Welt beschlossene Boykott des jüdischen Staats theoretisch immer noch. Aber wirkungslos ist er schon lange. Zum einen, weil es mit Ägypten seit 1979 und mit Jordanien seit 1994 einen Friedensvertrag gibt und damit auch der Handel mit diesen beiden Ländern ganz offiziell wurde. Zum anderen haben israelische Unternehmen oft genau das im Angebot, was im Irak, in Tunesien oder den Golfstaaten sehr begehrt ist. Das fängt bei medizinischen Geräten an und geht über landwirtschaftliche Produkte bis hin in den Bereich, in dem die Israelis eben oft die Technologieführerschaft besitzen: Sicherheits-Hightech.

„Alles fing vor etwas über drei Jahren mit einer Email an“, erinnert sich denn auch Shmuel Bar. „Absender war jemand aus den oberen Etagen der saudischen Regierung und man bat mich darum, via Skype über ein interessantes Projekt zu diskutieren“, so der Geschäftsführer von IntuView, einem Unternehmen, das mit Hilfe von Big Data soziale Netzwerke auf mögliche terroristische Aktivitäten hin durchforstet. „Die Saudis hatten Wind von meiner Technologie bekommen und zeigten großes Interesse.“ Dabei ging es vor allem um die von ihm mitentwickelte Software IntuScan, mit der sich vier Millionen Facebook und Twitter Nachrichten am Tag analysieren lassen. Doch ganz so einfach sollte man nicht ins Geschäft kommen. Zuerst musste in einem neutralen Drittland eine Firma gegründet werden, die dann von dort aus offiziell die Produkte an die Saudis verkaufte. Die israelische Herkunft sollte auf diese Weise verschleiert werden. „Von meiner Seite aus war das kein Hindernis“, erinnert sich Bar. Einerseits besaß er eine gültige Exportlizenz für seine Software, andererseits machte auch der typisch israelische Pragmatismus den Deal möglich. „Wenn es sich nicht um ein Land handelt, das sich uns gegenüber feindselig verhält, warum sollen wir da nicht helfen?“ Für Syrien, den Libanon oder den Irak und Iran gelten natürlich weiterhin andere Spielregeln.

Der Löwenanteil des Handels von Teilen der arabischen Welt mit Israel wird also im Regelfall über ein Drittland getätigt und taucht deshalb in kaum einer Statistik explizit auf. Das erklärt auch, warum beispielsweise das kleine Zypern in manchen Jahren Waren aus Israel in einem Wert von bis zu 676 Millionen Dollar importiert. Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Einfuhren geht dann an Tunesien, Kuwait oder den Oman weiter. Bei den Geschäften durch die Hintertür gilt die Regel: Rede nicht darüber! Weder der israelische Produzent noch der arabische Kunde verlieren ein Wort darüber. Wenn doch einmal etwas öffentlich wird, ist garantiert ein Fehler unterlaufen. So wie vor einigen Jahren in einem Krankenhaus in Dubai, als Mitarbeiter den örtlichen Medien zufolge „schockiert“ feststellten, dass ihre Uniformen, Handtücher und Bettbezüge einen ‚Made in Israel‘-Sticker trugen. Der israelische Exporteur hatte schlichtweg die Kartons vertauscht und versehentlich Ware mit hebräischer Aufschrift und Herkunftsbezeichnung verschickt.

Aber auch über die Türkei und Jordanien fließen israelische Waren en masse in andere arabische Länder. So lässt sich laut einer aktuellen Studie des Tony Blair Institutes for Global Change das Volumen der israelischen Exporte in die Länder des Golfkooperationsrates auf derzeit rund eine Milliarde Dollar im Jahr veranschlagen. „Alle diese Ausfuhren erreichen ihre Kunden dort ausschließlich über Drittländer in der Region oder in Europa“, so die Autoren. „Israels Handel mit den MENA-Staaten, also den Ländern des Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrikas ist damit deutlich größer als die meisten annehmen.“ Konkret heisst das: Es wurden 2016 Waren und Dienstleistungen im Wert von sieben Milliarden Dollar dort abgesetzt. Das entspricht einem Anteil von ungefähr sieben Prozent aller israelischen Ausfuhren. Ägypten und Jordanien dagegen, also jene zwei arabischen Staaten, mit denen man ganz offiziell diplomatische Beziehungen hat, fallen laut der Studie des Thinktanks, mit nur 0,2 Prozent aller israelischen Ausfuhren kaum ins Gewicht. In umgekehrte Richtung fließen die Waren etwas spärlicher. Aus den MENA-Staaten gingen Waren im Wert von rund vier Milliarden Dollar nach Israel, was wiederum sechs Prozent aller israelischen Importe in einer Gesamthöhe von 64 Milliarden Dollar entspricht.

