Katar spielt Weltpolitik

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Doha Skyline, Foto: Zairon / CC BY 4.0

Gerne positioniert sich das Emirat als Vermittler zwischen Konfliktparteien. Doch die Realität ist eine andere. Mit seinem enormen Reichtum erkauft man sich vor allem Einfluss zugunsten der Muslimbruderschaft.

Von Ralf Balke

Wieder einmal war es Katar. Als Ende dieser Woche Barbie und Peter Reynolds, beide britische Staatsbürger, nach mehreren Monaten in der Gewalt der Taliban in Afghanistan endlich freikamen, war dies dem Verhandlungsgeschick der Unterhändler des Emirates am Persischen Golf zu verdanken. Man kann es aber auch anders sehen. Denn offensichtlich haben die Herrscher des Kleinstaates mit einer Bevölkerung von rund 3,2 Millionen Menschen, davon gerade einmal etwa zehn Prozent im Besitz der katarischen Staatsbürgerschaft, zu jeder noch so radikalen islamistischen Organisation einen guten Draht, weshalb man genau diese Rolle als Vermittler spielen kann. „Privatpersonen“, aber ebenso Vertreter des Herrscherhauses stehen in dem zweifelhaften Ruf, seit Jahren munter für Terrorgruppen wie die Hamas, die Hisbollah und sogar für den Islamischen Staat und al-Qaida zu spenden. Zugleich ist Katar die Heimat der al Udeid-Luftwaffenbasis, dem derzeit größten US-Militärstützpunkt im Nahen Osten, spielt also eine zentrale Rolle in den strategischen Konzepten der Vereinigten Staaten in der Region und kann sich gleichfalls aufgeschlossen gegenüber dem Westen zeigen. Und wenn es um „Geschenke“ geht, dann wird sogar ein US-Präsident bedacht: So hatte Katar erst vor wenigen Monaten Donald Trump die Luxus-Version einer Boeing 747 im Wert von 400 Millionen Dollar geschenkt, was nicht nur die politischen Gegner des Präsidenten als problematisch sehen, weshalb manche auch von „blanker Korruption“ sprechen.

Katar kann sich so etwas locker leisten, das Emirat ist aufgrund seiner Erdgas- und Erdölvorkommen zu enormen Reichtum gelangt. Und diesen setzt die absolut herrschende al Thani-Dynastie ein, um weltweit politischen Einfluss zu gewinnen, der für einen Kleinstaat wie Katar schon bemerkenswert ist. Das gilt ebenfalls für Israel – obwohl beide Staaten keine diplomatischen Beziehungen haben. Aber im offiziellen Kriegszustand befindet man sich ebenfalls nicht. Und in den Jahren vor dem 7. Oktober 2023 waren es die Finanzspritzen aus dem Emirat, die mit israelischer Genehmigung die Hamas im Gazastreifen erreichen sollten, damit diese – so jedenfalls die Annahme damals – in der Lage ist, Rechnungen und Mitarbeiter zu bezahlen. Anderenfalls würde es aufgrund der prekären wirtschaftlichen und sozialen Situation vor Ort zu einem Kollaps mit unvorhersehbaren Folgen kommen, den auch Israel nicht wolle.

Fast monatlich landeten in Tel Aviv Privatflugzeuge aus dem Emirat, deren einzige Fracht Koffer mit reichlich Cash waren. Zumeist handelte es sich um Summen zwischen 15 und 30 Millionen Dollar. Diese wurden am Ben Gurion-Airport in israelische Regierungsfahrzeuge umgeladen, die zum Grenzübergang Erez am Gazastreifen fuhren, wo sie dann Vertretern der Hamas ausgehändigt wurden, die bereits sehnsüchtig auf das Geld warteten. Bares aus Katar, so die Überlegungen der Verantwortlichen in Jerusalem, sollten dafür sorgen, dass es in und um den Gazastreifen relativ ruhig bleibt. Man erhoffte sich mithilfe der Geldkoffer aus dem Emirat die Islamisten ein wenig gefügig zu machen und den Konflikt zu deckeln. „In Absprache mit den Sicherheitsexperten bin ich bereit, alles zu unternehmen, damit die Bewohner in den Ortschaften im Süden wieder Ruhe haben können“, verteidigte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu 2018 diesen Geldtransfer. Denn manche sahen das damals bereits sehr kritisch, allen voran sein Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, Vorsitzender der Partei Israel Beitenu. Er sprach von einer „Kapitulation vor dem Terror“ und sah die Gefahr, dass man so die Hamas stärken würde, was sich langfristig für Israel negativ auswirken könnte. Deshalb trat er von seinem Posten zurück. Aber auch in dem kurzen Intermezzo, als der Ministerpräsident mal nicht Benjamin Netanyahu hieß, sondern erst Naftali Bennett und dann Yair Lapid, hielt man an diesem Prozedere fest. Die Geldkoffer gingen weiter munter auf Reise.

