Musik nach der Shoa – Die Geschichte eines jüdischen Orchesters 1945–1949

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Auftritt des Orchester in München, Repro: aus dem besprochenen Band (ushmm), 1. v. l. Max Beker (Violine), verdeckt Fania Beker (Piano)

„Ojf der Ajnlandung fun di Mitarbeter fun Nürnberger Krigs-Tribunal, hot der St. Otijler Jidiszer Orkester gegebn a Koncert in Nürnberger Opernhoiz“, schrieb die jiddische Zeitung Undzer Wort unter der Schlagzeile „Ajndrukfuler jidiszer Koncert“ im Mai 1946. „Der Dirigent Her Hofmekler, hot mit zajn Cojber-Sztekele arojsgecojng gefilfule Tener fun di Jidiser Muziker.“

Sein erstes Konzert hatte dieses jüdische Orchester bereits kurz nach Kriegsende im Kloster von St. Ottilien am 27. Mai 1945 gegeben, das zu dieser Zeit hunderte von jüdischen Patienten beherbergte, zumeist Überlebende eines Todesmarsches. Darunter befanden sich auch der in Wilna geborenen bekannte Konzertmeister Michael Hofmekler und weitere Musiker des ehemaligen Kowner-Ghettos-Orchesters. Diese Aufführung ging als „Liberation Concert“ in die Geschichtsbücher ein. Auf ihren nur notdürftig reparierten Instrumenten trugen die Musiker neben einem klassischen Repertoire jiddische Volksweisen vor. Als die Sängerin Henai Durmashkin das Ghettolied „Ich sehne mich nach Hause“ anstimmte, konnten viele die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Die in der Öffentlichkeit nur wenig bekannte Geschichte dieser Musikgruppe beschreibt die Journalistin Karla Schönebeck in ihrem Buch „Musik nach dem Todesmarsch“. Dabei stützt sie sich weitgehend auf die Sekundärliteratur (z. B. den Aufsatz „Displaced Music: The Ex-Concentration Camp Orchestra in Postwar Germany“ von Abby Anderton aus der Fachzeitschrift „Journal of Musicological Research“), einige Zeitzeugenberichte beziehungsweise Aussagen von Nachkommen der Musiker, wie etwa der Tochter Sonia von Fania und Max Beker, die Mitglieder des Orchesters waren. Sonia Pauline Beker, die Tochter, hat ihre Erinnerungen in dem 2007 erschienenen Buch „Symphony on Fire. A Story of Music and Spiritual Resistance During the Holocaust“ zusammengefasst. Leider hat Schönebeck es versäumt, die umfangreiche jiddische DP-Presse zu konsultieren. In vielen dieser Zeitungen sind Berichte und Kritiken über die Auftritte des Orchesters in den DP-Camps zu finden.

Denn die Musiker traten in nahezu jedem dieser „Wartesäle zur Emigration“ im besetzten Deutschland auf, in der Regel in gestreiften KZ-Uniformen mit aufgenähtem gelben Stern an der Jacke. Als Kontrast dazu waren auf der Bühne ein Transparent mit der hebräischen Aufschrift „Am Israel Chaj“ (Das Volk Israel lebt) und ein großer Schriftzug mit dem Wort „Zion“ angebracht. Palmen aus Pappmaché rahmten die Szenerie. Mit dieser Dekoration wollten die Musiker ihre Absicht auf eine baldige Übersiedlung nach Erez Israel unterstreichen. Denn der jüdische Staat stellte für sie die einzige wirkliche Hoffnung dar in einer Welt, die sie als Hölle erfahren hatten. In zahlreichen Konzerten erwärmten die Musiker mit ihren jiddischen und hebräischen Stücken die Herzen der an Leib und Seele verletzten Leidensgenossen.

Ihren ursprünglichen Namen „Jewish Ex-Concentration Camp Orchestra“ änderte die Gruppe bald in „Reprezentanc Orkester fun der Szeerit Hapleitah“ – Orchester des Rests der Geretteten. Ihren bedeutendsten Auftritt, der auch international beachtet wurde, absolvierten die Musiker am 10. Mai 1948 im DP-Camp Feldafing und Landsberg. Den Taktstock führte der weltberühmte jüdische Kapellmeister und Komponist Leonard Bernstein, der auch die Klavierbegleitung übernahm. Es wurden Stücke von Bizet, Verdi und Puccini sowie die Rhapsody in Blue von George Gershwin gespielt. Große Begeisterung lösten auch die hebräischen Lieder aus Erez Israel aus. Denn viele Konzertbesucher träumten schon seit Jahren davon, endlich Alija zu machen.

Die Begegnung mit den Überlebenden der Shoa im Land der Täter hinterließ bei Bernstein ein tiefen Eindruck. „Mein Herz hat geweint,“ berichtete er später seiner Freundin und Klavierlehrerin Helen Coates. Im Frühjahr 1949 löste sich das Orchester auf. Die Mitglieder verließen Deutschland in Richtung Israel oder den klassischen Emigrationsländern wie etwa die USA.

Karla Schönebeck versucht mit ihrem Buch mittels eines Anmerkungsapparats eine wissenschaftliche Herangehensweise an das Thema zu suggerieren, doch viele Fußnoten ergänzen den Text nicht wirklich. Sie sind fehlerhaft oder unvollständig, wie etwa: „Bayerischer Rundfunk“ oder die „Autorin war bei einer Versammlung“ beziehungsweise erwecken den Eindruck als Textstellen aus einer Primärquelle. Zudem verwendet sie reihenweise Zitate und Fakten ohne Quellennachweis. Eine Literaturliste und Quellenaufstellung sucht man vergeblich. Das ist leider ärgerlich, zumal auch einige sachliche Fehler auftreten. Denn die Autorin erzählt eine faszinierende Geschichte vom Leben nach dem Überleben. Eine Spurensuche, der ein wenig sorgfältiges wissenschaftliches Arbeiten verbunden mit solider Archivrecherche gutgetan hätte. So ist ein unterhaltsames Sachbuch entstanden, eingängiger Journalismus, verlegt in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Herder. – (jgt)

Karla Schönebeck, Musik nach dem Todesmarsch: Ein jüdisches Orchester und seine Liberation Concerts im Nachkriegsdeutschland, 287 Seiten, Freiburg 2025, 26,00 €, Bestellen?

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