Einer Pionierin zum Gedenken

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Hedwig Brenner und ihre Künstlerinnen jüdischer Herkunft…

1918 wurde Hedwig Brenner in Czernowitz/Bukowina geboren, überlebte die Nazizeit und erlebte die kommunistische Zeit in Rumänien, 1982 durfte sie mit ihrer Familie nach Israel auswandern. Erst sehr spät, mit achtzig Jahren, wurde sie Schriftstellerin. Familienbiographien schrieb sie und vor allem entstanden durch ihre Energie und Arbeitseifer sechs Lexika über „Jüdische Frauen in der bildenden Kunst“.

Recherchiert hat sie in der ganzen Welt über mehrere Jahre, um diese künstlerischen Lebensbilder zusammenzubekommen. Längst gestorbene, in Konzentrationslagern umgekommene, noch lebende Frauen in aller Welt und junge jüdische Künstlerinnen vereinte sie in diesen Werken. Eine großartige Arbeit hat diese alte Dame, Hedwig Brenner, für die Zukunft geschaffen!

Für diese großartige Arbeit wurde der Schriftstellerin und Lexikographin 2012 das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen und im gleichen Jahr das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich. Am 27. Januar 2017 starb Hedwig Brenner in Haifa.

Erhard Roy Wiehn & Christel Wollmann-Fiedler (Hg.): Hedwig Brenner und ihre Künstlerinnen jüdischer Herkunft. Einer Pionierin zum Gedenken, Hartung-Gorre Verlag 2021, 136 S., € 19,80, Bestellen?

Hedwig Brenner und Edgar Hilsenrath

Aus dem Vorwort:

Liebste Hedy,

weisst Du noch, wie und wo wir uns kennengelernt haben? Nun, es war vor ungefähr vierzehn Jahren in der Inselgalerie in der Torstraße in Berlin-Mitte. Ich erfuhr, dass eine Czernowitzerin  aus ihren Familienbüchern lesen und erzählen würde. Ich hörte „Czernowitz“, dachte an Rose Ausländer und Paul Celan. Abends saß ich in der Galerie und hörte gespannt zu. Mit geschlossenen Augen nahm ich Deine wunderbare Stimme wahr, der alte österreichische Klang gefiel mir. Wir begrüßten uns, Deine Freundin stelltest Du mir vor. Die Wienerin und Kunstmalerin Alice Arbel, die bereits in den 1930er Jahren mit den Eltern von Wien nach Haifa kam und eines der ersten Bauhäuser auf dem Carmel bauen ließen. Du erzähltest von Czernowitz, der Stadt, die ich seit meiner Schulzeit  kennenlernen wollte. Ich sollte Dich besuchen, gabst mir Deine Adresse in Haifa. Fotos, damals noch analog, schickte ich Dir nach Haifa, direkt kam die erste Mail von dir und eine erneute Einladung. Deine beiden Familienbücher verschlang ich, lernte Deine Familie kennen, Deine Kindheit und später die Russen- und Nazizeit in Czernowitz.

Erinnerst Du Dich, als ich das erste Mal in der Silver Street in Na’ve Shanan ankam?  Du hast auf der Straße gestanden und auf mein Taxi gewartet. Glücklich fielen wir uns in die Arme und so blieb es über die Jahre. Du weißt noch, wie wir mit dem Auto durch die Drusendörfer fuhren zum See Genezareth, wie wir in Kapernaum die österlichen Pilger trafen und ich meine christlichen Wurzeln am Jordan suchte? All die Jahre war ich wochenlang bei Dir in der kleinen rumänischen Wohnung, nächtelang erzähltest Du mir Geschichten über Czernowitz, über Deine Familie und Deine Nöte im faschistischen  und kommunistischen Rumänien. Nicht Ploiesti oder Haifa wurden Deine Heimat, Czernowitz blieb Deine Heimat!

Du weißt noch als wir uns in Aargau in der Schweiz trafen, wohin man Dich zu einem Zeitzeugengespräch eingeladen hatte, oft trafen wir uns in Wien, wo Du weitere Bücher vorgestellt hast. In Berlin bei mir warst Du all die Jahre, Lesungen hatte ich organisiert und Freunde aus der ganzen Welt wollten Dich begrüßen, kamen von weit her. Mit einem Schiff fuhren wir auf der Moldau durch Prag und Du erzähltest von der Studienzeit Deines Mannes in der Goldenen Stadt.

Der Deutsche Botschafter in Israel übergab Dir das Bundesverdienstkreuz in Haifa, bereitete Dir ein Fest mit all Deinen Freundinnen und Freunden, sensationell war das und machte Dich froh und stolz, Monate später konntest Du mit dem Österreichischen Botschafter in Israel anstoßen, weil Dir das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen wurde.

Meine vielen Reisen durch das Land Israel hast Du mental begleitet, warst immer dabei, abends telefonierten wir und Du wolltest alles wissen. Dein Interesse war übergroß. Zeitzeugen hast Du mir empfohlen, kanntest die „halbe Welt“.

Ein Künstlerinnenlexikon nach dem anderen erschien, Dein Fleiß war immens. Oft half ich Dir beim Recherchieren oder Korrigieren, nachts skypten wir und die weite Welt unterstützte uns. Du sollst wissen, dass mir unsere täglichen oder allnächtlichen Gespräche fehlen, liebste Hedy. Meine geschriebenen Texte hast Du immer als Erste gelesen, noch in der Nacht, bevor die Augen vor Müdigkeit zufielen, bewertest hast Du sie und korrigiert. Meine Projekte waren Dir ebenso wichtig und oft kamen außerordentlich gute Ratschläge von Dir. Ermuntert hast Du mich, wenn ich nicht mehr wollte. Es gab diese Zeiten, ja!

Als Paul starb und Lulu Dir am Telefon die Nachricht überbrachte, stand ich neben Dir am Telefon und konnte Dir kaum helfen, doch ich war bei Dir, Du warst nicht alleine. Vieles und noch mehr haben wir miteinander erlebt, ein Buch könnte ich darüber schreiben.

Meine Trauer um Dich ist noch immer da, sie hat mich nie verlassen. Heute hätten wir Deinen 100. Geburtstag gefeiert. Ob Du Dich daran erinnerst? Feiern wollten wir mit Schmettentorte und Totsch und all Deine Czernowitzer Freundinnen und Freunde einladen, wie jedes Jahr.

Du bist für mich die Standhafte, die treue Freundin. Ich würde Dich fest umarmen, wenn Du noch auf dieser Welt wärst, die Du so geliebt hast. Einen großen Blumenstrauß auf der Hanita würde ich Dir kaufen!

Deine Christel

Berlin, 27. September 2018