Am vergangenen Mittwoch fand in den Räumlichkeiten der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Fachtagung des Tikvah Instituts zum Thema „Antisemitismusbekämpfung mit dem Strafrecht“ statt. Unter den wachsamen Blicken der Security erörterten sieben Rechtswissenschaftler, darunter u.a. eine Rechtsanwältin, drei Universitätsprofessoren und zwei Berliner Staatsanwälte das „Für und Wider“, mithin die Möglichkeiten und Grenzen der Antisemitismusbekämpfung mit Hilfe des Strafrechts. Die Teilnahme von über 120 Personen zu Beginn und immerhin noch knapp 60 während der abendlichen Podiumsdiskussion verdeutlichte die Aktualität.
Ein Symposiumsbericht von Susanne Benöhr-Laqueur
In der Tat, ist die Gemengelage besorgniserregend: So sind die antisemitischen Straftaten im gesamten Bundesgebiet förmlich explodiert, alleine in Berlin sind seit dem 7.10.2023 über 6.600 Ermittlungsverfahren anhängig.[i] Das Präsidium der FU Berlin hielt es nur zwei Tage vorher für angemessen, die Ausstellung „The Vicious Circle“ des englischen National Holocaust Museum kurzerhand abzusagen.[ii] Im Oktober war es circa 40 vermummte „Anti-Israel-Aktivisten“ gelungen, auf das Universitätsgelände mit Schlagwerkzeugen einzudringen, Personen zu verletzen und einen Sachschaden von über 100.000 EURO zu verursachen.[iii] Angesichts dessen ist die Diskussion, ob eine Verschärfung des Strafrechts notwendig ist, völlig legitim. Indes gilt es zu bedenken, wie Prof. Dr. Meyer von der Universität Heidelberg zutreffend feststellte, dass das Strafrecht „kein Reparaturbetrieb“ sei. Demgegenüber hat der Bundestag in seiner Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland beschlossen „Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“[iv]. Dies betrifft auch das Strafrecht. Nun lässt sich Stringenz schnell öffentlichkeitswirksam fordern, hingegen erweist sich die Umsetzung aufgrund der Rechtslage als ein überaus heikles Unterfangen.
„From the River to the sea…“: Volksverhetzung?!
So ist § 130 StGB, der die Volksverhetzung unter Strafe stellt, mit seinen inzwischen acht Absätzen derart schwer verständlich, dass selbst Prof. Dr. Meyer lakonisch feststellte: „Da kennt man sich schnell nicht mehr aus.“ Vor diesem Hintergrund erwies sich die Taktik der Berliner Staatsanwaltschaft als ausgesprochen kluger Schachzug.[v]
Im besten Juristendeutsch formuliert, ist es nämlich nach wie vor fraglich, ob die gängige Hamas-Parole „From the River to the sea – Palestine will be free“ dem Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB unterfallen könnte. Anders formuliert: Warum sollte die Aufforderung zur Vernichtung eines Staates, gerufen in einem anderen Staat, bei letzterem einen Straftatbestand darstellen?! Genau dieser fehlende „Inlandsbezug“ in § 130 Absatz 1 StGB stellt nach wie vor eine Hürde dar, die es juristisch zu meistern gilt. Hinzu kommt: Es handelt sich nur um ein Vergehen – und diese werden vor den Amtsgerichten in Strafsachen verhandelt. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es über 600 Amtsgerichte! Damit ist eine unterschiedliche Rechtsprechung bereits vorprogrammiert. Die nächstfolgende Instanz wäre das Landgericht – deren Entscheidungen dürften indes ähnlich uneinheitlich ausfallen.
Die Klärung der Frage, ob dieser Ausruf strafrechtlich zu ahnden ist, müsste also höchstrichterlich entschieden werden. Dies obliegt dem Bundesgerichtshof – und genau dort ist die Thematik momentan anhängig. Ermöglicht wurde es, durch die Verbotsverfügung der Bundesinnenministerin hinsichtlich der Terrororganisation Hamas. Die Parole ist ein Leitsatz der Hamas. Wer den Ausruf tätigt bzw. publiziert unterstützt damit eine Terrororganisation. Zwar ist die Maxime immer noch ein Vergehen gemäß § 86a StGB, allerdings ist das Landgericht in Strafsachen fortan die erste Instanz.
