Faire Untersuchung?

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Aufkleber erinnern an Ermordete und Gefallene seit dem 7. Oktober am Strand von Tel Aviv, Foto: haGalil

Auch nach über zwei Jahren nach dem 7. Oktober gibt es noch immer keine Untersuchungskommission, die die Umstände untersucht, wie es dazu kommen konnte, dass Hamas, Islamischer Djihad und andere Terrorgruppen aus Gaza nach Israel einfallen und stundenlang ungehindert morden, vergewaltigen und Menschen entführen konnte. Premier Netanyahu hatte stets davon gesprochen, dass in Kriegszeiten nicht der richtige Zeitpunkt für eine Untersuchungskommission sei. Offensichtlich ist aber auch nach Kriegsende nicht der richtige Zeitpunkt für ihn.

Eingaben vor dem Obersten Gerichtshof hatten die Regierung jetzt dazu genötigt, eine Entscheidung zu treffen. Und sie fiel, wie zu erwarten war, gegen eine staatliche Untersuchungskommission aus. Solche hat es in Israel seit 1948 zahlreiche gegeben, auch wegen deutlich geringerer Versäumnisse. Ein Gesetz von 1968 regelt die Einsetzung und die Befugnisse der Kommission. Danach muss die Regierung die Einsetzung einer staatlichen Untersuchungskommission beschließen, die Mitglieder der Kommission werden allerdings durch den Präsident des Obersten Gerichtshofs ernannt. Er bestimmt auch, wer den Vorsitz übernimmt, in der Regel ein amtierender oder ehemaliger Richter des Obersten Gerichtshofs. Und das passt der aktuellen Regierung nicht, die den Präsidenten, Richter Itzhak Amit, ablehnt. Seine Amtseinführung wurde von Justizminister Levin boykottiert, ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Landes. 

Seit Monaten hetzen Minister und Abgeordnete gegen Amit und sprechen ihm ab, eine faire Untersuchungskommission einsetzen zu können. Man reibt sich die Augen, wenn man die gestrige Entscheidung sieht. Während nämlich der Präsident des Obersten Gerichtshofs nicht fair sein soll, hält es die Regierung für passend, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die sie nicht nur selbst zusammensetzt, sondern deren Befugnisse sie auch selbst definiert. Gleichzeitig heißt es in der Entscheidung von gestern, diese Kommission solle eine „unabhängige“ Untersuchung durchführen und ihre Zusammensetzung „eine möglichst breite öffentliche Zustimmung“ erhalten. Tatsächlich spricht sich die Mehrheit der Israelis für eine staatliche Untersuchungskommission aus. Das scheint aber egal zu sein, auch jenen Ministern, die sich in der Vergangenheit durchaus für eine staatliche Untersuchungskommission ausgesprochen hatten, mehr noch, die versichert hatten, dass sie auf die Einsetzung dringen würden. Das scheint alles vergessen.

Nach der gestrigen Entscheidung wird Netanjahu ein spezielles Ministergremium bilden, das für die Festlegung des Mandats der Kommission zuständig sein wird. Dieses Gremium wird auch festlegen, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen!, welche Themenbereiche und welche Zeiträume untersucht werden. Das Ministergremium hat 45 Tage Zeit, um seine Empfehlungen der Regierung vorzulegen. 

Die Opposition kritisierte die Entscheidung mit deutlichen Worten. Gadi Eisenkot sprach von einer „Vertuschungskommission“, Yair Golan versprach, dass es am Ende eine staatliche Untersuchungskommission geben werde. Yair Lapid betonte, dass die Weigerung der Regierung, ihre Versäumnisse zu untersuchen, auch die nationale Sicherheit gefährde. Der „Oktober-Rat“, ein Zusammenschluss von Angehörigen der Opfer des 7. Oktober, die die Einsetzung einer staatlichen Untersuchungskommission fordern, kommentierte die Entscheidung der Regierung mit scharfen Worten: „Nachdem der Premierminister alle billigen Tricks aus dem Buch für unerfahrene Politiker angewendet hat, versucht er nun, Fakten zu schaffen. Wir wiederholen und stellen klar: Der israelische Premierminister wird der Erste sein, der von einer staatlichen Untersuchungskommission, die eingesetzt werden wird, befragt wird, genau wie es in den Gesetzen des Staates Israel vorgesehen ist.“

Am Samstag Abend waren in Tel Aviv Zehntausende zu einer Kundgebung am haBima Platz zusammengekommen, um die Einsetzung einer staatlichen Untersuchungskommission zu fordern. Unter den Rednern war auch der ehemalige Polizeichef Roni Alsheich, der sagte: „Die Behebung grundlegender Versäumnisse ist erst möglich, wenn deren Ursachen aufgedeckt und verstanden werden. Eine staatliche Untersuchungskommission ist der einzige Weg, um sicherzustellen, dass der Prozess nicht von einigen derjenigen verfälscht wird, die sich der Unterlassung schuldig gemacht haben und aus Angst vor der Aufdeckung der Wahrheit zittern.“ Die gestrige Entscheidung wird wohl wiederum eine Welle von Protestkundgebungen zur Folge haben. Israel kommt nicht zur Ruhe. (al)