Als Marie-Luise Conen und Hilde Weirich im Jahre 2010 das Buch „Jüdische Familien von der Mittelmosel“ herausbrachten, blieben die Lebensverläufe etlicher Familien weiterhin offen, darunter die Familie von Sophie Schömann und ihrer beiden Kinder Alma und Milian, von denen nur bekannt war, dass sie nach Belgrad geflohen waren.
Von Franz Josef Schäfer
2014 nahm Zdravko Kučinar, Professor der Universität Belgrad, Kontakt mit Frau Conen auf. Er bearbeitete seit Jahren den Nachlass von Arthur Liebert (1878–1946), in dem sich Unterlagen zu Lieberts Mitarbeiter in Belgrad, Milian Schömann, befanden. Quellen des Historischen Archivs in Belgrad und ein Schriftstück aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA) von der Gestapo Saarbrücken an die Gestapo-Zentrale in Berlin ermöglichten die Rekonstruktion von Milian Schömanns bisher unbekanntem Werdegang.
Die Publikation von Conen und Kučinar gliedert sich in 31 Kapitel. In den ersten Kapiteln wird die Situation der Familie Schömann in Traben-Trarbach an der Mittelmosel nach dem Ersten Weltkrieg dargelegt. Mitgliedern der Familie wurde unterstellt, mit separatistischen Ideen zu sympathisieren. Im Februar und März 1923 hingen national gesinnte Bürger eine „Prangerliste“ aus. Salomon Schömann (1875–1945), ein Onkel Milians, engagierte sich in der SPD und im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Auch in Traben-Trarbach kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen mit Nationalsozialisten.
Milian Schömanns Vater Michel (1879–1917) zog 1905 mit seinem Bruder Salomon von Lösnich nach Trarbach, wo beide ein Jahr später eine Offene Handelsgemeinschaft (OHG) – Gebrüder Schömann gründeten, Lederwarenhandlung und Schuhwarengeschäft. Michel Schömann heiratete 1906 Sophie Kahn (1880–1942). Er starb 1917 an den Folgen einer schweren Kriegsverletzung.
Der am 1. September 1907 geborene Milian Schömann besuchte von 1917 bis 1926 das Gymnasium Traben-Trarbach. Ursprünglich wollte er Bankkaufmann oder Jurist werden, belegte dann aber Philosophie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, wo er u.a. Vorlesungen bei Friedrich Gundolf (1880–1931) und Karl Hampe (1869–1936) besuchte. 1927 wechselte er an die Universität Leipzig, wo er sich u.a. für Seminare bzw. Vorlesungen von Hermann August Korff (1882–1963) und Erich Brandenburg (1868–1946) einschrieb. 1928 studierte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er promoviert wurde über das Thema „Weltanschauliche und stilgeschichtliche Wandlungen im deutschen Napoleondrama“, Buchtitel: „Napoleon in der deutschen Literatur“. Doktorvater war Oskar Walzel (1864–1944). Die Autoren widmen dieser Publikation ein ausführliches Kapitel.
Als Jude hatte Milian Schömann keine Chance auf eine Universitätskarriere, da die deutsche Germanistik seit ca. 1890 stark national orientiert war. „Die Lehrstuhlinhaber der 1920er Jahren waren – bis auf wenige Ausnahmen wie Oskar Walzel – vergiftet von einem deutschnationalen Denken, in dem Milian Schömann als Jude und Sozialdemokrat keinen Platz bekommen hätte“ (S. 73).
Schömann entwickelte mit der zunehmenden Realisierung politischer und antisemitischer Repressionen eine immer deutlicher werdende gesellschaftliche und eher sozialistische Orientierung. Er veröffentlichte in den SPD-Zeitungen bzw. Schriften und hielt viele gesellschaftskritische und antinationalsozialistische Vorträge, die im „Vorwärts“ angekündigt wurden. Zudem war er als Dozent für die Berliner Arbeiterbildungsschule tätig, womit er einen Teil seines Lebensunterhalts bestreiten konnte.
Nach der Errichtung der NS-Diktatur reiste Schömann im Mai 1933 von Berlin nach Frankfurt am Main, Wiesbaden und Mainz ab. Dann entschloss er sich, zu seinem Cousin Hans Schömann nach Metz zu fliehen, und begab sich am 27. Februar 1934 nach Saarlouis zu seinem Onkel Joseph Schömann (1874–1945). Nachdem die Bevölkerung des Saargebietes in der Volksabstimmung am 13. Januar 1935 mit 90,73 % für den Anschluss an das Deutsche Reich votierte, wäre Milian Schömann erneut akut der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt gewesen. Zuflucht fanden er sowie seine Mutter und Schwester Alma (1909–1942) in Belgrad.
Diesen Lebensabschnitt Schömanns konnten die Autoren recht ausführlich rekonstruieren. Er lernte bereits 1931 Arthur Liebert in Berlin kennen, mit dem er über die berufliche Zusammenarbeit hinaus auch freundschaftlich verbunden war. Liebert, dessen Werdegang ebenfalls gewürdigt wird, gründete 1933 in Belgrad die Gesellschaft „Philosophia“ und eine gleichnamige Zeitschrift, die bis 1939 bestanden. Liebert und Schömann nahmen am 9. Internationalen Philosophischen Kongress vom 31. Juli bis 6. August 1937 in Paris teil. Schömann wurde vermutlich am 7. Oktober 1938 verhaftet und nach drei Wochen Haft nach Rumänien abgeschoben. Am 2. September 1940 war er wieder in Belgrad gemeldet, wo er am 28. Juli 1940 erneut verhaftet wurde. Seine Bemühungen nach England auszuwandern, blieben erfolglos. „Die Belgrader Jahre des Milian Schömann waren hauptsächlich eine Zeit des Kampfes um einen sicheren Aufenthaltsort und um das nackte Überleben“ (S. 119). Arthur Liebert konnte seinem Mitarbeiter nur ein geringes Honorar zahlen für seine Zusammenarbeit hinsichtlich der Zeitschrift „Philosophia“. In den drei Jahrgängen der Zeitschrift wurden 18 Texte von Schömann veröffentlicht, etwa eine Rückschau über das Werk und über den humanistischen Standpunkt Stefan Zweigs oder kurze Rezensionen. Die Mehrzahl der Beiträge behandeln Literaturtheorie und historische Themen. Sämtliche Belgrader Veröffentlichungen Schömanns sind in Conens und Kučinars Publikation wieder abgedruckt worden.
Milian Schömann wurde am 3. August 1942 im KZ Banjica ermordet, vermutlich im Rahmen der Massenerschießungen. Das Kapitel „,Wiedergutmachung‘ – oder die Verleugnung des Geschehens“ endet ernüchternd:
„Von der Familie Salomon Schömann kehrte keiner je an die Mosel zurück. Die Familie von Milian Schömann wurde in der Shoa ausgelöscht“ (S. 129).
Marie-Luise Conen/Zdravko Kučinar: Milian Schömann. Literaturwissenschaftler – Schriftsteller – Sozialdemokrat. Ein kurzes jüdisches Leben zwischen Trarbach, Berlin und Belgrad (= Schriften des Emil-Frank-Instituts 21). Trier: Paulinus 2024, 176 S., 84 Abb., ISBN 978-3-7902-1907-4, 24,90 €, Bestellen?