Vor der Fachtagung des Tikvah Instituts zum Thema „Antisemitismusbekämpfung mit dem Strafrecht“ gab Volker Beck haGalil ein kurzes Interview.
haGalil: „Seit der Tagungsankündigung haben sich die innen- und außenpolitischen Entwicklungen letztendlich überschlagen. Welches antisemitische Gefahrenpotential sehen Sie im heraufziehenden Winterwahlkampf?“
Volker Beck: Seit dem 7. Oktober 2023 sehen wir ein Allzeithoch von Antisemitismus! Wir hatten davor, in der Coronakrise, viel gesehen vom klassischen Rechten Antisemitismus, Verschwörungsantisemitismus. Nun sehen wir stark im linken, migrantischen und auch islamistischen Bereich Antisemitismen, die natürlich auch vorher da waren, die wir auch vorher auf dem Schirm hatten. Hier gibt es einerseits eine quantitative Zunahme, es zeichnet sich eine Verfestigung eines antiisraelischen Milieus und eine qualitative Verschiebung durch wachsende Militanz ab.
Eingedenk der Entwicklung, hätten Sie dann ggf. eine andere Rednerliste und Vortragendenliste vorgesehen? Ich beziehe mich jetzt insbesondere auf die Verschwörungserzählungen der Jungen Alternative und der AfD.
Auf dieser Tagung nähern wir uns dem Thema Antisemitismus jetzt nicht phänomenologisch, sondern einfach von der rechtswissenschaftlichen Seite: Also welche Rechtspraxis gibt es bei bestimmten Delikten und welche Gesetzeslücken gibt es? Der Bundestag hat ja am 7.11. beschlossen, er möchte insbesondere beim Strafrecht Gesetzeslücken schließen und ich meine zumindest auch an bestimmten Punkten diese jetzt schon klar zu erkennen. Mal sehen welche die Vortragenden jetzt an Erkenntnissen noch mitbringen: Also, wenn Vernichtungsphantasien gegen Israel straflos sind, soweit sie sich nicht mit einer Aufforderung zum Angriffskrieg bzw. mit terroristischen Straftaten verbinden? Also: “Tod Israel-Ruf” gibt es auf unseren Straßen hier in Berlin und das führt zu Recht zu keinen Ermittlungen, weil die Staatsanwaltschaft keine Gesetzesgrundlage dafür hat, dagegen vorzugehen und wir haben sicher auch beim Thema Inländerbezug bei der Volksverhetzung Probleme, die wir eigentlich angehen sollten. Der Bundestag hat ja relativ vollmundig davon gesprochen, dass man BDS als Bewegung verbieten sollte. So wie man das geschrieben hat, kann man das rechtlich wohl nicht machen aber man kann die Frage stellen: Soll es rechtswidrig sein, zu Boykotterklärungen aufzurufen? Boykotterklärungen im Außenwirtschaftsverkehr sind bereits ordnungswidrig nach § 7 AWV und soll man nicht die Staatsangehörigkeit in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufnehmen, und den Aufruf zur Diskriminierung womöglich auch strafrechtlich untersagen? Jetzt nicht mit großen Strafrahmen. Aber damit man einfach einmal in die Rechtswidrigkeit bei diesen Aufrufen zu diskriminierenden Verhalten kommt. Das sind alles Baustellen, bei denen man etwas machen kann. Statt alle möglichen Allgemeinplätzen und das wohlfeile abstrakte Postulieren von roten Linien in Sonntagsreden müssen die roten Linien im Strafgesetzbuch oder im Nebenstrafrecht gezogen werden.
Rechtsanwältin Dr. Lang vertritt z.B. die Auffassung, dass es keiner Gesetzesnovellen bedarf. Exekutive und der Judikative müssten das geltende Recht nur systematisch anwenden. Findet diese These Ihre Zustimmung?
Nein, findet sie nicht. Aber man muss sich natürlich mit ihr auseinandersetzen. Und natürlich, ist der Sinn solcher Tagungen einerseits tatsächlich auch auf die Meinungsbildung Einfluss zu nehmen. Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Gesetzgebung und natürlich ist – ich bin ein alter liberaler Rechtsstaatspolitiker – also, natürlich ist mir lieber die Rechtsprechung löst es ohne fortwährende Intervention des Gesetzgebers. Aber der Gesetzgeber muss auch schauen, ob sie das leistet und leisten kann, was sie auch leisten soll. Nulla peona sine lege heißt auch, dass man beim Strafrecht nicht auf eine Überdehnung von Begriffen setzen darf. Bei der Volksverhetzung, der Holocaustleugnung haben wir das Problem, dass jeder der irgendwie meint, er sei von einem Unrecht betroffen, sich gleich als “Shoaopfer” phantasiert. – das hat vor allen Dingen mit den „Ungeimpftsternen“ in der Coronazeit angefangen inflationär zu werden. Und das ist nach meiner Überzeugung eigentlich von dem was der historische Gesetzgeber beim § 130 (StGB) mit Verharmlosen gemeint hat, nicht erfasst. Weil diese Leute leugnen ja nicht den Holocaust, sie bestreiten nicht die Gaskammern in Auschwitz oder die Zahl der 6 Millionen ermordeten europäischen Juden, sondern sie sagen ja nur, was mir widerfahren ist, ist genauso schlimm oder sogar noch schlimmer. Es geht ihnen um Aufmerksamkeit und Opferkonkurrenz. Gleichzeitig machen sie den Holocaust zu einem banalen Alltagsereignis.
Und da muss man glaube ich schon überlegen, müssen wir da bleiben, wo wir stehen, oder empfiehlt es sich, neu abzuwägen, auf neue Trends und Phänomene auch gesetzgeberisch zu reagieren, wie wir das bei Wunsiedel gemacht haben und diese Debatte wollen wir hier führen – nicht zum Ende bringen! Aber überhaupt mal führen, weil ich sehe gegenwärtig keinen gesellschaftlichen Ort, wo das diskutiert wird. Also: Was kann auch das Strafrecht leisten bei der Bekämpfung von Antisemitismus?! Strafrecht ist sicher nicht das Allheilmittel – aber es ist letztes Mittel. Und wenn man die letzten Mittel nicht einsetzt, ist auch nicht genügend Druck auf die anderen Mittel. Wir brauchen Prävention, Intervention und Repression.
Vielen Dank.
Bitte schön.
Das Interview führte Susanne Benöhr-Laqueur.