Etwa drei Milliarden Dollar flossen so in den Jahren zwischen 2012 und 2022 in die Hände der Hamas – das jedenfalls hatte die Tageszeitung „Haaretz“ einmal ausgerechnet, manchmal zwischen 360 und 480 Millionen Dollar pro Jahr. Auf diese Weise konnte die Hamas ihre brutale Herrschaft über den Gazastreifen aufrechterhalten und hatte genügend Mittel übrig, diese in den Ausbau ihrer militärisch genutzten Infrastruktur zu stecken. Und es waren ausschließlich die radikalen Islamisten-Organisationen, die aus Katar Geld erhielten. Mahmoud Abbas und seine Palästinenserbehörde in Ramallah standen nicht auf der Empfängerliste des Emirates. Überhaupt zeigt Katar eine hohe Affinität zu der islamistischen Muslimbruderschaft, aus der die Hamas in den 1980er Jahren hervorgegangen ist. Sobald die radikalen Islamisten Probleme bekamen, sprang ihnen das Emirat zur Seite. So auch 2012, als es für Khaled Meshaal und andere führende Mitglieder der Hamas-Führung in Syrien aufgrund des Bürgerkrieges in Syrien zu ungemütlich wurde. Kurzerhand siedelte man nach Doha, der Hauptstadt des Emirates, über und errichtete dort ein Büro. Neben Gaza selbst entwickelte sich Katar so zum zweiten Standort, wo das Who’s who der Terrororganisation bald schon ein Leben im absoluten Luxus führen sollte.

„Katarische Beamte haben wiederholt erklärt, dass die Entscheidung, die Hamas-Führung aufzunehmen, auf eine Bitte der Vereinigten Staaten zurückgeht“, heißt es dazu auf al-Jazeera, dem omnipräsenten Sender, mit dem Katar ebenfalls massiv Einfluss auf der Welt nimmt. „In einem Meinungsbeitrag für das Wall Street Journal (WSJ) aus dem Jahr 2023 erklärte der katarische Botschafter in den USA, Scheich Meshal bin Hamad al-Thani, dass es angeblich Washington gewesen war, das das Büro wollte, „um so indirekte Kommunikationswege mit der Hamas aufzubauen<.“ Dass die Vereinigten Staaten diese nutzen, vor allem in den vergangenen Monaten, steht außer Frage. Ob Washington als treibende Kraft dahinter zu sehen ist, darf bezweifelt werden. Denn die Behauptung von Scheich Meshal bin Hamad al-Thani, dass auf diese Weise Katar de-eskalierend im Konflikt zwischen Israel und der Hamas wirken konnte, entspricht wohl kaum den Realitäten, vor allem, wenn man sich die Nähe des katarischen Regimes zur Muslimbruderschaft selbst vor Augen führt. So gilt der TV-Sender al-Jazeera seit Jahren als Propagandaplattform für deren Ideologie – beispielhaft dafür sind die unzähligen Auftritte von Yusuf al Qaradawi als Fernsehprediger bis zu seinem Tod 2022. Auf al-Jazeera konnte der 1961 aus Ägypten nach Katar geflohene Anhänger der Muslimbruderschaft unwidersprochen seine antisemitischen und den Holocaust bejubelnden Botschaften verkünden. Und auch die Tatsache, dass im Sprachgebrauch von al-Jazeera die von der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln ausschließlich als „Gefangene“ bezeichnet werden, verweist in die Richtung.

All das hält das Emirat nicht davon ab, sich ebenfalls in Israel Einfluss einzukaufen. Mit Jonathan Urich, Yisrael Einhorn sowie Eli Feldstein und Ofer Golan, so kam im Laufe dieses Jahres ans Tageslicht, haben sich die Kataris mit viel Geld die Kooperation von mindestens vier politischen Berater aus dem engeren Umfeld von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gesichert, was zwei zentrale Fragen aufwirft: Hat der Premier seine Mitarbeiter nicht wirklich im Griff, sodass diese als Pro-Katar-Lobbyisten agieren konnten, was als ein enormes Sicherheitsrisiko zu bewerten? Oder war der Premier von allem bestens im Bilde und befürwortete sogar das Ganze? Unabhängig davon, wie die Antwort ausfällt: Seither erschüttert „Qatargate“ die politische Landschaft in Israel. Fakt ist, dass in den vergangenen zwei Jahren Katar zum zentralen Vermittler zwischen Israel und der Hamas aufstieg – eine Rolle, die zuvor von Ägypten gespielt wurde. Genau das ist aber ein Problem, weil Katar kein halbwegs neutraler Vermittler sein kann, sondern ideologisch eng mit der Hamas liiert ist. In Kairo dagegen befindet sich das Regime in klarer Gegnerschaft zur Muslimbruderschaft. Die Einflussnahme Katars auf die israelische Entscheidung, stärker auf das Emirat als Vermittler zu setzen, schlug sich gleichfalls in einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Ägypten und Israel nieder – eine Entwicklung, die Katar ebenfalls begrüßt, weil so die eigene Rolle mehr Gewicht erhält.

