Im Urban-Krankenhaus, der letzten deutschen Wirkungsstätte des jüdischen Internisten Hermann Zondek, als dessen Chefarzt er seit 1926 fungierte, erinnert jetzt eine Ausstellung der Freunde von Yad Vashem an ihn.
Von Stefan L. Wolff
Während der Name Zondek in Israel noch recht geläufig ist, weil auch seine beiden Brüder Samuel und Bernhard hochkarätige Mediziner waren, die ebenfalls dort ihre Laufbahn fortsetzten, ist er in Deutschland meist nur noch Experten bekannt. Dabei stand Hermann Zondek als Arzt wichtiger Politiker vor 1933 zeitweise durchaus im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, insbesondere als er den Außenminister Gustav Stresemann auch während dessen Auslandsreisen medizinisch betreute. In dem Kontext wurde in den Zeitungen nicht selten von den vergeblichen Bemühungen Zondeks berichtet, den gesundheitlich stark angeschlagenen Stresemann zu mehr Schonung zu bewegen.
Hermann Zondek stammte aus der kleinen Stadt Wronke in Posen. Zu der Zeit seiner Geburt im Jahr 1887 lebten unter den gut 3000 Einwohnern etwa 500 Juden. Sein Vater war Kaufmann. Der Geburtsname seiner Mutter lautete Holländer, was noch darauf hinwies, dass deren Großvater Baer Bernhard Holländer Anfang des 19. Jahrhunderts von Amsterdam nach Posen gekommen war, um in der berühmten Yeshiwa von Akiba Eger zu lernen.
Hermann war der älteste unter sechs Geschwistern. Neben den drei Brüdern, Bernhard, Samuel und Ernst gab es die Schwestern Berta und Hedwig. Bernhard und Samuel studierten ebenfalls Medizin und als die beiden 1926 es Hermann gleichtaten und den Professorentitel erhielten, lautete in der „Jüdisch-liberalen Zeitung“ die Überschrift dieser Nachricht „Die vier Zondeks“. Der vierte war der väterliche Onkel Max, Professor für Urologie, der Hermann früher davon abgebracht hatte, Rabbiner zu werden und ihn stattdessen für die Medizin zu begeistern wusste. Aufgrund seiner Forschungen in der Endokrinologie erhielt Hermann den Spitznamen „Hormon“ Zondek. Seinem Bruder Bernhard konnte er einige Anregungen für dessen Forschung auf dem Gebiet der Gynäkologie vermitteln, die zu dem ersten Schwangerschaftsnachweis im Urin führte (Aschheim-Zondek Reaktion) und Bernhard zu einem Kandidaten für den Nobelpreis machte.
Dann kam das Jahr 1933. Kein anderer Chefarzt wurde so früh aus seiner Stellung vertrieben wie Hermann Zondek. Am 10. März 1933 erhielt er bereits Hinweise, das Krankenhaus am nächsten Tag besser nicht zu betreten. Aber so recht konnte und wollte er das nicht ernst nehmen. Der am 5. März neu gewählte Reichstag sollte am 21. März zusammentreten (Tag von Potsdam) und zwei Tage später das „Ermächtigungsgesetz“ beschließen. Der „Juden Boykott“ vom 1. April und das Berufsbeamtengesetz vom 7. April, das den gesetzlichen Rahmen für die Entlassung aller als Juden deklarierter Angehöriger des öffentlichen Dienstes regelte, wie auch der Entzug der Kassenzulassung für jüdische Ärzte vom 22. April, waren noch gar nicht absehbar. Zondek war zwar ein Arzt, der weiterhin viele bekannte Politiker zu seinen Patienten zählte, darunter zuletzt den Sozialdemokraten Otto Wels und den Vorgänger Hitlers als Reichskanzler Kurt von Schleicher, aber dennoch kam er nicht auf die Idee, dass dies für ihn persönliche Konsequenzen haben könnte. Der folgende Tag sollte ihn eines anderen belehren und ihm zeigen, dass es in Deutschland keinen Platz mehr für ihn gab. Eine Gruppe von SA-Leuten unter der Leitung des Grafen Helldorf hatte das Krankenhaus mittags besetzt. Zondek wurde zusammen mit einigen Mitarbeitern in sein Dienstzimmer eingesperrt, sah sich gezwungen sein Auto der „nationalen Bewegung zur Verfügung zu stellen“ und wurde anschließend von einem “SA-Gericht“ seines Postens als Klinikleiter enthoben.
