Weiter schreiben

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Von Ramona Ambs

„In der Frage des Antisemitismus habe ich wenig Lust, Erklärungen zu suchen, verspüre ich eine starke Neigung, mich meinen Affekten zu überlassen, und fühle mich in der ganzen unwissenschaftlichen Einstellung bestärkt, dass die Menschen so durchschnittliche und im großen ganzen doch elendes Gesindel sind.“
Sigmund Freud

In Gesprächen mit jüdischen Kollegen -Journalistinnen oder Autoren- macht sich derzeit große Resignation breit. Da schreibt man jahrelang über Antisemitismus… wie er wo in welchem Gewand auftaucht, woran man ihn erkennt, wie er zu definieren ist und was man dagegen tun könne- und dann passiert mit dem 7.Oktober der größte Massenmord an Juden nach der Shoa und statt Solidarität oder Mitgefühl zu erfahren, bekommen wir nun täglich neuen Antisemitismus. Und ich meine damit nicht die berechtigte Kritik an der israelischen Regierung, -obschon diese, wenngleich nicht unbedingt inhaltlich, so doch in ihrer Omnipräsenz und Darbietung durchaus oftmals antisemitische Züge trägt; sondern ich meine die täglich wachsenden Übergriffe, Angriffe und Vorwürfe, denen wir Juden seither ausgesetzt sind- und zwar überall, -an jedem Ort auf dieser Welt…

Der Kampf gegen den Antisemitismus war noch nie so frustrierend wie heute.
Und noch nie so gefährlich.

Ich fange an, Sisyphos zu beneiden. Denn er hat zwar täglich den Stein den Berg hinauf gerollt, – aber immerhin war es immer derselbe Stein und derselbe Berg. Der Antisemitismus hingegen ist ein Berg, der täglich wächst und steiler wird. Und der Stein wird mir täglich schwerer…

Und manchmal erwische ich mich bei dem Gedanken hinzuschmeißen, einfach alles sein zu lassen. Sollen sie halt glauben was sie wollen, die Judenhasser. Sie haben bisher nicht auf mich oder andere gehört, sie werden es auch künftig nicht tun. Und die Gleichgültigkeit der Nichtjuden vermag ich auch nicht aufzubrechen… und das Werben um Mitgefühl zermürbt zunehmend.

Aber dann denk ich an all jene tapferen Streiter gegen Antisemitismus, die uns vorausgegangen sind und deren Bemühren auch nie von Erfolg gekrönt war…

So schrieb beispielsweise schon 1893 Leopold Auerbach in seiner Broschüre „Wie ist die Judenhetze zu bekämpfen?“ dass es eigentlich völlig sinnlos sei mit aufklärenden Flugblättern oder Broschüren sich dem Judenhass entgegen zu stellen, weil die Antisemiten garnicht aufgeklärt werden wollen.

Und dennoch hat er weiter geschrieben.

Und Fritz Bernstein konstatierte, dass die kollektive Haftbarmachung der Juden für was auch immer keine Reaktion sei, auf Tatsächliches, sondern eine nachträgliche Rechtfertigung von bereits vorhandenen Abneigungsgefühlen, die so stark seien, dass sie selbst durch gemachte Erfahrungen nicht umgestoßen werden könnten.

Und dennoch hat er weiter geschrieben.

Constantin Brunner erklärte denn auch, dass der Antisemitismus „ein Ungeheur“ sei, das „wenigstens theoretisch besiegt sein muß“!

Und so gab es schon vor hundert Jahren Broschüren vom Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus, die Argumentationshilfen gegen antisemitische Beschuldigungen beinhalteten. (Eine dieser losen Blattsammlngen hieß übrigens „Anti Anti“ und hatte nach Themen geordnet, Fakten aufgelistet, die man den entsprechenden Verleumdungen entgegenhalten konnte.)

Denn auch damals schon gab es den Antisemitismus aus allen Richtungen. Neben den Rechten, die traditionell Juden hassen, gab es auch dokumentierte antisemitische Vorfälle beispielsweise der SPD oder der „überparteiliche Liga für Menschenrechte“ sowie aus der Mitte der Gesellschaft… alles wie heute….

Einer der fleißigsten Aufklärer war Binjamin Segel. Er wurde 1866 in eine jüdisch-orthodoxen Familie in Galizien geboren und wuchs in Lwiw in der Ukraine auf. Er schrieb auf deutsch, hebräisch, jiddisch und polnisch gegen den Judenhass und nahm sich sogar volle drei Jahre Zeit um „Die Protokolle der Weisen von Zion“ akribisch zu untersuchen und inhaltlich zurückzuweisen. Sein Buch: „Die Protokolle der Weisen von Zion kritisch beleuchtet – Eine Erledigung“ (1924) kennt bedauerlicherweise heute kaum noch jemand, während die Protokolle auf youtube und tiktok einer Art Wiederauferstehung feiern…

Und das darf einfach nicht sein.
Und deshalb muss man weiter schreiben.

Nicht nur, weil wir der Wahrheit verpflichtet sind, sondern auch damit die Arbeit von Binjamin Segel, von Arnold Zweig, von Julius Goldstein, von Constantin Brunner, von Fritz Bernstein und von vielen anderen nicht vergeblich war.

Ich schreibe also weiter, um das Ungeheuer wenigstens der Lüge überführt zu haben. Ich schreibe weiter, um wenigstens widersprochen zu haben. Ich schreibe weiter, damit zumindest falls doch mal jemand nach der Wahrheit sucht, man Antworten findet.

Und ich hoffe, es sucht jemand… irgendwann.

1 Kommentar

  1. Bin nur ein goy, der nicht einmal triftig ergründet hat, warum er dasselbe zu fühlen vermeint, warum ihn dieselbe Resignation umtreibt, die Sie beschreiben, kann somit also kaum „mitreden“. – Je mehr meine persönliche ‚Suche nach der Wahrheit‘ Antworten gezeitigt hat auf die Frage des Warum-Woher-Wozu die Feindseligkeit gegen jüdisches Leben und wohin mit ihr…), desto beklemmender das Fazit, siehe Ihr Freud-Zitat (bzw. m. eigene Lese-Chronik).
    Überdies lächerlich, was einer wie ich an Publikationen hin- und herzuwälzen vermochte, verglichen mit Sysiphus‘ Pensum.
    Wäre aber die Qual für die antike Ikone vielleicht ein wenig erträglicher gewesen, – ‚falls doch mal jemand‘ ihm hätte vorlesen dürfen, sagen wir: zwischendurch?
    Bleibt mir die Bitte: schreiben Sie weiter, weil es wohltut, Ihr Geschriebenes zu lesen, in dieser Wüstenei!