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung Israels zu bewerten, das Politbüro der Hamas in Katar auszuschalten. Zweifelsohne möchte man auch die Führungsmitglieder der Terrororganisation zur Rechenschaft ziehen, die an den Planungen für den 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen waren, sich aber in dem Emirat aufhielten. Ob Ministerpräsident Benjamin Netanyahu mit diesem Angriff in Katar, von dem ihn der Mossad übrigens abzuhalten versuchte – sich angesichts der „Qatargate“-Affäre ebenfalls innenpolitischen Spielraum verschaffen wollte, darüber kann man nur spekulieren. Ebenso darüber, ob die Ankündigungen des Premiers, Angriffe dieser Art zu wiederholen, sollte Katar seine Unterstützung gegenüber der Hamas aufrechterhalten, allenfalls eine verbale Drohung bleibt oder nicht. Unabhängig davon, wie das alles zu bewerten ist, steht eines fest: Erstmals in seiner Geschichte ist Katar in seiner Rolle als Vermittler ernsthaft herausgefordert worden. Das Geschäftsmodell hat gelitten. Wie das Emirat darauf reagieren wird, inwieweit es seine Haltung zu einigen Terrorgruppen überdenkt oder die Beziehungen neu gestaltet, das werden erst die nächsten Monate zeigen.

3 Kommentare

  1. Deutsche Medien favorisieren leider aussdnahmslos die gegen Israel gerichtete „Fehlersuche“ – zum Ausgleich möchte sei mir gestattet, Herrn Balke ergänzend auf eine zwar sehr naheliegende, hierzulande allerdings tabuisierte Fragestellung hinweisen, die ich fast übersehen hätte:
    Maroun, Fred / Why is no pressure placed on Hamas’ friends and hosts? – The fact that Qatar hosts Hamas leaders is no secret, but what no one talks about is why there is no pressure on Qatar to arrest the mass murderers that they host. – Instead of arresting Hamas leaders, Qatar has been treating them as valued hosts and heads of state, acting as mediator between them and Israel in hostage negotiations as if Hamas was a legitimate party to negotiate with. When common criminals hold hostages, the police are forced to negotiate with them to try to save the lives of the hostages, but when an opportunity is available to arrest or even kill the kidnappers, the police take that opportunity. Qatar could easily arrest the Hamas mass murderers. I bet that negotiations with the Hamas members in Gaza would become more productive, but even if they don’t, it would be the right thing to do because, well, they are mass murderers. The reason why Qatar does not do that may be explained by information that the IDF uncovered in Gaza. As reported by the ToI, “Documents seized in Gaza over the course of the war against Hamas and published by an Israeli TV channel Sunday night purport to shine a light on Qatar’s intensive collaboration with the terror group spanning a number of years, including attempts to thwart regional peace efforts by the US, marginalize Egyptian influence on Gaza, and bolster the roles of Turkey and Iran.” – But this does not explain why the U.S., European countries, and others who claim to want the hostages freed and who claim to want Hamas removed from Gaza, do not pressure Qatar to do the right thing… even Trump seems to live in a parallel universe when it comes to Qatar. After the Israeli strike targeting Hamas leaders in Qatar, Trump said that Israel must be “very, very careful” about how it handles Qatar, and he called Qatar a “great ally.” A great ally? – There are plenty of examples of that, but just to pick a relatively recent one, look at the fact that so many countries, including my own country Canada, are recogni- zing a Palestinian state while Palestinian terrorists still hold Israeli hostages. This is beyond revolting. If proof of widespread bias against Israel was needed, here it is. The world would not do this to any other country, especially an oil-rich country like Qatar. But for the Jewish state, it’s apparently fair game. While there is no pressure on Qatar, there is plenty of pressure on Israel to end the Gaza war before Hamas is decimated. Yet we know that if Israel complies, there will be another Gaza war in a few years, and it will likely be even more deadly. It’s as if world leaders wanted endless wars in Gaza, which is exactly the opposite of what they hypo- critically say that they want. – ToI blog 21.09.25
    https://blogs.timesofisrael.com/why-is-no-pressure-placed-on-hamas-friends-and-hosts/?_gl=1*8lo0oa*_ga*NzY5Nzg4ODg4LjE3NTg0MTQxMzg.*_ga_RJR2XWQR34*czE3NTg0MTQxMzgkbzEkZzEkdDE3NTg0MTQyMTQkajYwJGwwJGgw

  2. Danke an Ralf Balke für seinen Beitrag. – Mich würde interessieren, ob es irgendwo eine kritische Dokumentation gibt über Beginn und Entwicklung der „Qatarisierung“ im Kontext mit der gigantisch vermehrten Kaufkraft Qatars in den letzten 80 Jahren und der Finanzierung von Projekten in europäischen und US-Industrien, im akademischen Bildungswesen, in den Medien usw. Es scheint keinen Sektor in den westlichen Gesellschaften zu geben, in dem die Qataris (neben weiteren Golf-Regimes) keinen relevanten Einfluss ausüben, wie er in der Haltung Trumps ebenso wie im Bückling unseres ehem. Energie-Einkäufers Habeck bildhaft wurde und im heutigen Campus-Treiben permanent die Szene dominiert, – keineswegs nur bei den organisierten Aktivisten, sondern v.a. beim führenden Dozenten-Personal. Soll heissen: Qatar „spielt“ mitnichten bloss, wie Balke’s Titel beschwichtigend flüstert.

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