Fritz Perls – Gestalttherapeut und jüdischer Emigrant

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Fritz Perls, 1893 in Berlin geboren, gilt als Begründer der Gestalttherapie. Diese entwickelte der jüdische Emigrant im Exil: In Südafrika sowie in den USA. Sein Wirken innerhalb der „counter-culter Bewegung“ sowie am Esalen Institute in Kalifornien hatte ihm in den 1960er Jahren einen Status als mythenumrungener Guru zukommen lassen…

Von Roland Kaufhold

„Hinter dem `dirty old man´, wie Perls sich manchmal selber nannte, der sich in seinen letzten Lebensjahren äußerlich als eine Mischung aus Rabbi, Weihnachtsmann und Rasputin, mit weißem Rauschebart und Latzhose präsentierte und dessen Begräbnisfeier 1971 in San Francisco einem alten Hippiekönig alle Ehre gemacht hätte, findet sich das Leben des 1893 in Berlin in einer jüdischen Familie geborenen Friedrich Salomon Perls“ (S. 18). So leitet der in Genua lebende Gestalttherapeut Bernd Bocian seine materialienreiche, engagierte biographische Studie über Perls erste Lebenshälfte in Deutschland ein.

Fritz Perls ist als führender Vertreter der Gestalttherapie bekannt. Über die ihn prägenden geistes- und sozialgeschichtlichen Erfahrungen vor allem in Berlin und seine Verbindung zur Geschichte der Psychoanalyse war bisher nur wenig bekannt. Nach seinem Tod im Jahr 1970 in Chicago geriet Perls Wirken weitgehend in Vergessenheit.

Bocian hat dieses Derivat durch eine sehr gründliche biographische Forschungsarbeit behoben. Er zeichnet in kenntnisreicher, sich mit Perls Vertreibungsschicksal identifizierender, aber dennoch nicht unkritischer Weise die prägenden Einflüsse und theoretischen Positionen dieses außergewöhnlichen Querdenkers nach, wobei seiner Prägung als Jude, seine psychoanalytischen Erfahrungen sowie sein  antibürgerlicher, linkspolitischer Aktivismus im Umfeld des Expressionismus, des Dadaismus, der Berliner Kunstavandgarde sowie des „Bohèmekreis(es) um Samuel Friedlaender / Myona“ (S. 134-138) besondere Berücksichtigung erfährt. Ein eigenständiges Kapitel diskutiert „Otto Gross: Anarchismus und Psychoanalyse“ (S. 160-170) im Sinne einer geistigen Mitbegründung der Gestalttherapie.

In dem Kapitel „Der jüdische Kontext und das klassisch-humanistische Bildungsideal“  beschreibt der Autor Perls‘ Kindheit und Jugend im Kontext des Versuchs, jüdische Traditionen mit einer deutschen Identität zu verbinden. Perls Eltern Nathan und Amalie Perls waren noch vor seiner Geburt aus dem preußisch besetzten Polen nach Berlin gezogen und lebten im jüdisch geprägten Scheunenviertel. Sie verstanden sich als kulturell assimiliert; jüdische Traditionen wurden jedoch nicht verleugnet. In „Frühe Einflüsse“ beschreibt Bocian die schwierigen Phasen des Neuanfangs seiner jüdischen Familie in Berlin, deren schrittweisen ökonomischen Aufstieg, den Konflikt Perls mit seinem Vater, welcher in einem „Rebellentum“ (S. 52) gegen väterliche Entwertungen kulminierte. Früh suchte er nach „echten“ Gefühlen, nach – wie wir es heute formulieren würden – emotionalen Beziehungen, nach einer „sozialistische(n) Brüdergesellschaft“ (S. 56). Dieser tiefe Wunsch fand im Mommsen-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg – welches einige Jahre später auch Herbert Marcuse als Schüler besuchte – keine Erwiderung, dort schien ein strenger Geist vorzuherrschen; dementsprechend ist ein weiteres Unterkapitel mit „Grausame Lehrer und der fehlende Vater“ überschrieben. Perls empfand die Schule als einen „Alptraum“ (S. 65); später sollte er im Rückblick schreiben: „Das Grundprinzip war Disziplin und Antisemitismus.“ (S. 65) Die Besuche im Theater und in der Oper, die familiär gefördert wurden, insbesondere jedoch das eigene Spielen in Theatergruppen, begeisterte den jungen Fritz Perls hingegen. In seiner späteren gestalttherapeutischen Praxis sollten die Möglichkeiten der schauspielerischen Inszenierung einen zentralen Platz in seinem therapeutischen Handeln einnehmen.

