Antisemitismus-Deutung aus der Neuen Rechten

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Antisemitismus ist bei der Neuen Rechten meist kein Thema. Jetzt erschien eine Abhandlung mit einer besonderen Deutung dazu, wonach Juden für „universale Tendenzen“ stehen sollen. Demgegenüber erfährt in der Neuen Rechten das Partikulare eine höhere Wertschätzung.

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus ist für die Neue Rechte meist ein Nicht-Thema. Die gemeinten rechtsextremistischen Intellektuellen, die sich auf das Gedankengut der Jungkonservativen der Weimarer Republik berufen, vermeiden meist einschlägige Positionierungen. Allenfalls gibt es Anspielungen und Formulierungen, welche man im judenfeindlichen Kontext verstehen kann, aber nicht muss. Dabei handelt es sich um eine beliebte Diskurstechnik, die mal als „Maskierung“ (Götz Kubitschek) und mal als „Mimikry“ (Karlheinz Weißmann) empfohlen wurde. Eindeutiger Antisemitismus würde die Neue Rechte doch überaus angreifbar machen, was entsprechende Rücksichtnahmen und Zurückhaltungen motiviert.

Inwieweit es latente antisemitische Einstellungen ebendort gibt, soll hier nicht inhaltlicher Gegenstand sein. Der Blick fällt aber auf eine neue Publikation zum Thema. Den folgenden Ausführungen sei bezogen auf die Ideologie der Neuen Rechten vorangestellt, dass die Berufung auf das Partikulare gegenüber dem Universellen ebendort konstitutiv ist.

Diese Auffassung durchzieht auch ein kleines Buch aus dem genannten politischen Kontext: „Antisemitismus. Fragen und Versuch“ lautet der Titel, der als promovierter Historiker vorgestellte Simon Kießling ist der Verfasser (Verlag Antaios, Schnellroda 2025, 104 S.). Ausgangspunkt seiner Betrachtung ist eine Kritik, die sich gegen die Antisemitismusforschung wendet, welche den Antisemitismus losgelöst von den realen Juden wahrnehme: „Antisemitismus lässt sich nicht einseitig als Sache ausschließlich der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaften verstehen“ (S. 11). Genaue Belege für diese Deutung werden indessen nicht angeführt, ohnehin kommt die Fachliteratur im Fußnotenapparat kaum vor. Es soll aber bei dem Autor um jene Merkmale gehen, welche reale Eigenschaften von Juden wären. Sie gelten dann für die Antisemiten als Bezugspunkte. Eine solche Deutung könnte für eine jüdische Mitschuld als These stehen, sie könnte aber auch für eine Analyse ohne solche Implikationen von Schuldverschiebung stehen.

Daher muss der Blick auf das jeweils Gemeinte fallen. Der Autor spricht davon, dass den Juden religiös bedingt „universale Tendenzen“ (S. 22) eigen seien. Ein ganzes Kapitel ist gar mit „Der jüdische Sendungsauftrag“ überschrieben. Dieser artikulierte sich angeblich in der „Realgeschichte des jüdischen Volkes“, was in kurzen Abschnitten über die Weltgeschichte (vgl. S. 24ff) begründet werden soll. Indessen bemerkt Kießling bereits früh, „dass der Antisemitismus seit jeher ein kategorialer geistiger Irrläufer war und ist, der nicht nur unzuverlässige Verallgemeinerungen vornimmt, sondern die Juden für geschichtliche Erscheinungen in Haftung nimmt, die originär durchaus nicht jüdisch sind“ (S. 11). Gleichwohl werden als angebliche Belege einzelne jüdische Intellektuelle zitiert, etwa der Frühsozialist Moses Hess oder der Libertäre Gustav Landauer, die aber nun geistesgeschichtlich keine so große Relevanz hatten. Nach dem Autor spielten „ethnische Juden“ (S. 57) eine überaus negative Rolle in der Weltgeschichte.

Einige wie Benjamin Disraeli hätten auch die „Vorstellung einer Oberhoheit der Juden über alle anderen, von ihnen zur Verschmelzung geführten Völker“ (S. 65) vertreten. Als Ergebnis davon sei immer wieder „eine partikularistische Revolte gegen die … universale Tendenz“ (S. 66) aufgekommen. Gleichwohl irrten die Antisemiten mit ihrem Antisemitismus, wofür auf drei Ebenen berechtigt auf deren Fehlschlüsse verwiesen wird, denn die Juden seien kein „Urheber all der Zeiterscheinungen“ (S. 69). Bei den folgenden Betrachtungen verweist Kießling dann mehrfach auf Oswald Spengler, indessen ohne den Antisemitismus dieses Geschichtsphilosophen genauer zu thematisieren. Es heißt außerdem: „Nicht die Juden sind die treibende Kraft der ‚Zersetzung‘ und der materialistischen Auflösung aller organischen Gemeinschaft. Es ist vielmehr der schicksalshafte Prozeß des Abbaus von Substanz, der Verwandlung lebendiger Überlieferung in tote Materie, den der nicht abzuwendende Alterungsprozeß einer jeden Hochkultur noch stets mit sich gebracht hat …“ (S. 80).

Gegen eine antisemitische Deutung dieser Entwicklung positioniert sich Kießling verbal, verweist aber ausdrücklich häufig auf den jüdischen Hintergrund der gemeinten Protagonisten. Bezogen auf die Juden meint er, sie würden in ein Land mit universaler Tendenz ziehen. Ihre dortige Präsenz verbürge eine global ambitionierte Rolle. Demgegenüber liefe eine antijüdische Haltung auf eine „Selbst-Verkleinerung“ (S. 86) hinaus. Diese anerkennend erscheinenden Auffassungen sind indessen von einer instrumentellen Deutung, nicht von einer interessenfreien Toleranz geprägt. Insgesamt verheddert sich hier die Argumentation von Kießling, wirft er doch die partikulare und universale Ebene für die gemeinten Kontexte durcheinander. Denn der letztgenannte Gesichtspunkt erklärt für ihn die negative Haltung gegenüber den Juden, wobei diese aber für das Universale nicht als Ursachen gelten sollen. Sie werden in seiner Deutung aber als dessen gesellschaftliche Träger vorgestellt, also in einen negativen Zusammenhang gerückt.