Seit gut zehn Jahren gibt es in Köln-Chorweiler die interkonfessionelle Zeremonie der „Friedensglocke“: Vertreter mehrerer Religionsgemeinschaften – sie liegen im „problembelasteten“ Stadtteil Chorweiler teils auch direkt nebeneinander – treffen sich gemeinsam, um in einer Zeremonie, eingekleidet in „friedensorientierte“ edle Worte, die Gemeinsamkeiten als Menschen zu betonen.
Von Roland Kaufhold
Dies alles findet – oder wie man nun wohl sagen muss: fand – im Zentrum Chorweilers statt. Der 80.000 Einwohner zählende Stadtteil im Kölner Norden gilt wegen seiner zahlreichen Hochhäuser und seines stark migrantischen Charakters gelegentlich als „Problemstadtteil“. Will, konstruktiv gewendet, heißen: Umso mehr bedarf es Gesten der wechselseitigen Solidarität und der konkreten Zusammenarbeit.
„Chorweiler Abendfrieden“
Die Friedensglocke ertönt einmal im Monat, so am 11.12.2023 auf dem Pariser Platz in Chorweiler, direkt auf dem Weg von der U-Bahn Linie 15 hin zum Chorweiler Begegnungszentrum der Synagogengemeinde. Dies alles lief unter dem Motto „Chorweiler Abendfrieden“. Gut 400 Mitglieder hat das Gemeindezentrum Chorweilers. Dort findet bis heute ein reges Gemeindeleben statt. Der ganz überwiegende Teil der Mitglieder stammt aus den früheren GUS-Staaten, darunter auch viele aus der Ukraine.
Mehrere der Mitglieder sind auch politisch engagiert und stehen der CDU nahe. So überrascht es nicht, dass der jüngste Impuls zur Gründung einer jüdischen Parteiorganisation in der CDU NRW von Chorweiler ausging.
Serap Güler und Nathanael Liminski nahmen im Juli 2024 an der CDU-internen Gründungsveranstaltung teil. Roman Salyutov, Dany Meyer und Igor Epstein waren hierbei gestaltend beteiligt. Und der Musiker Roman Salyutov, der auch am Freundschaftsverein Nir Oz führend engagiert ist, ist nun Vorsitzender des Jüdischen Forums der CDU NRW und als solcher Mitglied von deren Landesvorstand.
Kurzum: In Chorweiler ist man insbesondere nach dem Hamas-Pogrom und der Welle antizionistischer Protestkundgebungen gegen Israel politisch aufmerksam.
Um so bedenklicher, so berichten Gemeindemitglieder und auch der Vorstand der Kölner Synagogengemeinde: Auch in Chorweiler gab es nachdrückliche Versuche, allein Israel für seine Reaktionen auf das Hamas-Pogrom verantwortlich zu machen. Und es gab in jüngster Zeit, so teilte der Vorstand der Kölner Synagogengemeinde auf einer Pressekonferenz mit, auch derartige nachdrückliche Versuche aus „pro-palästinensischer Ausrichtung“, so Abraham Lehrer und Bettina Levy für den Gemeindevorstand.
„Mit großem Bedauern, aber in voller Verantwortung gegenüber unseren Mitgliedern und den ethischen Grundsätzen unserer Gemeinde“ gebe der Vorstand der Kölner Synagogengemeinde deshalb seinen Austritt aus der zivilgesellschaftlichen Initiative „Friedensglocke Chorweiler“ bekannt.
Gerade an einem sozialen Ort, an dem Menschen aus sehr unterschiedlichen Nationen, Kulturen und Religionen zusammen kämen, dürfe man höchst einseitige Instrumentalisierungen des Pogroms vom 7.10.2023 und deren auch militärischen Folgewirkungen nicht hinnehmen.
Die Chorweiler Friedensinitiative habe sich in der vergangenen Woche „Gruppierungen gebeugt, die durch eine deutlich pro-palästinensische Ausrichtung geprägt“ seien, so die Synagogengemeinde in ihrer Erklärung. Damit habe sich die Initiative inzwischen von ihrem überparteilichen und interreligiösen Charakter entfernt. Insofern sei eine weitere Mitwirkung an dieser Initiative „nicht mehr im Einklang mit den Werten und Prinzipien unserer Gemeinde“, teilte Abraham Lehrer mit.
Als besonders gravierend werden interne Mails aus dem Umfeld des „Runden Tisches“ in Chorweiler empfunden, die sich gegen die Einladung ausgerechnet des liberalen, dialogorientierten NRW-Ministerpräsidenten Wüst aussprachen. Die Einladung von Ministerpräsident Wüst sei „ein Skandal“, weil dieser „für eine bedingungslose Unterstützung Israels, eines Staates, der im Gazastreifen Völkermord und Apartheid begeht.“ Und weiter heißt es in unmissverständlicher BDS-Ideologie: Der liberale Wüst solidarisiere sich uneingeschränkt mit Israel, „egal, wie viele Palästinenser:innen sterben“. Es seien mehrere dieser Druck erzeugenden Mail intern kursiert, so Abraham Lehrer in der Pressekonferenz. Und es wurde sogar mit einer Gegendemonstration gedroht, sollte der – sehr beliebte – NRW-Ministerpräsident Wüst dennoch eingeladen werden.
Auch Bettina Levy vom Vorstand der Synagogengemeinde hob den „leider völlig eskalierende Diskussion“ über die Ausladung von Wüst hervor.
Es kam dennoch zum Besuch von Ministerpräsident Hendrik Wüst in Chorweiler. Es gab nach dieser Vorgeschichte jedoch kein interreligiöses Gebet, sondern Wüst besuchte ausdrücklich nur das Begegnungszentrum der Synagogengemeinde in Chorweiler. Bilder des Besuches zirkulierten in den sozialen Medien.
Vorläufige Absage der Preisverleihung
Die Ereignisse tragen jedoch noch weiter: Eigentlich sollte am 7.9. der besagte „Runde Tisch Frieden“ beim jährlichen Kölner Ehrenamtstag den städtischen Miteinanderpreis für Demokratie und Vielfalt erhalten.
Gestern teilte die Kölner Oberbürgermeisterin Reker nun mit:
„Der Runde Tisch Frieden Chorweiler“ stehe „für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur, Religion und Überzeugungen.“ Mit dem „Chorweiler Abendfrieden“ und der „Friedenserklärung“ setze der Runde Tisch Frieden Chorweiler „ein gemeinsames Zeichen für ein friedliches, soziales und menschenwürdiges Zusammenleben aller Menschen auf der Grundlage gegenseitiger Achtung und Akzeptanz.“
Aufgrund der aktuellen Diskussionen habe Oberbürgermeisterin Reker sich entschlossen, „die Verleihung des Preises zum jetzigen Zeitpunkt auszusetzen.“ Als Oberbürgermeisterin habe sie den Runden Tisch Frieden gebeten, „sie über den Fortgang der Auseinandersetzung sowie über Vereinbarungen innerhalb der Gemeinschaft und mit der Synagogengemeinde zu informieren.“
Der Eindruck bleibt: Die Kölner Synagogengemeinde und Kölner Juden sollen ganz in der Tradition der BDS-Bewegung nach dem Hamas-Pogrom vom 7.10. noch stärker ausgegrenzt werden. Dagegen wehrt sich die Kölner Synagogengemeinde – zu Recht.