Kfar Tikva ist das Dorf der Hoffnung. Es befindet sich malerisch gelegen auf einem Hügel in der weiten Jezrael Ebene zu Fuße des Karmelgebirges. Im Dorf der Hoffnung leben Menschen mit besonderen Bedürfnissen…
Von Oliver Vrankovic
Das Behindertendorf Kfar Tikva wird Anfang der 1960er Jahre von Dr. Siegfried Hirsch auf dem Gelände des aufgegebenen Kibbutz Givat Zaid gegründet. Der Einwanderer aus Königsberg will, dass seine Tochter Judith und Kinder anderer Familien „so leben wie wir”. Seine Vision ist ein Werkdorf für Behinderte, in dem die Bewohner, entsprechend ihren Fähigkeiten, Arbeiten in Werkstätten und in der Landwirtschaft verrichten. Dr. Hirsch und seine Mitstreiter sind Überlebende des Holocaust. Eine Betreuung ihrer Kinder durch Weißkittel lehnen sie ab.
Siegfried Hirsch wendet sich mit seiner Vision an den noch jungen Verein zur Förderung und Rehabilitierung geistig Behinderter in Israel, AKIM. Henni Rothschild, eine Mitbegründerin von AKIM ist eine gute Bekannte von ihm, mit der er das Faible für die Montessori Pädagogik teilt. Dr. Hirsch sei beseelt gewesen von der Idee, Behinderte in die weitestgehende Selbstständigkeit zu entlassen, erinnert sich Henni. In seinem Bemühen um das Gelände des aufgegebenen Kibbutz Givat Zaid hat Dr. Hirsch einen gewichtigen Fürsprecher. Der israelische Staatspräsident Shazar setzt sich bei der Jewish Agency für die Übergabe des Geländes ein. Um dies zu verstehen, müsse man wissen, dass der erste Mann im Staat selbst eine behinderte Tochter hatte, erklärt Henni Rothschild.
Der Grundgedanke, der Kfar Tikva bis heute zu Grunde liegt, ist die Aufforderung der Montessori Pädagogik: “Hilf mir, es selbst zu tun”.
In seiner Suche nach Geldgebern und Unterstützern wendet sich Dr. Hirsch an den deutschen Missionar Friedrich Nothacker, dessen Verein Zeddekah sich der Israelhilfe verschrieben hat. Tatsächlich rekrutiert Nothacker in Deutschland mehr als 60 Freiwillige, die mit Baumaterial, Maschinen, Tatkraft und z.T. Fachwissen ankommen um anzupacken.
Wie im Kibbutz
1964 ziehen die ersten Bewohner ins Dorf. „Kfar Tikva – Ort für besondere Menschen” heißt es auf dem Logo, dass von einem Baum und einem Herz geziert wird. Im Dorf werden die besonderen Menschen „Chaverim“ gerufen – hebräisch für „(Kibbutz)Mitglieder“, aber auch „Freunde“.
Heute zählt Kfar Tikva 220 Chaverim mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen. Die meisten leben im Dorf in einer kibbutzähnlichen Gemeinschaft. Sie teilen sich dort meist zu zweit oder zu dritt eine kleine Wohnung.
In Kfar Tikva wird viel Wert auf einen strukturierten Tagesablauf gelegt und darauf, dass die Chaverim einer geregelten und sinnstiftenden Arbeit nachgehen. Über die Arbeit, so erklärt die Sozialpädagogin Jelena, würde den Dorfbewohnern Selbstwertgefühl vermittelt. Im Dorf gibt es ein Gartenteam, eine Holz- und eine Keramikwerkstatt und eine Bäckerei. In einem größeren Fabrikgebäude werden Kerzen verpackt. Außerdem befindet sich im Dorf eine Tierfarm und eine Hundepension und die renommierte Winzerei Tulip.
