Zur neuen Bedeutung des Wortes „Dialog“

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Letzte Woche war anstrengend. Am Dienstag habe ich das Protokoll der Enquete-Kommission „Für gesellschaftlichen Zusammenhalt, gegen Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jede Form von Diskriminierung“ gelesen, 94 Seiten lang.

Und wenig später erfuhr ich, dass die ISA, International Sociological Association, die israelische Soziologische Gesellschaft (ISS) aus ihren Reihen ausgeschlossen hat. Ohne eine Vorankündigung, ohne die Anhörung der israelischen Kolleginnen, ohne eine Abstimmung mit den Mitgliedern.

Von Elisabeth Schilling

Die nächsten Tage waren chaotisch. Im Netzwerk jüdischer Hochschullehrender schrieben wir Protestbriefe, stritten uns über Argumente und Formulierungen, bekamen Antworten und diskutierten, wie diese zu verstehen sind. In den Antworten wurde nämlich einstimmig ein Dialog angeboten. Während den Menschen faktisch ein Hausverbot ausgesprochen wurde. Etwas widersprüchliche Botschaften, nicht leicht zu verstehen…

Die israelische Soziologische Gesellschaft veröffentlichte daraufhin auf ihrer Seite eine Stellungnahme. Nuanciert, feinsinnig, verständnisvoll, voller Reue, für das, was sie nicht zu verantworten haben.

Ich dachte darüber nach. Und das vermischte sich mit meinen Eindrücken von dem Enquete-Protokoll. Da wurde auch nach Dialog gerufen. Interessanterweise vor allem von Menschen, die nach meinem Befinden eher antisemitische Positionen vertreten. Sie selber würden das wahrscheinlich als eine reine Diffamierung bezeichnen, denn niemand will ja Antisemit sein. Sie wollten aber den Dialog unter bestimmten Bedingungen: Begriffe solle man nicht fest definieren, das behindere den freien Dialog (ja, klar, wenn man nicht genau weiß, wovon man spricht, geht so ein Dialog besonders leicht von der Zunge, dachte ich zynisch). Man solle Antisemitismus nicht als Antisemitismus benennen. Und über den importierten Antisemitismus solle man nicht sprechen, denn es gäbe ja auch Antisemitismus von rechts (Logik? habe ich nicht entdecken können). Auch solche empirische gestützten Konstrukte wie israelbezogener Antisemitismus werden abgelehnt. Und wenn man eine unbestreitbare Beobachtung schildert, dass auf pro-palästinensischen Demonstrationen ständig antisemitische Straftaten geschehen und sie eher den Zielen von Hamas als den Zivilisten in Gasa nutzen, sei es eine Diffamierung einer ganzen Bewegung. Geschickt wird dadurch sowohl der Beobachter diffamiert als auch die Realität de-realisiert.

Was haben wir denn unterm Strich? Eine sich immer weiter aufreißende Kluft zwischen den Worten und Taten. Salbungsvolle Reden, Antisemiten präsentieren sich als offene und dialogbereite Intellektuelle. Nur sollte dieser Dialog auf ihren, vollkommen unmöglichen Bedingungen stattfinden. Wenn nicht – zeigen sie mit dem Finger auf uns – wir werden als Kriegstreiber präsentiert, diejenigen die den Dialog verweigern. Machen wir mit – wird auf Zeit gespielt: die Grenze des Sagbaren immer weiter verschoben, Aggressionen und Angriffe als legitime Meinungsäußerungen verkauft. So oder so wird es nicht besser, nur noch schlechter, Schach und Matt.

Ich habe seit Neuestem, inspiriert durch Anne Applebaum, ein Vokabelheftchen. Darin notiere ich mir alle Begriffe, die von Demokratiefeinden gekapert und verdreht werden. Maskierungen und Chiffres der neuen, Orwell’schen Zeit. „Souveränität eines Staates“ steht darin. Von Putins-Regierung verwendet, bedeutet das „Russland greift die Nachbarländer an und der Rest der Welt soll sich raushalten“. Auch die Regierung Erdogan liebt das Wort. „Respekt“ heißt jegliche autoritäre Übergriffe auf Andersdenkende zu tolerieren. Israel besitzt dementsprechend weder „Respekt“ oder „Souveränität“. „Zionisten“ bedeutet „Juden“. „Solidarität“ – deinen Kollegen, mit denen du 20 Jahren gearbeitet hast, jegliche Empathie verweigern. Und noch viele andere Wörter stehen da.