In einigen US-amerikanischen Zeitungen gab es in den folgenden Tagen Meldungen, Zondek sei misshandelt und entführt worden. Die New York Times brachte am 19. März aber eine Richtigstellung durch die Frau von Hermann Zondek persönlich. Sie erklärte, es gebe keinen Anlass zur Besorgnis, ihr Mann sei lediglich in Urlaub gegangen, weitere Angaben wollte sie dazu aber nicht machen. Tatsächlich hatte Zondek noch am 11. März abends zusammen mit seinem Bruder Samuel den 9 Uhr Zug nach Zürich genommen und den deutschen Herrschaftsbereich danach nicht mehr betreten.
Das Kapitel der Zondeks in Berlin war zu einem Ende gekommen. Bernhard folgte 1933 bald seinen beiden Brüdern ins Ausland. Seit 1934 lebten und arbeiteten dann alle im damaligen englischen Mandatsgebiet Palästina. Später holten sie ihre Eltern nach. Max Zondek starb noch 1933 in Berlin. Sein Grab findet sich auf dem jüdischen Friedhof Weißensee. Den jüngsten Bruder holten sie noch nach, aber die beiden Schwestern wurden mit ihren Ehemännern Opfer der Shoah. Seit 2001 trägt das älteste Gebäude der Charité den Namen „Aschheim-Zondek-Haus“ und vor dem Urban-Krankenhaus erinnert eine Plakette an Hermann Zondek und seine Kollegen, die am 11. März 1933 gewaltsam von ihren Stellen vertrieben wurden.
In Jerusalem leitete Hermann das in einem orthodox geprägten Viertel gelegene Bikkur Cholim Hospital. Anfang 1949 reiste er mit einer Mission in die USA: „Jerusalem, meine Heimat, seit ich 1933 Deutschland verlassen habe, hat mich mit einer dringenden Botschaft hierher gesandt.“ Er schilderte die Not angesichts der mangelnden Ausstattung des Krankenhauses und drohender Epidemien und appellierte an die Großherzigkeit aller Juden in der Welt. Dieser Hilferuf erschien in der in New York herausgegebenen deutschsprachigen Exilzeitschrift „Aufbau“ mit den Konterfeis von Zondek und – weit größer – dem von Einstein, mit dessen Stellungnahme: „Ich weiss, dass das von Professor Herman Zondek geleitete Bicur Cholim Hospital für die Jerusalemer Gemeinde von äusserster Wichtigkeit ist. Es braucht in seiner augenblicklichen Not sofortige Hilfe.“
Hermann Zondek wirkte bis zum Ende seiner Laufbahn in Jerusalem, behandelte wie zuvor in Deutschland neben den Patienten aus der Jerusalemer Altstadt auch weiterhin Prominente, darunter den Philosophen Martin Buber und den äthiopischen Kaiser Haile Selassi, der ihn später als einen guten Freund bezeichnet haben soll.
Zu seinem 70. Geburtstag erhielt er ein Glückwunschschreiben von Ben Gurion und dessen Frau, die ihm ihre „tiefe Wertschätzung“ übermittelten, „die wir für Ihre Persönlichkeit und Ihre Leistung auf dem Gebiet der Wissenschaft und praktischen Heilkunde empfinden; sie trug zur Ehre unseres Volkes und Israels bei. Wir hatten den Vorzug, daß Sie und Ihr begabter Bruder [Bernhard], die Sie zu den Großen der Wissenschaft in der Welt gehören, sich in unserem Lande niederließen und Israel zu einem wichtigen Zentrum der medizinischen Forschung und Heilkunde machten.“
Hermann Zondek ist am 11. Juli 1979 im Alter von 91 Jahren in Jerusalem gestorben.
Die Ausstellung ist vom 5. September bis 31. Dezember 2024 im Foyer des Vivantes Klinikum Am Urban in Berlin-Kreuzberg (Dieffenbachstr. 1, 10967 Berlin) zu sehen.
Öffnungszeiten: Täglich 09:00 – 20:00 Uhr
Öffentliche Führungen:
Jeden Dienstag, 18:00 Uhr
Zeitraum: 5.9.–11.12.24
Führungen für Gruppen und Schulklassen, Termin auf Anfrage
Weitere Informationen:
https://www.yad-vashem.de/zondek
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