Natan gehört zu den ersten Bewohnern des Dorfes. Heute arbeitet er im Besucherzentrum der Weinkellerei. Die Schichtleiterin versichert, dass er ein fantastischer und verlässlicher Angestellter sei. Auch wenn er inzwischen die meiste Zeit einfach nur auf einer Bank in der Vinothek sitzt, wolle keiner seiner Kollegen ihn missen. Am Nachmittag wird Nathan von einer deutschen Volontärin zum Spaziergang ausgeführt.
Neben den Angestellten des Dorfes kümmern sich jedes Jahr 10 bis 15 junge deutsche Volontäre und 8 bis 10 junge israelische Freiwillige um die Chaverim. Die Freiwilligen übernehmen morgens leichte Pflegedienste und helfen dann in den Werkstätten und anderen Arbeitsbereichen mit, die Dorfbewohner anzuleiten. Am Nachmittag sind die Volontäre in das Freizeitangebot eingebunden, das Kreativworkshops und andere Aktivitäten im Dorf umfasst, aber auch Aktivitäten wie Falafel essen, Bowling oder Reiten außerhalb des Dorfes. Ein weiteres Arbeitsfeld der Volontäre ist die Eins-zu-Eins Betreuungen, bei denen auf die Chaverim individuell eingegangen wird. Spazieren gehen mit Nathan ist so eine Eins-zu-Eins Betreuung.
Engagierte Voluntäre
Junge Deutsche, die in Kfar Tikva ein Freiwilligenjahr leisten, sind in den Charakter des Dorfes eingeschrieben. Natan hat in den 52 Jahren, die er im Dorf der Hoffnung lebt, fast Tausend junge Deutsche kommen und gehen sehen. Junge Israelis, die vor ihrer Rekrutierung für die israelischen Streitkräfte ein freiwilliges soziales Jahr leisten, sind in Kfar Tikva relativ neu. Für Shir Hirsch aus dem Kibbutz Kfar Giladi war es zunächst merkwürdig, mit Deutschen zusammen zu arbeiten. Darauf habe sie sich nicht vorbereitet, als sie im August 2015 angefangen habe, sagt sie. Doch fast ein Jahr später spricht die Begeisterung aus ihr. Es sei aufregend, eine andere Kultur kennenlernen und dabei zu einer Gruppe zusammenzuwachsen. Und eines stehe für sie fest: Sie werde ihre neuen Freunde bald in Deutschland besuchen. Shir und die anderen israelischen Freiwilligen gehören der Kibbutzbewegung an, in der die Vorstellungen von Gleichheit und Brüderlichkeit aufgehoben sind.
Er stamme selbst aus einem Kibbutz, sagt der Sozialmanager Moshik Gross, der seit 2002 Direktor und Bürgermeister des Dorfes ist. Ein ganz wichtiger Beweggrund, die Leitung von Kfar Tikva zu übernehmen, sei die kibbutzartige Anlage des Dorfes und seine wunderschöne Lage gewesen.
Die Volontäre, erklärt Gross, würden jedes Jahr neue Power und neues Leben ins Dorf bringen. Die Lebensqualität der Bewohner in Kfar Tikva sei untrennbar mit dem Engagement der jungen Freiwilligen verbunden, erklärt er. Und bezeichnet sie als Geschenk und reicht dazu Gebäck aus der dorfeigenen Bäckerei.
Eran, sein Koordinator für den Freiwilligendienst, erklärt, dass die Volontäre für den pädagogischen Ansatz des Dorfes unverzichtbar seien. Die Freiwilligen seien den Dorfbewohnern Vorbilder für ein strukturiertes Leben und geregeltes Arbeiten. Dass die Deutschen aus einer anderen Kultur und erst mal ohne jede Kenntnis der hebräischen Sprache kommen würden, sieht er nicht als Nachteil. Im Gegenteil würde das jedes Jahr gerade in der ersten Zeit Beziehungen kreieren, die ohne Worte auskämen und sehr wertvoll seien für diejenigen Bewohner, die sich mit Worten nur schwer verständigen könnten.