Heute werde ich auch das Wort „Dialog“ reinschreiben. Früher hieß es für mich „Kompromisse suchen, Einigung erzielen“. Jetzt lautet die Übersetzung „Zeit schinden, beim Gegenüber die Hoffnung aufrechterhalten, eine Einigung sei möglich. Er soll nicht aufbegehren, sondern nach besten Argumenten suchen und seine Ressourcen verschwenden. Währenddessen werden unabänderliche Tatsachen geschaffen, um ihn auszuschließen, zu diffamieren und schließlich zu beseitigen.“

Vor diesem Hintergrund erscheint mir auch der kluge, nachdenkliche Brief der ISS nicht mehr als so klug. Vielleicht naiv. Er konzentriert sich auf die Worte und übersieht die Taten. Fast entsteht bei mir der Eindruck, dass seine Hoffnung darauf fußt, sich von den „anderen“, „falschen“, „schlechten“ Juden zu distanzieren. Zu beweisen, dass die Autoren nicht so, sondern ganz anders sind.

Ich bin noch in der Sowjetunion aufgewachsen. Unter den Bedingungen des tiefsten, haltlosen Antisemitismus. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich in der Schule als dreckige Jüdin beschimpft und verprügelt wurde. Zeitweise täglich. Als Israeli macht man wahrscheinlich andere Erfahrungen. Jüdische Identität wird anders gelebt, wenn man von anderen Juden und wohlgesonnenen Nicht-Juden umgeben wird. Dann erkennt man vielleicht die maskierte Gefahr nicht sofort. Dann klammert man sich vielleicht an eine Hoffnung, wo es keine Hoffnung mehr gibt. Und lässt den Augenblick verstreichen, an dem man noch etwas ausrichten könnte. Sich zu distanzieren hilft nicht, niemanden. So werden nur interne Differenzen vertieft, die Gemeinschaft gespalten und gegeneinander ausgespielt. Eine Weile kann man mit damit noch am Katzentisch bleiben, sich immerwährend entschuldigend und rechtfertigend, niemals gleichwertig. Früher oder später aber kommt man auch an die Reihe, so wie das schon häufig in der Geschichte der Fall war. Es geht nämlich nicht, um die Herstellung der Gerechtigkeit oder die Weltverbesserung. Es geht einzig um allein um die Judenfeindschaft.

So gerne würde ich meine israelischen Kolleginnen und Kollegen umarmen und anflehen: verschwendet nicht Eure Intelligenz, Eure Zeit und Eure Ressourcen für eine aussichtslose Sache. Redet doch besser mit denen, die euch noch zuhören, Juden und nicht Juden, aber Menschen, die mit Euch wirklich solidarisch sind. Redet mit denen, die noch schweigen und unentschlossen sind. Redet mit unseren nicht-jüdischen Freunden, diesen Gerechten unter den Völkern, die jede antisemitische Hetze und Ausgrenzung auf sich nehmen, um jüdisches Leben in Diaspora zu beschützen. Das ist die echte Solidarität, nicht geheuchelte, nicht als Maske aufgesetzte. Wir müssen unsere internen Streitigkeiten begraben, sie sind jetzt nicht mehr so wichtig. Wir sitzen nämlich alle im selben Boot.

Die Autorin ist Professorin für Sozialwissenschaften an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen.

1 Kommentar

  1. Frau Schillig stimme ich voll zu – v.a. hinsichtlich des „Verschwendens von Intelligenz“ an die von Feig- und Besessenheit beseelte, rational vollkommen unerreichbare, im Grunde völkische Kollegenschaft.

    Der österreichische Führer der „Alldeutschen“ Schönerer, anfänglich Hitlers Ideen-Geber, pries den „Antisemitismus als grösste Errungenschaft des Jahrhunderts“ bzw. als „Hauptreinigungsmittel in jedweder echt nationalen nationalen Beziehung“ – S. 51

    Hitler repetierte 1920: „Antisemiten aller Länder vereinigt euch. Völker Europas macht euch frei“ – S. 77

    Alfred Rosenberg denunzierte den „Zionismus, wesensverwandt dem Bolschewismus“, als Instrument des „gefrässigen jüdischen Imperialismus“ mit dem „Nervenzentrum in den USA“ – S. 282

    Ob die heutige deutsche Akademiker-Majorität vor der Dhimmitude-Drohung in ähnlicher Weise in die Knie geht wie ihre willigen Vorgänger in den 1930er Jahren vor den Nazis, – im trugschlüssigen Glauben, auf diese Weise verschont zu bleiben, – oder ob sie ihr Heil wiederum darin sieht, dem alten antijüdischen, antiamerikanischen Reinheits-Ethos sich anzuschliessen – das eine wie das andere zeugt von derselben unfassbaren Borniertheit, wie sie in den „braunen Universitäten“ kultiviert worden war.
    Zitate aus Robert Wistrich / Der antisemitische Wahn. Von Hitler bis zum Heiligen Krieg gegen Israel (1987 – die engl. ed. Hitler’s Apocalypse vermeidet d. unzulängliche Pathologisierung)
    > download-link b. Verf. diese postings

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