Jetzt liegt auch die Buchausgabe der Leipziger Autoritarismus-Studie 2024“ vor. Sie enthält aktuelles Datenmaterial zu antisemitischen und rechtsextremistischen Einstellungen, erstmals auch zu „postkolonialem Antisemitismus“ und „antisemitischem Antizionismus“. Gerade dies hätte man sich mit ausführlicheren Analysen gewünscht, das Datenmaterial lädt zu eigenständigen Reflexionen ein, beruhigende Wirkung wird es nicht entfalten.
Von Armin Pfahl-Traughber
Seit 2002 erscheint alle zwei Jahre die „Leipziger Autoritarismus-Studie“ und somit die zwölfte Ausgabe im Jahr 2024. Herausgeben wird sie von einem Forscherteam um Oliver Decker, der Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts an der Universität Leipzig und Professor für Sozialpsychologie an der Sigmund-Freud-Universität Berlin ist. Die Anlehnung an die berühmte Autoritarismus-Studie, die von Theodor Adorno und seinen Mitarbeitern erstellt wurde, ist kein Zufall. Gleichwohl arbeiten die Autoren der Gegenwart mit anderen Methoden und haben unterschiedliche Zielsetzungen. Es geht ihnen aber ebenfalls um Erkenntnisse über rechtsextremistische Einstellungen, wobei sie hierfür andere Formulierungen zur Kennzeichnung nutzen. Die aktuelle Ausgabe nutzt bekannte Items, um eben die gemeinten Potentiale in aktuellen Zusammenhängen erfassen zu können. Man hat aber auch das konkrete Forschungsinteresse erweitert und fragt mit nach den Antisemitismus-Potentialen etwa in postkolonialen Zusammenhängen.
Befragt wurden über zweitausend Personen, jeweils mit unterschiedlichen sozialstrukturellen Merkmalen, um eben die Repräsentativität zu gewährleisten. Zunächst ging es um das quantitative Ausmaß rechtsextremistischer Einstellungen, wofür ein identischer Fragebogen seit Jahren genutzt wird. Bedauerlich sind die fehlenden Änderungen, denn einzelne Items sind nicht so trennscharf wie gemeint. Dafür sind andere Einstellungsstatements umso deutlicher und die Zustimmungswerte umso erschreckender. Dafür einige Beispiele mit entsprechenden Prozentzahlen (in Klammern die „latente Zustimmung“): „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“: 17, 6 (21,4) Prozent, „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“: 8,5 (15,2) Prozent oder „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“: 8,6 (17,0) Prozent. („Latente Zustimmung“ meint hier eine teilweise Zustimmung, also keine klare Distanzierung von dem Statement.)
Wo derartige Aussagen verbreitet sind, wird dann in den folgenden Kapiteln thematisiert. Hier gab es aber auch in den letzten Jahren starke Schwankungen, etwa bezogen auf Befragte mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild zwischen 2012 und 2022 in Ostdeutschland zwischen 15,8 und 2,1 Prozent. Das kann eigentlich bei geschlossenen Einstellungen nicht sein, ändern sich diese doch nicht binnen weniger Jahre so rapide. Indessen gingen die Forscher erneut nicht auf derartige Schwankungen reflektierend ein. Dies mindert aber nicht die analytische Bedeutung des präsentierten Datenmaterials. In vielen anderen Fällen können durchaus überzeugende Kontextanalysen vorgenommen werden, wobei man sich am Ende häufig eine zugespitzte Interpretation gewünscht hätte. Es geht etwa um Antifeminismus und Antisemitismus als Verbindung oder Einflussfaktoren wie sozialräumliche Kontexte und soziale Ungleichheit. Bei differenzierten Analysen zu all dem kommt man schwerlich an diesem Datenmaterial vorbei, was den großen Erkenntniswert dieser Studien ausmacht.
Auch zum Antisemitismus gibt es in der vorliegenden Ausgabe wieder erschreckende Einsichten, etwa bei Items mit folgenden Zustimmungswerten: „Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen: 6,9 (16,4) Prozent oder „Die Juden haben einfach etwas Besonderes und eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns“: 6,8 (18,2) Prozent. In der vorliegenden Ausgabe wurden erstmals auch der „postkoloniale Antisemitismus“ und der „antisemitische Antizionismus“ thematisiert, womit man es gerade im Jahr 2024 verstärkter zu tun hatte. Hierzu heißt es: „Innerhalb der Gruppe ‚links außen‘ ist Antisemitismus verbreitet, der antisemitische Antizionismus wird von jedem vierten Befragten geteilt.“ Dazu hätte man sich genauere Aussagen gewünscht, denn zuvor kam die politische Linke kaum vor. Die Autoren erklären sich das Gemeinte mit durch die „Identitätslogik“, die „links“ ebenfalls stärker existent sei. All diese Ausführungen laden zu weiteren Reflexionen ein, Beruhigungspotential hat die Studie aber leider nicht.
Oliver Decker/Johannes Kiess/Ayline Heller/Elmar Brähler (Hrsg.), Vereint im Ressentiment. Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen. Leipziger Autoritarismus Studie 2024, Gießen 2024 (Psychosozial-Verlag), 274 S., Bestellen?