Dieses Buch dokumentiert die Kinderbriefe des heute 100-jährigen Historikers Edgar Feuchtwanger, die er seinen Eltern 1939 aus England ins nationalsozialistische Deutschland schrieb. Seine Mutter Erna und sein Vater, der Historiker, Verleger und Autor Ludwig Feuchtwanger, Bruder des Schriftstellers Lion Feuchtwanger, hatten den 14-jährigen Sohn von München ins rettende Exil geschickt. Mit kindlicher Offenheit und feinem Humor berichtet er in seinen Briefen vom Alltag in England und bemüht sich, ihnen die Sorge um ihn zu nehmen. Zugleich ist seine Angst um die Eltern immer spürbar.
Die Briefe sind eingebettet in ein Gespräch Edgar Feuchtwangers mit seiner Tochter Antonia Cox über seine Kindheit und den Neuanfang in England. Die Herausgeberin Anja Tuckermann stellt den Briefen weitere Dokumente aus dem Familienarchiv zur Seite. Im Vorwort berichtet sie von der lebensbedrohlichen Situation in Deutschland, den Bedingungen bis zur Ausreise der Eltern drei Monate später und vom weiteren Schicksal der Familie in England bis 1947.
Edgar Feuchtwanger, Antonia Cox, Anja Tuckermann (Hrsg.): Kinderbriefe aus dem Exil. Edgar Feuchtwanger in England 1939. Duncker & Humblot 2024, 133 S., 76 Abb., Euro 24,90, Bestellen?
LESEPROBE
mit freundlicher Genehmigung des Verlags
St. Mawes, Friday, Febr., 24, 39
Lieber Papa und Mama!
Ich freue mich sehr, jeden Tag eine Karte von Euch vorzufinden. Ich bin sehr glücklich hier zu sein (hier die versprochenen: Ja, ja, ja etc. usw.). Kommt auch bald! Diese Woche war abwechselnd schönes und schlechtes Wetter. Montag war ein wunderbarer Tag. Dienstag war es ungeheuer stürmisch. Ich war bei Mr. Whiley und spielte Klavier. Er führte dann die 3. Sinfonie Beethoven mit Schallplatten auf. Es war sehr schön. Dann spielten wir Teile aus der Zauberflöte unter Beecham13. Mr. Whiley hat eine ganze Maschinerie, um ein Stück von mehreren Platten pausenlos aufzuführen. Dr. Dyson hat sein Klavier zur Reparatur gegeben, damit ich besser spielen kann. (Gerade wird es wieder zurückgebracht).
Das Lernen ist, wie ihr aus meinem letzten Brief ersehen konntet, in besten Händen. Die Schule von St. Mawes wird nur von armen Kindern besucht. In St. Mawes sind im Winter nur die Eingeborenen. Im Sommer kommen dann die Leute von den Städten. Aber nur ganz Reiche können es sich leisten. Gestern war ich in Truro (so weit wie München-Pöcking). Das Englischlernen aus dem Buch nützt nicht viel. Ein andermal mehr darüber.
1000 Küsse
Bürschi
St. Mawes, 26. IV. 1939.
Liebe Eltern!
Ich bin sehr enttäuscht zu hören, dass Ihr nicht kommt. Packt ein!
Diese Woche war ich zweimal eingeladen, am Sonntag in St. Mawes mit sehr netten Leuten, es war ziemlich lustig; gestern in Portscatho, sehr langweilig, ich hab die Namen der Leute vergessen.
Das Wetter ist jetzt sehr schön, aber das Meer zu kalt zum Baden. Mein Gesicht und meine Hände sind ein bisschen braun.
In drei Wochen fahren Mrs. Dyson und die Kinder für 14 Tage nach Jersey (Kanalinseln, Mrs. Dyson wurde dort geboren). Nur der Doktor wird hier sein.
In der Zeit wohne ich bei Commander Phibbs.
Es gibt sonst nichts Neues zu berichten.
Ich hoffe, Euch bald zu sehen. Ich muss jetzt aufhören, weil die Post kommt
und die Briefe holt.
Euer B.
Edgar Feuchtwanger, Antonia Cox, Anja Tuckermann (Hrsg.): Kinderbriefe aus dem Exil. Edgar Feuchtwanger in England 1939. Duncker & Humblot 2024, 133 S., 76 Abb., Euro 24,90, Bestellen?