„Alice für Deutschland!“

0
335
Foto: Michi S from Pixabay

Oder: Über die Hintergründe der auf Goebbels hinweisenden Skandalrede der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel am 11. Januar 2025 in Riesa, auf den Imperativ hinauslaufend: ‚Enteignet Springer!“

Von Christian Niemeyer

Wer gestern vor dem Fernseher saß in freudiger Erwartung, Borussia Mönchengladbach lasse dem Erfolg von Bayer Leverkusen gegen Borussia Dortmund einen Sieg gegen Bayern München folgen und die (Herbst-)Meisterschaft werde wieder spannend, sah sich bitter enttäuscht, vor allem von dem Vorspiel: Phoenix TV, ein Gemeinschaftsprogramm von ZDF und ARD und seit gut zwei Jahren auf Hatz gegen Rot-Grün, sowie Welt-TV, bedient von Springer und seit gut zwei Jahren auf Hatz gegen Rot-Grün, allerdings, wie bei den Privaten gängig, mit wesentlich attraktiveren Moderator*innen, enttäuschten in Sachen Fußballvorberichterstattung, waren aber in Sachen des in Deutschland allmählich in Fahrt kommenden Bundestagswahlkampfes voll auf Zack.

Ein Beispiel: Der CDU-Ex-Weinkönigin Julia Glöckners deutlich an Männer adressiertem und bildlich überzeugend untermauertem Versprechen: „Für das, was ihr [Männer; C.N.] wollte, müsst ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU“ war verlockend durch seine Mehrdeutigkeit und den unterschwelligen Sexismus, wurde denn auch rasch aus dem Verkehr gezogen – allerdings wohl weniger auf Druck jener CDU-Bräute hin, denen die Glöckner aus ganz anderen und durchaus naheliegenden Gründen zum Alptraum gerät im verschämten Rückblick auf den häuslichen Hahnrei.

Zum Glück für die CDU ließ sich dieser Vorhalt im Verlauf des Nachmittags mittels eines sehr viel edleren Motivs adeln, jedenfalls seitens jener CDU-Bräute, die sich qua Phoenix- oder Welt-TV über den Rest des Riesa-Geschehens auf dem Laufenden halten ließen, ebenso über die Absichten der per Akklamation gekürten AfD-Kanzlerkandidatin (nein, nicht Julia Glöckner, sondern Alice Weidel [„leider lesbisch!“, wie ich meiner Lippenleser-KI recht häufig entnehmen musste]): „Wenn wir erst am Ruder sind!“, war eine rhetorischen Denkfigur Weidels wie aus der Kältekammer der Goebbels-Ära, darauf angelegt, dass sich, angefangen von Julia Glöckner über Friedrich Merz bis hin zu Agnes Strack-Zimmermann, ein leichtes Gruseln einstellte – und ihnen allen der Satz Glöckners auf den Lippen gefror: „Für das, was ihr wollte, müsst ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU!“ Wirklich? „Nein!“, meinte ich von den Lippen einer der hübschesten aller Welt-Moderatorinnen ablesen zu können, „dazu wird selbst die CDU, so wie ich sie kenne und liebe, nicht ja sagen und auch nicht der Chef meines Senders, dem ich vielleicht heute Abend in einer stillen Stunde stecken kann, dass Elon Musk’s Fürsprache für Alice Weidel eine aus dem Reich des und der Bösen ist, wie es dieser Typ von der Zeitschrift für Sozialpädagogik schon vor Jahren, etwa in seinen witzigen Glossen für das deutsch-jüdische Nachrichtenmagazin, auf den Punkt brachte.“

In diesem Moment dröhnte es aus den Lautsprechern, als sei unser Hund Sammy auf die Fernbedienung gekommen und habe so umgeschaltet von Riesa nach Gladbach: „Alice für Deutschland!“ Verstört schaute ich Sammy an, der mich so anguckte, als verstand er den Satz wie ein kollektives Lob auf einen sich warm machenden Einwechselspieler der Heimmannschaft, fand also nur hündische Vorfreude und keinerlei Verdacht, wonach Alice Weidel den Trick entdeckt hatte, die von Björn Höcke „aus Unkenntnis“ angeführte und strafbewehrte SA-Losung „Alles für Deutschland!“ in nicht-strafbewehrter Form ins Spiel zu bringen. So, wie sie einen Tag vorher den südafrikanischen Ami Elon Musk mittels der Deutung geleimt hatte, der Kommunistenkiller Hitler sei in Wahrheit seinerseits Kommunist, mindestens aber Sozialist gewesen. Was ihm Springers Konzernchef Matthias Döpfner als Argument durchgehen ließ.

„Oh Gott, wie dumm Männer doch sind!“, war das Vorletzte, was mein Lippenleser den verlockend roten Lippen der Kanzlerkandidatin Weidel entnahm; das Allerletzte war: „Oh Gott, wenn dies die Grünversifften um Rudi Dutschke geahnt hätten! Dann drohte uns jetzt ein Revival derer mit dem Imperativ: ‚Enteignet Springer! Die keinerlei Verständnis aufbrächten für meinen Imperativ: ‚Schmeißt die Windräder um, die Denkmäler der Schande!‘“ Aus den Augenwinkeln meinte sie, unser aller Alice, noch die Verzweiflung des Malermeisters Chrupalla wahrnehmen zu können – aber es war offenkundig zu spät: Aus einem Sani näherte sich ein Trupp mit einer Zwangsjacke für sie, die prädestinierte Kanzlerin. Ehe ein greller Blitz mit Folgen wie aktuell in Los Angeles zu besichtigen die Gegend rund um Riesa todbringend erleuchtete. Wie mir jedenfalls schien, ich aktuell allerdings nicht mehr bestätigen kann.

Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer, Berlin/Dresden