519 Tage

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Demonstration in Tel Aviv, Foto: haGalil

Gestern Abend gab es, wie jeden Samstag Abend, wieder eine Kundgebung am Platz der Entführten in Tel Aviv. Die Familien der Geiseln erhalten dabei Unterstützung von Überlebenden der Hamas-Gefangenschaft. Sobald es ihr Gesundheitszustand zulässt, schließen sich zurückgekehrte Geiseln dem Kampf für die verbliebenen an. Sie wissen genau, wovon sie sprechen, wenn sie davor warnen, dass die Zeit für die 59 Geiseln abläuft.

Manche von ihnen senden Videobotschaften, viele schließen sich auch vor Ort den Protesten an. An diesem Samstag sprach erstmals Karina Ariev, eine der fünf Späherinnen, die nach 477 Tagen in Gefangenschaft frei kam, auf der Kundgebung: „477 Tage lang ertrug ich die Gefangenschaft unter schrecklichen Bedingungen – in Dunkelheit, in Kälte, mit schrecklicher Behandlung durch die Terroristen. Nach 477 Tagen erlangte ich zurück, was jeder hier für selbstverständlich hält: meine Freiheit. Jetzt verstehe ich, dass ich eine Bestimmung in dieser Welt habe – weiter zu kämpfen, bis auch alle meine Brüder und Schwestern ihre Freiheit erlangen. Ich bete, dass ich dieser Rolle würdig sein werde. Sie aufzugeben, heißt, uns alle aufzugeben.“

Karina Ariev, Foto: Paulina Patimer

Anat Angrest, die Mutter von Matan, einem Soldaten, der am 7. Oktober entführt wurde und von dem Hamas soeben ein Video veröffentlicht hat, eröffnete die Kundgebung: „In den Aufnahmen, die wir erhalten haben, wirkt Matan niedergeschlagen und verzweifelt. Neben seinem schwierigen psychischen Zustand bewegt er seine rechte Hand nicht, seine Augen und sein Mund sind asymmetrisch und seine Nase ist gebrochen. Laut Aussagen derjenigen, die zurückgekehrt sind, sind diese Verletzungen auf Kampfverletzungen sowie Verhöre und Folter zurückzuführen, die er als Soldat in Gefangenschaft ertragen musste. Diejenigen, die bei ihm waren, sagten uns, er sei gezwungen gewesen, allein mit seinen Verletzungen zurechtzukommen. Medizinischen Gutachten zufolge sind die Schäden an seinem Körper irreversibel.“ Während der Kundgebung wurde das Video ausgestrahlt. 

Matan in dem Propagandavideo von Hamas, Screenshot Telegram
Anat Angrest, Foto: Paulina Patimer

Lishay Miran-Lavi, deren Mann Omri aus Nahal Oz entführt wurde, sagte: „Ende dieses Monats wird unsere Alma ihren zweiten Geburtstag feiern. Ein ganzes Leben, das ihr Vater Omri verpasst hat. Werden wir das Glück haben, dass Omri bis dahin zu uns zurückkehrt?
Heute ist der Internationale Frauentag, und ich schaue auf Roni und Alma, auf Shay, auf Yuli und Emma. Ich schaue auf so viele weitere Mädchen und Frauen, die viel zu lange für ihre Väter, ihre Großväter, ihre Ehemänner, die in Gefangenschaft bleiben, gekämpft haben.“

Lishay Miran-Lavi, Foto: Paulina Patimer

Alon Ohels Mutter Idit erzählte, dass er, seit er ein Teenager war, sein Nachhausekommen mit einem typischen Pfiff ankündigt. „In den letzten Wochen haben wir die wunderbaren Menschen kennengelernt, die in den Tunneln an deiner Seite waren. Wir haben sie umarmt und es fühlte sich an, als würden wir dich umarmen. Neben all den schmerzhaften Beschreibungen erzählten sie uns, dass du selbst in den schwersten Momenten der Verzweiflung weiterpfeifst. Du pfeifst ‚Song Without a Name‘ – die letzte Melodie, die du gespielt hast, bevor alles zum Stillstand kam.“ 

Idit und Koby Ohel, Foto: Lior Rotstein

„Was fühlt mein Alon, Nacht für Nacht, Monat für Monat, Jahreszeit für Jahreszeit, 518 Tage lang? Was fühlt er in dem Schimmel und der Feuchtigkeit, angekettet, mit einer Verletzung am Auge ohne Behandlung? Was passiert mit ihm, wenn er dort allein bleibt?“ 

Zeitgleich fand am Haupteingang der Kirija, des Hauptquartiers der Armee in Tel Aviv, eine Demonstration statt. Von dort zogen dann Protestmärsche los, um vor allen Eingängen des Stützpunktes mit Sitzblockaden zu demonstrieren. Verzweifelte Versuche, den Druck der Straße auf die Regierung zu erhöhen. Eine Regierung, die die Geiseln nicht als Wichtigstes anzusehen scheint. Schreckliche Tage und Wochen für die Familien.