Perls studierte von 1913 – 1919 in Berlin Medizin, um dann Neuropsychiater zu werden. Er setzte sich intensiv mit der 1912 von Max Wertheimer sowie von Wolfgang Köhler und Kurt Koffka entwickelten Gestaltpsychologie auseinander, wie auch später mit den diesbezüglichen Forschungen von Kurt Lewin und Kurt Goldstein, mit welchem er gemeinsam in Berlin studierte.

Bocian weist nach, dass Perls analytische Ausbildung (bei Happel, Harnik und Wilhelm Reich) – sie begann 1927, seine Ehefrau Lore Perls machte zeitgleich ebenfalls eine Analyse – sehr viel länger dauerte, als bisher bekannt: bis 1933. Die „kalte“, distanzierte Handhabung der Technik (vom Autor als „abstinente Standardtechnik“ (S. 254) abgewertet), die er bei Happel und Harnik erlebte, stieß ihn jedoch ab. Der Besuch des von Wilhelm Reich geleiteten „Technischen Seminars“, vermutlich im Jahr 1927, beeindruckte Perls hingegen zutiefst. In diesem stürmisch-kraftvollen Menschen fand er „einen Analytiker (…), der `zu ihm durchdrang´ (Perls)“ (S. 114). Von 1930 – 1933 machte er eine Lehranalyse bei Reich, was sich sehr stimulierend und identitätsfördernd auf Perls ausgewirkt haben muss (S. 248). Der Autor zeichnet die in diversen Publikationen nacherzählten politischen und technischen Differenzen zwischen – um es vereinfacht auszudrücken – Wilhelm Reich, Siegfried Bernfeld und Otto Fenichel einerseits und Sigmund Freud andererseits nach und kommt zu dem für das Verständnis von Perls zukünftiger Entwicklung entscheidendem Schluss:

„Die Marginalisierung von Reich hatte begonnen und Fritz Perls war genau zu diesem Zeitpunkt sein hoffnungsfroher Lehranalysand, der glaubte, durch die Analyse bei Reich nun endlich zum akkreditierten Mitglied der psychoanalytischen Gesellschaft zu werden.“ (S. 256)

Der weitere Fortgang von Perls´ Entwicklung sei nur skizziert: Er emigrierte nach Amsterdam, wo er 1933 offizielles Mitglied der „Vereeniging van Psychoanalytici in Niederland“ wurde; wohl 1935 emigrierte er, mit Unterstützung des englischen Psychoanalyse-Funktionärs Ernest Jones, nach Südafrika und hielt 1936 auf dem Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Marienbad einen an Reich orientierten Vortrag zur Widerstandsanalyse. 1936 wurde dem nun in Südafrika Lebenden der Status als Lehranalytiker wieder entzogen, was Bocian – historische Quellen scheinen kaum noch vorhanden zu sein – im Kontext von Reichs Marginalisierung interpretiert (S. 288). 1942 publizierten die Perls in Südafrika ihr Buch „Ego, Hunger und Aggression“, 1946 siedelten sie in die USA über.

Perls Mutter und seine Schwerster Elisabeth wie auch weitere Mitglieder der Familie wurden, dies sei nachgetragen, 1942 in Theresienstadt von den Deutschen ermordet. Abgeschlossen wird der Band – in den sich, bei der Vielzahl der behandelten Personen verzeihlich, nicht wenige Rechtschreibfehler finden („Siegmund“ Freud) mit Ausführungen zur „deutsch-jüdischen Großstadtavantgarde“ sowie zur Aktualität Fritz Perls.

Bernd Bocian: Fritz Perls in Berlin 1893 – 1933. Expressionismus – Psychoanalyse – Judentum. Wuppertal 2007 (Peter Hammer Verlag). 380 S., € 28.90

Bild oben: Fritz Perls, 1923
Diese Besprechung ist 2007 in der Zeitschrift „Psyche“ erschienen