Die Volontäre, so schwärmt Eran, kämen jedes Jahr im Bewusstsein, nur ein Jahr zu bleiben und mit der Motivation sich in diesem Jahr nach Möglichkeit einzubringen. Er erklärt, dass sie neue Blickwinkel bringen und immer neue Anläufe mit Bewohnern nehmen würden. Die Volontäre, so sagt er, würden dem burn-out der Mitarbeiter vorbeugen. Oft engagierten sie sich für die schwierigsten Fälle.
Als wir uns von seinem Büro zum Kulturcafe des Dorfes begeben, erklärt Moshik Gross, dass die Warteliste für Kfar Tikva lang sei. Jedes Jahr würde das Dorf zwischen 7 und 10 neue Bewohner im Alter von 20-35 aufnehmen, sagt der Bürgermeister. Darunter seit wenigen Jahren auch Autisten.
Als er von den Familien der Bewohner gebeten wurde, die Leitung des Dorfes zu übernehmen, stand es um Kfar Tikva nicht gut. Der Verein war korrumpiert und Gelder wurden an den Kassen des Dorfes vorbei geleitet. Die Hoffnung war nicht nur in Millionenhöhe verschuldet, sondern auch baulich heruntergekommen. Sein Vorgänger stand wegen Veruntreuung gewaltigen Ausmaßes vor Gericht.
Seit Moshik das Dorf leite und die Betreuung der Bewohner vom Sozial- und Gesundheitsministerium bezahlt und beaufsichtigt würde, sei alles besser, beteuert Jelena. Die aus Russland eingewanderte Sozialarbeiterin betreut die Backstube des Dorfes. Dabei stehen ihr die deutsche Volontärin Clara und die israelische Freiwillige Shir zur Seite.
Bei 220 Bewohnern vergeht kaum ein Arbeitstag, an dem nicht ein Geburtstagskuchen zu backen ist. Diesen Kuchen dann zu überreichen, spiegele den Chaverim die Bedeutung ihrer Arbeit, sagt Jelena. Da komme dann der Eindruck der reinen Beschäftigung um ihrer selbst Willen nicht auf. Zum Abschluss ihres Arbeitstages sitzen Sozialarbeiterin, Freiwillige und Bewohner zusammen im Kulturcafé des Dorfes und freuen sich über jeden Besuch “von Außen”, den sie bewirten können.
„Und was arbeitest Du“, werde ich von Shahar, einem Bewohner, der in der Bäckerei beschäftigt ist, ausgefragt. Wann und wo und wie viele Stunden. Der Wert einer geregelten Arbeit scheint im Dorf gut vermittelt zu werden.
Als die Rede auf den anstehenden Abschied von Clara und Shir fällt ist die Wehmut zu spüren. Für die Chaverim aber gehört der ständige Wechsel zur Routine. Jedes Jahr würden sie traurigen Auges die Volontäre verabschieden und gleichzeitig gespannt auf die neuen Volontäre warten, erklärt Jelena. Aber Clara und Shir seien schon ganz besondere Mädchen, an die sich das Dorf noch lange erinnern werde, beteuert Jelena. Und in nahezu perfektem Hebräisch sagt Clara, dass auch sie sehr traurig sei, das ihre Zeit als Volontärin im Dorf bald vorbei ist.
Clara entschied sich schon in der 10. Klasse, ein Auslandsjahr in Israel zu machen. Entsendet wurde sie von der Stiftung Ökumenisches Lernen der evangelisch-lutherischen Landeskirche Braunschweig. Aus ganz allgemeinem Interesse habe sie sich für Israel entschieden, erklärt die junge Deutsche.