Folglich war das Landgericht Berlin die Eingangsinstanz im Strafverfahren gegen eine 42-jährige Berlinerin. Verhängt wurde eine Geldstrafe u.a. wegen Verwendens von Kennzeichen terroristischer Organisationen nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB, weil sie im November und Dezember 2023 den Leitspruch zweimal auf Instagram geteilt hatte. Zudem habe sie das Foto eines Sprechers der Qassam-Brigaden der Terrororganisation Hamas mit zustimmenden Kommentaren und Emojis versehen. Folglich sei zusätzlich der Tatbestand des Verbreitens von Propagandamitteln terroristischer Organisationen nach § 86 Abs. 2 StGB erfüllt.[vi]
Die Berlinerin legte gegen das Urteil Rechtsmittel ein – und genau das wiederum hat zur Folge, dass der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz jetzt Klarheit schaffen muss. Eine geschickt agierende Staatsanwaltschaft, wie diejenige in Berlin, kann somit durchaus zügig für Rechtssicherheit sorgen.
Bereits dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Gesetzeslage offenbar ausreicht. Die Anmerkung von Rechtsanwältin Dr. Lang aus Dresden, dass es gegebenenfalls gar keiner Gesetzesnovellierung bedarf, wird somit bekräftigt.
Neuformulierung von § 103 StGB?!
Wie aber ist die Parole bzw. der Ausruf „Tod Israel“ zu bewerten?! Prof. Dr. Kubiciel von der Universität Augsburg referierte den juristischen Streit, der neben dem Strafrecht auch das Verfassungsrecht, namentlich die Meinungsäußerungsfreiheit, betraf. Indes wurden die juristischen Unwägbarkeiten vom Bundestag als zu hoch eingeschätzt.[vii] Angesichts dessen steht gegenwärtig eine Neufassung von § 103 StGB zur Disposition. Das Tikvah Institut schlägt in diesem Kontext vor, nicht nur Israel sondern alle UN-Staaten zu nennen:
„103 StGB (Aufruf zur Vernichtung eines Staates)“
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer zur Vernichtung eines Staates, der Mitglied der Vereinten Nationen ist, aufruft oder diese billigt.“[viii]
Streitbare Zeitgeister werden jetzt anmerken, dass weder der Vatikanstaat noch Taiwan in der UN vertreten sind…
Fazit: Die Erarbeitung rechtspolitischer Lösungen ist fraglos mühsam und anspruchsvoll. Sie sind aber zu wichtig, um sie ausschließlich den Politikern zu überlassen.
Vor Tagungsbeginn gab Volker Beck haGalil ein kurzes Interview.
Der Livestream der Tagung findet sich auf der Plattform Youtube:
[i] Kaufmann, Tim: Bericht aus der staatsanwaltlichen Praxis, in: Antisemitismusbekämpfung mit dem Strafrecht. Juristische Fachtagung, Livestream YouTube, Zeit: 4:18:53, https://www.youtube.com/watch?v=xHKSmuzhj20 (letzter Zugriff am 14.12.2024).
[ii] Kistler, Florian: “Ich halte diese Argumentation für einigermaßen absurd”, in: Spiegel.de, 11.12.2024, https://www.spiegel.de/panorama/fu-berlin-ausstellung-zu-judenpogromen-abgesagt-halte-diese-argumentation-fuer-einigermassen-absurd-a-9c5859e7-8c86-492d-bc55-0f0b5e639450 (letzter Zugriff am 14.12.2024).
[iii] Ballschk, Martin u.a.: Mitarbeiter „krass und brutal“ angegangen: Vermummte Anti-Israel-Aktivisten randalieren an Freier Universität – eine Person verletzt, in: rbb, 18.10.2024, https://www.tagesspiegel.de/berlin/besetzung-an-der-freien-universitat-berlin-beendet-vermummte-anti-israelische-aktivisten-sturmten-prasidium–70-polizisten-vor-ort-12550436.html (letzter Zugriff am 14.12.2024).
[iv] Deutscher Bundestag, 20. Wahlperiode, Bundestagsdrucksache 20/5151, S. 41, https://dserver.bundestag.de/btd/20/051/2005151.pdf (letzter Zugriff am 14.12.2024).
[v] LG Berlin I, Urteil vom 08.11.2024 – 502 KLs 21/24 (letzter Zugriff am 14.12.2024).
[vi] Gerichte in Berlin, Pressestelle, Pressemitteilung vom 8.11.2024: Landgericht Berlin I: Staatsschutzkammer verurteilt Berlinerin wegen Verwendens der Parole „From the river to the sea: Palestine will be free“ (PM 35/2024),https://www.berlin.de/gerichte/presse/pressemitteilungen-der-ordentlichen-gerichtsbarkeit/2024/pressemitteilung.1501343.php (letzter Zugriff am 14.12.2024).
[vii] Deutscher Bundestag, Anhörung zur Änderung des Strafgesetzbuches, 15.1.2024, Stellungnahmen aller Sachverständigen, https://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_recht/anhoerungen/978306-978306 (letzter Zugriff am 14.12.2024).
[viii] https://tikvahinstitut.de/tikvah-institut-fordert-schliessen-von-gesetzesluecken/ (letzter Zugriff am 14.12.2024).