Mein heutiger Tag begann mit Verwunderung oder besser Bestürzung: Ich las in der Welt am Sonntag den Artikel mit dem Titel „Ist es Völkermord?“ Es diskutierten Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Zeitung und der von mir an sich geschätzte Aufklärer und Publizist Hamed Abdel Samad, der sich bekanntlich seit einiger Zeit aufgrund islamkritischer Äußerungen nur noch mit Leibwächtern in der Öffentlichkeit bewegen kann.
Von Martin Klein, 14.09.2025
Aber jetzt hat er sich verrannt: Zwar hatte er schon am 12. Juni 2025 in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung (S. 20-21) behauptet, Israel beginge in Gaza Völkermord. Aber seine Ausführungen in der heutigen Welt am Sonntag (14.09.25) sind noch enttäuschender. Eine Stellungnahme hierzu siehe weiter unten.
Vorbemerkung
Ich bin selbstverständlich der Meinung, dass sich israelische Soldat(inn)en für begangene Kriegsverbrechen, — zum Beispiel die absichtliche Tötung von Kindern — von Gerichten abgeurteilt werden müssen, wie es in Israel auch geschieht. So wurde zum Beispiel der jüdische Siedler Amiram Ben-Uliel, der 2015 Brandbomben auf das Haus einer palästinensischen Familie geworfen und damit drei Menschen getötet hatte, zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Palästinensische Kindermörder jedoch werden in arabischen Ländern sowie von ihren Landsleuten und der „gemäßigten“ Palästinensischen Autonomiebehörde als Helden und Märtyrer gefeiert und ihre Angehörigen der Schwere der Tat entsprechend (mehr tote Kinder = mehr Geld im Sinne des „pay for slay“) gut bezahlt.
- Direkte aktive Tötung Unschuldiger
Eine direkte absichtliche Tötung von Unschuldigen ist grundsätzlich als verbrecherisch zu werten. Die meiner Ansicht in die Irre führende „postkoloniale“ Theorie, wonach im Befreiungskampf jede dem „richtigen“ Zweck dienende Handlung erlaubt sei, beinhaltete die kritiklose Unterstützung der Hamas, der es aber nicht um die Befreiung des palästinensischen Volkes in Gaza ging, wovon man sich seit 2005 überzeugen konnte, sondern um die Zerstörung des Judenstaates. Es folgte das unbeschreiblich grausame Massaker am 7. Oktober 2023 einschließlich Geiselnahmen, wobei die gefangenen Menschen seit fast 2 Jahren unerträglichen Bedingungen einschließlich Misshandlung und Hungerfolter unterzogen werden. Viele, die dem vorbehaltlos zustimmen, halten sich meist für „Linke“ und merken nicht, dass sie sich auf dem Weg in einen faschistoiden Abgrund bewegen.
- Indirekte Tötung Unschuldiger
Hier sieht die Sache anders aus: In einem gerechten Verteidigungskrieg muss leider manchmal die Tötung Unschuldiger unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit (!) in Kauf genommen werden! Warum?
Die von mir bevorzugte Lösung des ethischen Dilemmas basiert im Wesentlichen auf dem sogenannten Prinzip der Doppelwirkung, welches Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert am Beispiel der Notwehr entwickelte (Summa Theologiae, IIa-IIae Q. 64, Art. 7; siehe auch Wikipedia: Prinzip der Doppelwirkung). Es besagt im Wesentlichen, dass eine an sich gute oder neutrale Handlung trotz einer unvermeidbaren schlechten Nebenwirkung erlaubt sei, wenn die handelnde Person nur die gute Wirkung einer Handlung bei Inkaufnahme der schlechten beabsichtigt (Beispielsweise ist die Verteidigung des eigenen Lebens eine gute Handlung, die Tötung des Angreifers aber an sich eine schlechte Nebenwirkung. Ganz wichtig und oftmals missverstanden: die schlechte Nebenwirkung darf nur in Kauf genommen werden, wenn die Situation eine Alternative nicht erlaubt. Könnte man also den Angreifer abwehren, ohne ihn zu töten, so wäre dieser Weg zu gehen). Häufig wird in der Medienöffentlichkeit vereinfachend und verfälschend der pejorativ besetzte Begriff Kollateralschaden verwendet.
