Eine Botschaft des assyrischen Volkes an das jüdische Volk und an Israel
Wir, das assyrische Volk, blicken wie unsere jüdischen Brüder und Schwestern auf eine Geschichte voller Größe zurück und voller tiefer Wunden.
Einst herrschten wir über mächtige Reiche und wurden doch zu Exilanten.
Wir bauten Tempel für Gott, nur um sie in Flammen untergehen zu sehen.
Unsere Sprache trug die Worte Jesu und wurde doch vom Staub vergessener Länder begraben.
Unser Glaube hielt uns, doch die Welt vergaß uns.
Und dennoch: Wenn wir Israel betrachten, sehen wir nicht nur ein Land.
Wir sehen ein Spiegelbild.
Wir sehen ein Volk, das sich über Jahrtausende bewahrt hat, trotz Exil, Pogromen, der Schoah.
Ein Volk, das aus der Asche auferstanden ist, mit Mut, mit Würde, mit Leben.
Ein Volk, das sagte: „Nie wieder“ – und diese Worte zur Wirklichkeit machte.
Wir Assyrer hören dieses „Nie wieder“.
Es ist auch unser Ruf.
Denn auch wir waren Opfer eines Völkermords im Jahr 1915, gemeinsam mit den Armeniern und Griechen.
Auch wir wurden 1933 massakriert, 2015 in Syrien angegriffen und 2014 aus Ninive im Irak vertrieben.
Unsere Kirchen wurden niedergebrannt, unsere Kinder zur Flucht gezwungen, unsere Heimat zu Staub.
Und noch immer fragt die Welt: Wer seid ihr? Seid ihr nicht nur eine Erinnerung?
Aber wir sind noch da.
Wir bewahren unsere Sprache, Assyrisch-Aramäisch, die Sprache Jesu.
Wir lehren unsere Kinder, wer sie sind, selbst wenn kein Land unseren Namen kennt.
Und wir träumen, wie einst die Juden in Babylon träumten, von der Rückkehr.
Nicht aus Hass. Sondern aus Liebe.
Nicht, um anderen zu schaden. Sondern einfach, um zu leben.
Wir bauen wieder auf mit unseren Händen, mit unseren Herzen, mit unserem Glauben.
Wir glauben an das Recht jedes Volkes, in Würde zu existieren, in Frieden, in Sicherheit, in Freiheit.
Unsere Diaspora mag verstreut sein, aber unser Geist ist ungebrochen.
Ninive ist für uns Assyrer das, was Jerusalem für die Juden ist – ein Symbol unserer Identität, unseres Glaubens, unserer Geschichte.
Ein Ort, der mehr ist als Geografie. Er ist Seele, Sehnsucht, Heimat.
Dorthin richten sich unsere Gebete. Dort beginnt unsere Hoffnung.
Und so rufen wir der Welt zu:
Seht uns. Erkennt uns an. Helft uns, das zu bewahren, was geblieben ist.
Gebt unseren Kindern die Hoffnung, dass auch ihre Wurzeln eine Zukunft haben.
Und wir sagen unseren jüdischen Freunden:
Eure Geschichte gibt uns Hoffnung.
Euer Mut macht uns stärker.
Eure Heimat zeigt uns, dass Wunder möglich sind.
Ihr habt das Unmögliche möglich gemacht und uns gezeigt, dass auch wir nicht aufgeben dürfen.
So wie Zion wieder auferstanden ist, beten wir, dass Ninive nicht verloren geht.
Dass auch unsere Ruinen wieder Leben tragen.
Dass unsere Lieder wieder erklingen.
Dass unsere Geschichte weitergeschrieben wird.
Zwei alte Völker, zwei überlebende Seelen.
Getrennt durch die Zeit, vereint im Leid.
Und durch einen gemeinsamen Glauben:
Dass das Leben siegt.
Und dass aus Asche neues Licht entstehen kann.
Charli Kanoun
Vorsitzender des Assyrischen Kulturvereins e. V. Saarlouis
Aktivist der Assyrischen Autonomiebewegung e. V., Saarland