
Israels Premier Netanyahu hat gestern Abend den Chef des Inlandsgeheimdienst Shin Bet zu einer dringenden Unterredung einberufen. Das Gespräch dauerte nur 14 Minuten, über den Inhalt musste man nicht lange spekulieren. Netanyahu hatte Ronen Bar nahegelegt, seinen Rücktritt einzureichen und ihm mitgeteilt, dass er ihn ansonsten selbst entlassen werde.
In einer Videobotschaft sagte Netanyahu später, dass der Premierminister jeder Zeit, „vor allem aber in existenziellen Kriegszeiten“ volles Vertrauen in den Leiter des Inlandsgeheimdienstes haben müsse und dem leider nicht so sei. So weit so verständlich. Interessant war sein Zusatz. Netanyahu sei überzeugt, dass dieser Schritt, also die Entlassung Bars entscheidend sei, „um die Organisation wiederherzustellen, um alle unsere Kriegsziele zu erreichen und um die nächste Tragödie zu verhindern.“ Damit keine Missverständnisse entstehen, Ronen Bar muss zurücktreten, das ist vollkommen klar. Der Shin Bet hat am 7. Oktober komplett versagt. Bar hat das auch eingestanden und seinen Rücktritt zugesagt, sobald alle Geiseln zurück sind.
Netanyahus Formulierung verrät jedoch seine Grundhaltung. Die Entlassung Bars verhindert die nächste Tragödie, die er offensichtlich in der Verantwortung von Shin Bet und Armee sieht – der Generalstabschef und weitere führende Kommandanten sind bereits zurückgetreten – mit ihm selbst und seiner Politik hat das alles nichts zu tun.
In wieweit das Ganze mit der sog. „Katar-Gate“ Affäre zusammenhängt, die gerade untersucht wird, ist unklar, eine strikte Nachrichtensperre wurde verhängt. In jedem Fall macht diese Entscheidung einmal mehr den Eindruck, dass Netanyahu vor allem eines nicht will – Verantwortung für den 7. Oktober übernehmen. Anders kann man auch seine Weigerung, eine staatliche Untersuchungskommission einzusetzen, nicht verstehen. Ein weiterer trauriger Höhepunkt im Eiertanz der Regierung, der seit 17 Monaten verhindert, dass die Menschen eine Antwort darauf bekommen, wie es zum 7. Oktober kommen konnte.
Netanyahus jüngsten Plänen hat Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara allerdings bereits einen Strich durch die Rechnung gemacht, mit dem Verweis auf einen Interessenskonflikt wies sie darauf hin, dass er Bar nicht entlassen könne. Widerstand regt sich vor allem auch in der Öffentlichkeit. Für die kommenden Tage sind Demonstrationen und Protestkundgebungen in Tel Aviv und Jerusalem angesetzt. (al)