Die schlechte Wirkung darf – wie gesagt —kein Mittel sein, um die gute Wirkung hervorzubringen. Man darf also nicht wahllos Krankenhäuser durch Bomben zerstören, um den Gegner in einem an sich gerechtfertigten Krieg moralisch zu zermürben. Die Situation ist eine völlig andere, wenn ein Krankenhaus— wie bei der Hamas üblich — militärisch genutzt wird. Dadurch wird es, dies gilt wohl auch für das Kriegsvölkerrecht — zum legitimen militärischen Ziel. Ich behaupte nicht, dass diese Theorie richtig sein muss, nur weil sie von einem berühmten Theologen und Philosophen entwickelt wurde. Wer anderer Meinung ist, möge einen besseren Ausweg aus dem ethischen Dilemma weisen. Ich führe aber ein Beispiel an, um meine Sichtweise zu verteidigen: Würde das Gesagte nicht gelten, so könnte jeder Terrorist bei vorheriger Ankündigung nach dem Start aus einem Flugzeug eine Bombe auf eine Großstadt oder auch ein Kinderkrankenhaus unter Hinweis darauf abwerfen, dass er zwei Kinder an Bord habe, weswegen man ihn an seinem Vorhaben nicht hindern dürfe.
Stellungnahme zu den Anschuldigungen von Hamad Abdel Samad
Es beginnt damit, dass er seinen Kontrahenten in den „unsichtbaren Fesseln“ seiner „jüdischen Identität“ gefangen sieht und diese „tribale Bindung“ (Hervorhebungen durch den Autor dieses Artikels) sein Bewusstsein und seine Prinzipien lenke und dabei Recht und Unrecht verwechsele. Israel sei kein Opfer, weil es seit sechs Jahrzehnten die Westbank besetzt halte, Palästinenser enteignet und vertrieben habe, in Gaza eine biblische Verwüstung anrichte, die bisher über 50.000 Tote, überwiegend Frauen und Kinder gefordert habe und dabei von der größten Militärmacht der Welt unterstützt werde.
Wüsste man es nicht besser, könnte man das Ganze für offizielle Verlautbarungen der Hamas halten. Diese hat ohnehin längst den Propagandakrieg gewonnen.
Folgendes ist dazu zu sagen:
- Der Hinweis auf die „jüdische Identität“ und die „tribale Bindung“ ist — möglicherweise ohne dass sich der Verfasser dessen bewusst ist—, eine antisemitische Beleidigung, die dem Angegriffenen unterstellt, er opfere seine Moralvorstellungen bedenkenlos auf dem Altar seiner religiösen Gemeinschaft. Indem seine jüdische Identität mit einer falschen Wahrnehmung von Recht und Unrecht in Verbindung steht, wird die Idee gefördert, dass Jüdinnen und Juden eine geheime Agenda haben, die dem allgemeinen Verständnis von Moral und Gerechtigkeit entgegengesetzt ist.
- Die Situation im Westjordanland ist weitaus komplizierter, als sie Abdel Samad, aber auch die meisten Israel-Kritiker und der UN – Sicherheitsrat (Resolution 446, 22. März 1979) dargestellt haben. Das Westjordanland stand seit 1948 unter jordanischer Kontrolle, niemals gab es vorher oder nachher hier einen palästinensischen Staat. Die von Jordanien erfolgte Annexion wurde bemerkenswerterweise zwar de facto von Großbritannien und formell von Pakistan, aber nie international anerkannt. Gemäß Artikel 42 der Haager Landkriegsordnung von 1907 gilt die militärische Kontrolle kriegerisch eroberter Gebiete eines feindlichen Staates zwar als Besatzung. Da jedoch kein souveräner Staat die rechtliche Souveränität über das Westjordanland besaß, entspricht Israels Anwesenheit dieser rechtlichen Definition nicht. Kritiker berufen sich oft auf Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention und behaupten, Israel verstoße dagegen. Doch dieser Artikel wurde geschaffen, um brutale Zwangsumsiedlungen wie unter Nazi-Deutschland zu verhindern – es ist geradezu obszön, die freiwillige Umsiedlung in Gebiete ohne zuvor anerkannte Souveränität darunter fassen zu wollen.