Als “wunderbar” und “unglaublich engagiert” hat Günter Zenner Clara kennengelernt und preist ihr Genie, in einem Jahr Hebräisch gelernt zu haben. Günter Zenner war neun Jahre Volontärskoordinator in Kfar Tikva und sah Hunderte deutsche Freiwillige kommen und gehen. Als „spontan, frisch und unverdorben“ bezeichnet er die jungen Leute, die jedes Jahr als Freiwillige ins Dorf kommen. Mit sehr vielen stehe er bis heute in Kontakt, erzählt Zenner in Haifa, wo er seinen wohlverdienten Ruhestand genießt. Jedes Jahr kämen Dutzende Ehemalige zu Besuch ins Dorf, versichert Günter Zenner und erklärt, dass sich Volontäre in dem einen Jahr viel weiter als ihre Altersgenossen entwickeln würden. Dies führe dann oft zu Schwierigkeiten nach der Rückkehr.
Zeichen der Versöhnung
Die Vorgeschichte von Kfar Tikva beginnt 1936. In Palästina bemühte sich der legendäre Wächter Alexander Zaid bei den Institutionen des Yishuv für die Gründung eines Kibbutz auf einem Hügel in der Jezrael Ebene am Fuß des Karmelgebirges. Im badischen Maisenbach gründet Friedrich Nothacker im gleichen Jahr das Gästehaus Bethel als Erholungsheim für Gläubige, die nicht für die Nazis sind. Nach dem Krieg besucht die messianische Jüdin Helene Weinmann aus Israel das Gästehaus und überredet Nothacker, Israel zu besuchen.
In Israel fühlt er die große Schuld, die am deutschen Volk haftet und die Verpflichtung etwas zu machen. Zurück in Deutschland gründet er den christlichen Hilfsbund. Das Israelthema wurde fortan fester Bestandteil seiner Zeltevangelisationen. Dort zeigte er einerseits Bilder der Vernichtung, die heute in Lochamei HaGettaot hängen und klärte andererseits über den modernen Staat Israel auf.
1960 ersteht die dafür gegründete Gesellschaft Zeddekah das Hotel Lido in Naharia und macht es zu einem Erholungsheim für Holocaustüberlebende. Nothacker, der als Deutscher keine Immobilien erwerben kann, übernimmt später wie geplant den Vorsitz von Zeddekah. Um Namensgleichheit herzustellen wird der christliche Hilfsbund in Deutschland zum Verein Zeddekah.
Bei seinem siebten Israel Besuch lernt Friedrich Nothacker Dr. Hirsch kennen und sagt ihm seine Unterstützung für die Errichtung des Werkdorfs für Behinderte zu. 1963 rekrutiert der Missionar für einen Bautrupp 35 Freiwillige.
Die gläubigen Protestanten wollen keine zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges bezeugen, dass es auch andere Deutsche gibt. „Gläubige Deutsche, jugendliche Handwerker bauen ein Dorf für zurückgebliebene Kinder. Männer, die während der Nazizeit Kinder waren, wollen Buße tun für ihre Eltern” liest es sich in einem Artikel in der Ma’ariv vom 21.11.1963.
Arbeit gibt es für die freiwilligen Helfer mehr als genug. Die Häuser des Kibbutz sind seit der Aufgabe Givat Zaids 1952 verfallen und verwachsen. Der Bautrupp hat 75 Zimmer wohntauglich zu machen, Werkstätten zu errichten und den Boden für die Landwirtschaft vorzubereiten. In dem besagten Artikel aus der Ma’ariv ist nachzulesen, dass der Arbeitstag der Volontäre dafür jeden Morgen um 5.30 beginnt und erst mit dem Sonnenuntergang vorbei ist. Danach wird in der Bibel gelesen, bevor um 9 das Licht ausgelöscht wird.
Hans und Christel Bayer hören an der evangelikalen Bibelschule Beatenberg im Berner Oberland von Nothacker und seinem Engagement. Aus christlich-zionistischer Überzeugung schließen sie sich 1964 dem zweiten Bautrupp von Zeddekah an.
Hans arbeitet in Kfar Tikva als Gärtner, Christel in der Küche. Als die anderen Volontäre nach vier Monaten aufbrechen, bleiben die Bayers im Dorf.