Wie die Geschäfte zwischen beiden Seiten auch aussehen können, zeigt das Beispiel der israelischen Plastikindustrie. Dort braucht man viel Polyäthylen oder Polypropylen als Rohstoffe, um Schläuche für Bewässerungsanlagen, Abdeckungen für Gewächshäuser oder Verpackungsmittel herzustellen – allesamt Produkte, für die auch in der arabischen Welt eine große Nachfrage besteht. Das auf Öl basierende Ausgangsmaterial dafür stammt in erster Linie aus Saudi Arabien oder den Golfstaaten. Es wird aber nicht nach Israel direkt geliefert, sondern vor allem in die Türkei, wo israelische Unternehmen dann vor Ort produzieren lassen und von dort aus ihre arabische Kundschaft beliefern. „Ich nehme an, das ist auch der Grund, warum unser Warenverkehr mit der Türkei ein derart hohes Volumen hat“, erklärt Alon Liel, ehemaliger Generaldirektor im israelischen Außenministerium. „Darin enthalten sind ebenfalls viele Ausfuhren an Staaten, mit denen wir keine offiziellen Beziehungen haben.“

Doch der Handel zwischen Israel und den arabischen Staaten könnte bald kräftig an Schwung gewinnen. Denn wenn es nach den Vorstellungen von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu geht, soll der jüdische Staat zum Eingangstor für den Warenverkehr von großen Teilen der arabischen Welt werden. Rund 1,7 Milliarden Dollar sollen deshalb in den Ausbau der entsprechenden Infrastruktur fließen. In diesem Konzept kommt Jordanien als Transitland eine Schlüsselrolle zu. Bereits heute ist der Hafen von Haifa ein wichtiger Umschlagplatz für Güter, die aus und in das Haschemitische Königreich transportiert werden. Und weil die Straßen des vom Bürgerkrieg geplagten Syriens wohl auf längere Zeit für den Handel Saudi Arabiens sowohl mit der Türkei als auch der EU ausfallen, scheint Riad ebenfalls an diesem Konzept Gefallen zu finden und via Jordanien Haifa nutzen.

Bereits heute profitiert Israel davon, moderne Hafenanlagen an der Mittelmeerküste zu haben. So hat sich die Zahl der Lastwagen, die von Haifa aus nach Jordanien fahren, seit 2011 mehr als vervierfacht. Auch gibt es Überlegungen, den Hafen über die Schiene besser an die Region östlich von Israel anzubinden. Das würde dann auch den Irak mit an Bord bringen. Denn irakische Güter finden, natürlich nicht offiziell, schon heute gleichfalls über Haifa den Weg zu ihren Kunden. Die israelische Hafenstadt als Bagdads Fenster zum Mittelmeer – dieses Konzept wurde erstmals in den 1860er Jahren vom britischen Konsul in Haifa, Thomas B. Sandwit, formuliert, dem auf diese Weise sogar eine Handelsverbindung bis hin in das damals zum Empire gehörende Indien vorschwebte. Nun könnte es klappen. Außerdem würde sich der Irak auf diese Weise ein wenig dem Dominanzstreben Teherans entziehen können und wäre nicht exklusiv auf den Persischen Golf als einzige Verbindung über das Meer zur Außenwelt angewiesen. „Israel könnte so seine historische Rolle als Transitland und Brücke zwischen den Kontinenten erneut einnehmen“, bringt es Yael Ravia-Zadok, Leiterin der Wirtschaftsabteilung im Außenministerium in Jerusalem, auf den Punkt. Das in diesem Konzept auch Staaten eingebunden sind, die ein sehr distanziertes Verhältnis zum jüdischen Staat haben, ist weniger problematisch als die Ausfuhr israelischer Produkte. Schließlich zählt am Zielort nur das Land der Herkunft der Güter und keinesfalls der Weg, den sie genommen haben. So steht in den Lieferpapieren für Stahl aus der Ukraine nicht, ob sie via Israel beim irakischen Kunden ankommen oder ein anderer Transportweg gewählt wurde. Diskretion wäre dann nicht mehr wichtig.

Bild oben: Der Hafen von Haifa. The image is released under the CC-By-3.0 license by Zvi Roger of the Spokesperson, Publicity & Advertising Division, Haifa Municipality (released on June 2010).