- Tatsächlich sind Palästinenser in der Folge des Unabhängigkeitskrieges 1948-49 auch vertrieben worden, aber die Hauptschuld daran tragen die arabischen Staaten und die Palästinenser. Denn Israel wurde völkerrechtlich korrekt in einer demokratischen Abstimmung, an welcher auch die arabischen Staaten teilnahmen(!) sich aber nicht durchsetzen konnten, mit 33:13 Stimmen bei einigen Enthaltungen anerkannt (UN-Resolution 181 (II) a). Unter Verstoß gegen die UN- Charta (Friedenspflicht) wurde noch in der Nacht nach der Unabhängigkeitserklärung der jüdische Staat am 14. Mai 1948 von Ägypten, Jordanien (damals Transjordanien), Syrien, Libanon und dem Irak überfallen, mit dem Ziel seiner Auslöschung bei der Geburt. Zur Vertreibung der Palästinenser ist vieles geschrieben worden, die wesentliche Quelle dürfte das endlich vor kurzem auch auf Deutsch erschienene Buch von Benny Morris „Die Geburt des palästinensischen Flüchtlingsproblems“ sein. Warum nur erwähnt der Ägypter Abdel Samad in diesem Zusammenhang mit keiner Silbe die Abwanderung und brutale Vertreibung nach Jahrhunderten von Erniedrigungen und sogar Pogromen von knapp einer Million Juden aus den muslimischen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens einschließlich dem Iran und Nordafrikas, besonders nach 1948? Träumt er vielleicht noch von der oft beschworenen —aber selten praktizierten Toleranz der Muslime gegenüber Juden? Für die Genannten gab es übrigens keinerlei Hilfen der Vereinten Nationen, viele gingen nach Israel, Europa und Amerika und wurden gut integriert. Entschädigungsleistungen für den Verlust ihres Eigentums und ihrer Heimat haben sie von niemandem, natürlich auch nicht den muslimischen Vertreiberstaaten erhalten.
- Gab es — wie Abdel Samad behauptet — eine „biblische Verwüstung“ mit 50 000 Toten, überwiegend Frauen und Kinder?
Tatsache ist, dass diese Angabe, wie alle anderen, unüberprüfbar ist. Niemand kennt die Zahl der Toten im Gaza- Streifen einschließlich der Hamas Terroristen seit dem 07.10.23. Aber aufgrund dieser Informationen könnte man auch die These aufstellen, es gebe überhaupt nur tote Zivilisten, denn die „Gesundheitsbehörde“ in Gaza hat noch keinen gefallenen (oder verhungerten) Hamas-Kämpfer gemeldet. Schätzungen sprechen von 60.000 Toten bei 25.000 Hamas- Angehörigen. Aber gesetzt den Fall, diese Zahl ist richtig, wäre dies keinesfalls ein Beweis für Völkermord, wenn man die Daten anderer Kriege zum Vergleich heranzöge. Wollte Israel wirklich einen Völkermord begehen, so würde das bisherige Ergebnis eher seine Unfähigkeit zu dessen Durchführung beweisen. Oder zweifelt irgendjemand daran, dass seine militärischen Fähigkeiten auch innerhalb einer Woche zu 600.000 oder 1 Million Toten führen könnten— und zwar ohne Soldaten am Boden einzusetzen und ihr Leben dadurch zu gefährden? Abdel Samad tut so, als ob seine Aussagen unantastbar seien. Es ist für ihn auch ausgemacht, dass Israel die Zivilisten in Gaza „aushungert“. Er vergisst zunächst, uns die Frage zu beantworten, in welchem bisher stattgehabten Krieg der Menschheitsgeschichte ein kriegführendes Land sich für die Ernährung der gegnerischen Bevölkerung zuständig zu fühlen hatte. Jeder, der sich mit diesem Thema etwas näher beschäftigt, weiß, dass selbst die nicht gerade israelfreundlichen Vereinten Nationen, die lange israelische Meldungen über den Diebstahl der Hilfsgüter zurückwiesen, kürzlich einräumen mussten, dass seit Mai 2025 knapp 90 % ihrer Lkw von bewaffneten Banden gestohlen wurden. Man tut sicherlich nicht der Hamas Unrecht, wenn man sie bezichtigt, hier ihre Finger im Spiel zu haben, denn wie könnte es sonst dazu kommen, dass sie Nahrungsmittel im Gazastreifen zu völlig überhöhten Preisen verkauft? Ich rate, zu diesem Thema das kürzlich erschienene Werk von Jean Pierre Müller „Zwischen Humanität und politischer Agenda“. Ein kritischer Blick auf das UN- Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge, zur Kenntnis zu nehmen, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Es handelt sich um einen Autor, der seit Jahren mit der Region verbunden ist, dort als Hochschullehrer gearbeitet und internationale Organisationen in Fragen der öffentlichen Gesundheit beraten hat.
Somit ist festzustellen, dass Israel im Gegensatz zur Hamas keinen Völkermord begeht und diesen auch nicht beabsichtigt. Die Hamas beabsichtigte die Zerstörung des Judenstaates — in Verbindung mit dem Iran, der Hisbollah, dem islamischen Dschihad, dem Irak, Syrien, den Houthis in Jemen. Traurigerweise wurde dieses Vorhaben indirekt durch finanzielle Beteiligung der achten Front, nämlich den westlichen Demokratien einschließlich Deutschlands gefördert! Israel hat zum Glück die Gefahr erfolgreich abgewehrt; Hamed Abdel Samad aber ist auf den Holzweg geraten! Ich hoffe sehr, dass er wieder zur Besinnung kommt!