Bald nach ihrer Ankunft kündigt sich bei dem jungen Ehepaar das erste Kind an. Als Christel kurz vor der Entbindung steht, teilt sie sich den Bewohnerinnen mit, die mit ihr in der Küche arbeiten. Ganz aufgeregt fragen diese, ob der Hans schon Bescheid wisse.
Während die Leitung von Kfar Tikva skeptisch ist, ob ein Kind in einem Behindertendorf ‚normal‘ aufwachsen könne haben die Bayers keine Bedenken. So verbringt Shmuel seine ersten beiden Lebensjahre im „Dorf der Hoffnung”. Erst nach 2 ¼ Jahren kehren die Bayers zurück nach Deutschland, wo Hans in der Zentrale von Zeddekah in Maisenbach arbeitet und von der Rückkehr nach Israel träumt.
Der Verein baut in Shavei Zion ein Erholungsheim für Holocaustüberlebende. 1972 werden die Bayers Hauseltern und sind damit rechtzeitig zum Schulbeginn zurück in Israel.
Heute leiten Schmuel Bayer und seine Frau Dorothea das Erholungsheim Beth El in Schavei Zion. Shmuel hat inzwischen vier erwachsene Kinder. Wenn die Großeltern Bayer nach Kfar Tikva kommen, werden sie von Nathan nach dem kleinen Shmuel gefragt.
Einige Jahre nach dem Erholungsheim in Shavei Zion errichtet Zeddekah unter Vorsitz von Hans Bayer das Pflegeheim Beit Eliezer in Ma’alot. Die Angestellten des Hauses sind Freiwillige aus Deutschland, die von Zeddekah in der Regel für ein Jahr nach Israel geschickt werden. Würden sie gezwungen, das Haus mit fest angestellten Israelis zu betreiben, wäre ihr Auftrag vorbei, erklärt Hans bei Kaffee und Kuchen in Ma’alot. Das Gesundheitsministerium habe sich entschieden das Konzept zu akzeptieren, fügt Christel an. Tatsächlich hat das Beit Eliezer einen ausgezeichneten Ruf und eine lange Warteliste. Bei der Aufnahme würde darauf geachtet, finanziell minderbemittelten und solchen, die mit der hebräischen Sprache Probleme haben, den Vorrang zu geben. Von Zeit zu Zeit schaut Dina Luttati im Beit Eliezer vorbei und lobt das Engagement der Bayers über den grünen Klee.
Die leidenschaftliche Orthodoxe marokkanischer Abstammung ist Koordinatorin für die Volontäre aus Übersee. Ihr Büro ist an das Innen- und das Sozialministerium angegliedert. In einem schicken Regierungsgebäude in Jerusalem kommt das Gespräch auf Kfar Tikva. Als sie ihr Büro 1989 aufgebaut und die verschiedenen Einrichtungen kennengelernt habe, hätte sie die Philosophie von Kfar Tikva bewundert, die Anforderungen nie zu tief zu hängen und aus dem Menschen so alles herauszuholen. Der Anspruch von Kfar Tikva sei immer gewesen, dem behinderten Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, erklärt sie. Das Dorf sei die erste Einrichtung gewesen, die Beziehungen zwischen Bewohnern bis hin zum Zusammenleben als Paar erlaubt habe.
Es habe Zeiten gegeben, in denen die Deutschen 80 bis 85 % der ausländischen Volontäre gestellt hätten, sagt sie. Vor ein paar Jahren hätten noch mehr als 600 Deutsche Freiwilligendienst im Heiligen Land geleistet. Derzeit sind es knapp 400 von mehr als 1000. Dina rechnet damit, dass die Anzahl der Freiwilligen aus Deutschland weiter fallen werde. Die Flüchtlingskrise bringe viele idealistisch eingestellte junge Deutsche dazu, sich im eigenen Land zu engagieren, sagt sie. Bei unserem Treffen befindet sich auf dem Sprung zu einem Kongress christlicher Zionisten in Helsinki, auf dem Volontäre angeworben werden sollen. In Japan und Südkorea haben Evangelikale mehrere Entsendeorganisationen gegründet.
