Heute vor 125 Jahren wurde Ernest Hemingway, einer der einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, geboren. Zwei Jahre, nachdem er den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, kam es in seinem Haus auf Kuba zu einer bemerkenswerten Begegnung mit drei Rabbinern aus New York.
Von Thomas Tews
In seinem 2018 erschienenen Buch »Hope, not fear: changing the way we view death« erinnert sich Rabbiner Benjamin Blech, international anerkannter Autor und Dozent, an eine Begegnung mit dem Schriftsteller und Nobelpreisträger Ernest Hemingway, die bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlassen sollte.[1]
1956 hatte Rabbiner Blech, der gerade ordiniert worden war, zusammen mit zwei anderen frischgebackenen New Yorker Rabbinern beschlossen, zum Urlaub nach Kuba zu reisen. Als die drei durch Havanna und seine Außenbezirke fuhren, wies sie ihr Taxifahrer und Fremdenführer auf ein prächtiges Anwesen hin und erklärte ihnen, dass dies der Wohnsitz des weltberühmten Schriftstellers Ernest Hemingway sei. »Halten Sie an«, forderten ihn die Rabbiner auf. »Wir wollen hineingehen.« Er schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein, nein, das ist unmöglich. Niemand kann einfach so zu Besuch kommen. Nur sehr wichtige Leute, die einen Termin haben.«
Doch Rabbiner Blech bestand darauf und fragte den Wachmann des Anwesens: »Würden Sie bitte Mr. Hemingway anrufen und ihm sagen, dass drei Rabbiner aus New York hier sind, um ihn zu sehen?« Gespannt warteten sie und der Wachmann konnte es selbst nicht glauben, als die Nachricht aus dem Haus kam, dass Hemingway sie tatsächlich empfangen würde. Sie wurden in ein geräumiges Arbeitszimmer geführt, in dem Hemingway mit seiner Frau Mary saß. Er befragte sie zunächst über ihre Herkunft, machte einige literarische Anspielungen, um zu sehen, ob sie deren Bedeutung verstünden, und fragte, was sie von der symbolischen Bedeutung einiger Passagen in seinem Roman »In einem anderen Land« hielten.
Nach etwa einer Viertelstunde änderte sich Hemingways Verhalten und er sprach mit großer Wärme: »Rabbiner, verzeihen Sie mir, dass ich anfangs etwas schroff zu Ihnen war, aber zunächst musste ich mich vergewissern, dass es sich lohnt, mit Ihnen zu sprechen. Um ehrlich zu sein, wollte ich schon lange mit einem Rabbiner ins Gespräch kommen. Ich hatte nur nie die Gelegenheit dazu – und jetzt kommen Sie plötzlich aus heiterem Himmel zu mir.« Hemingway berichtete den Rabbinern von seinem Interesse an Religion, über das er sonst nie spreche oder schreibe, und dass er in der Vergangenheit verschiedene Religionen eingehend studiert habe. Er habe sogar versucht, die Riten bestimmter Religionen für eine gewisse Zeit selbst zu befolgen, um zu sehen, ob sie »zu ihm sprechen« würden. »Ich bin im Grunde kein spiritueller Mensch«, gestand er. Aber er sei nach tiefem Nachdenken über die verschiedenen Religionen zu einer wichtigen Schlussfolgerung gelangt, nämlich dass sich alle Religionen in zwei Hauptkategorien unterteilen ließen: Religionen des Todes und Religionen des Lebens. In ersteren liege das Hauptaugenmerk auf der Vorbereitung auf ein Leben nach dem Tode und man verzichte auf das Diesseits und seine Freuden, um sich ganz der kommenden Welt zu widmen. »Das ist natürlich nichts für mich«, fügte er hinzu. Er respektiere vielmehr Religionen wie das Judentum, die die Verpflichtungen der Menschen gegenüber dem, wofür sie im Hier und Jetzt auf der Erde seien, und nicht gegenüber dem Jenseits betonten.
Rabbiner Blech fand, dass Hemingway mit seinem scharfsinnigen Verstand das Wesen des Judentums vielleicht besser auf den Punkt gebracht habe, als es die meisten Jüdinnen*Juden selbst tun könnten, denn das Judentum sei in der Tat eine Religion des Lebens. »Wählt das Leben«, heiße es in der Bibel an verschiedenen Stellen und auch wenn der Tod Erwähnung finde, bleibe es absichtlich verborgen, was nach ihm geschehe.
Nachdem Rabbiner Blech Hemingway zu seiner treffenden Analyse beglückwünscht hatte, erzählte er ihm von dem biblischen Gesetz, das es den Kohanim, den Mitgliedern der jüdischen Priesterschaft, untersage, mit Toten in Kontakt zu kommen. Durch dieses Gesetz solle sichergestellt werden, dass die Priester ihre primäre Funktion, sich den menschlichen spirituellen Bedürfnissen zu widmen, erfüllten, denn in zu vielen Religionen widmeten sie sich vorrangig Angelegenheiten, die mit dem Tode zu tun hätten. Deshalb verbiete die Bibel den Priestern jeglichen Umgang mit Verstorbenen, damit sie ihre Bemühungen, ihre Sorgen und ihre Energie auf die Lebenden richteten.
Hemingway lächelte und dankte Rabbiner Blech dafür, diesen schönen Gedanken mit ihm geteilt zu haben. Er selbst hatte bereits gut eineinhalb Jahrzehnte zuvor in seinem berühmten, zu einem der großen internationalen Bestseller seiner Zeit gewordenen Roman »Wem die Stunde schlägt« seinen im Spanischen Bürgerkrieg kämpfenden Helden Robert Jordan folgenden Gedanken fassen lassen:
»Die Welt ist schön, sie ist es wert, dass man für sie kämpft, und ich verlasse sie nur äußerst ungern.«[2]
Anmerkungen:
[1] Benjamin Blech, Hope, not fear: changing the way we view death. Rowman & Littlefield, Lanham/Boulder/New York/London 2018, S. 45–48.
[2] Ernest Hemingway, Wem die Stunde schlägt. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Rowohlt, Hamburg 2023, S. 615.