Die Arbeit mit den Volontären sei ein Spiegel des Zeitgeistes, erklärt Dina. Nach Oslo habe die Hoffnung auf Frieden viele Freiwillige nach Israel gebracht. Mit der zunehmend feindseligen Haltung gegenüber Israel sei die staatliche Unterstützung für das Volontärswerk in vielen Ländern eingestellt worden. Dafür entsenden kirchliche Organisationen und evangelikale Vereine aus inzwischen 31 Ländern immer mehr Volontäre.
Das Großartige am Volontärswerk, das sie aufgebaut habe, sagt Dina Luttati, sei der unvermittelte Eindruck, den die Freiwilligen von Israel bekämen. In dem Jahr, dass die jungen Leute in Israel verbringen, so erklärt sie, würden sie das Land so kennen lernen wie es sei. Keine Reise- und keine Studiengruppe bekäme einen so unverfälschten Eindruck von Israel. Gleichzeitig, so sagt sie, würden die Volontäre auch ein ausgleichendes Moment für die Israelis sein. Es seien die Augen der anderen, in denen die Israelis gezwungen seien, sich selbst zu sehen.
In einer jüngst an das Innenministerium verfassten Mail ging sie so weit zu schreiben, dass die Volontäre Brücke und Bindung für eine bessere Gesellschaft seien in Hinsicht auf Geduld und die Wertschätzung des Anderen.
Die unkonventionelle Staatsdienerin ist schon einige Zeit im Pensionsalter, doch ihre Energie scheint unerschöpflich. Die Frau erinnert sich an Hunderte Volontäre, für die sie zuständig war und hat stets Tausende Geschichten parat hat. Wenn sie über ihre Arbeit spricht, funkeln ihre Augen unter ihrer Kopfbedeckung und sie lässt sich in ihrer Rede von ihrer augenscheinlichen Leidenschaft mitreißen.
Dina spricht von einer “gesegneten” Arbeit. Das Volontärswerk sei v.a. für die Kranken und Behinderten in den Einrichtungen eine großartige Sache, erklärt sie. Volontärinnen wie Clara bedeuten eine immense Verbesserung der Lebensqualität für die Menschen mit denen sie arbeitet. Um Entscheidungsträger von ihren Worten zu überzeugen, lädt sie diese zunehmend dazu ein, Einrichtungen zu besuchen, in denen Volontäre tätig sind. Das Volontärswerk, so sagt sie, sei ein nationales Interesse.
Johannes, der im Sommer 2015 sein Volontariat begonnen hat und auf dem kleinen Bauernhof von Kfar Tikva arbeitete, genoß seinen Aufenthalt sehr. Er leitete die Chaverim an, sich um Pferd, Esel, Ziege und Vogel zu kümmern. Gerade für Autisten kann der Umgang mit Tieren sehr wertvoll sein. Zu den Hinterlassenschaften von Johannes gehört ein Stall, den er Mitte August zimmerte, wenige Wochen vor seiner Abreise. Sein Blick zurück auf ein Jahr Kfar Tikva fällt dabei absolut positiv aus. Nicht nur weil er beim Bau von Gehegen seine handwerkliche Begabung einbringen und weiterentwickeln konnte. Der 20jährige ist begeistert vom Dorf und den Chaverim und genießt außerdem seine Freizeit. In dem Jahr, so sagt er, sei er keinen Abend nur zu Hause gesessen. Er habe viel von Israel gesehen und sei außerdem oft in der Westbank gewesen und auch in Jordanien und auf dem Sinai. Die Zusammenarbeit mit den gleichaltrigen israelischen Freiwilligen streicht er als besonders schöne Erfahrung heraus.
Kfar Tikva liegt unweit der Stadt Kiriat Tivon nahe der Verbindungsstraße zwischen Haifa und Nazareth. Es steht Besuchern aus Deutschland nach Voranmeldung offen. Die Bäckerinnen und Bäcker freuen sich Besuch von Außen im Kulturcafé bewirten zu dürfen.