Michel Friedman über den alten und neuen Judenhass

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Michel Friedman, bekannter Moderator, Publizist und Rechtsanwalt, legt mit „Judenhass. 7. Oktober 2023“ persönliche Kommentare vor, die kritische Anmerkungen zu den Folgen des ansteigenden Judenhasses enthalten und insbesondere die Gleichgültigkeit kritisieren.

Von Armin Pfahl-Traughber

„Wird der Antisemitismus wieder gesellschaftsfähig? Die Frage wäre noch vor fünf Jahren als ziemlich absurd erschienen oder auch – wenn von Juden gestellt als Ausdruck leicht paranoider Gemütsverfassung. Dies hat sich, so will mir scheinen, radikal geändert.“ Das schrieb Jean Amery in einem Essay aus dem Jahr 1976. Dies hätte auch Michel Friedman in der Gegenwart schreiben können. Ähnliche Aussagen von ihm finden sich in seinem neuen Buch „Judenhass. 7. Oktober 2023“. Das Datum steht bei vielen Juden für einen Schock. Bekanntlich führte dann die Hamas ein brutales und grausames Massaker durch, seit dem Holocaust bildete es das schlimmste judenfeindliche Verbrechen. Gleich zu Beginn in seinem Buch erinnert Friedman daran, nicht um der bloßen Beschreibung dieser Untaten willen. Er macht auf die Dimensionen aufmerksam, auf die lustvolle Ermordung unschuldiger Personen. Mit der ihm eigenen Eindringlichkeit veranschaulicht Friedman dabei etwas: „Es sollte erinnern an die Nazis …“ (S. 9) – und doch blieb die Empörung überschaubar.

Auch in Deutschland eskalierten die antisemitischen Straftaten, es gab zwar Gegendemonstrationen, indessen mit eher geringen Teilnehmerzahlen. Darauf macht die vergleichende Betrachtung mit der Entwicklung in anderen Ländern aufmerksam. Friedman leitet daraus nicht ab, dass die Judenfeindlichkeit immer noch dominiert. Ihm geht es um eine andere Einstellung, die der Gleichgültigkeit. Sein Buch enthält kurze Kapitel, die jeweils auch für sich selbst gelesen werden können. Dazu gehören „Briefe“ an bestimmte Zielgruppen. Einer der ersten ist mit „Brief an die Gleichgültigen“ überschreiben. Es heißt darin etwa: „Wie macht man das eigentlich: so gleichgültig sein? Ich meine damit nicht nur Ihre Nicht-Reaktion auf die Übergriffe gegen Juden. Vielleicht sind sie abgestumpft, weil sie das Gefühl haben, nichts ändern zu können“ (S. 28). Mit ähnlicher Eindringlichkeit sind auch die anderen Inhalte formuliert. Seine emotionale Empörung formuliert Friedman dabei deutlich, es ist aber durchgängig eine begründete Empörung.

Dem folgen auch immer wieder autobiographische Beschreibungen, die mitunter bis in die Schulzeit zurückreichen. Friedman veranschaulicht dabei, welche merkwürdigen Bilder kursieren. So heißt es etwa: „Wenn es um Israel geht, werde ich als deutscher Jude bis heute so angesprochen, als wäre ich auch Israeli. Das bin ich nicht. Ich bin Deutscher. Auch Bundesminister und andere Amtsträger taten das …“ (S. 56). So etwas muss nicht in böser Absicht geschehen, so etwas steht aber für eine unterschwellige Denkungsart. Er betont auch die Defizite in der Erinnerungskultur, denn ein kritisches Bewusstsein entwickelte sich mehr in der medialen Öffentlichkeit, weniger in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. All diese Auffassungen trägt Friedman nicht als letztgültige Interpretationen vor, sie sind zunächst seine subjektiven Eindrücke, aber mit nachvollziehbarer Grundlage. Es heißt etwa: „Die Unfähigkeit zu trauern, eigentlich ganz grundsätzlich zu fühlen, rührt daher, dass man, um trauern zu können, akzeptieren muss, dass es Opfer gegeben hat“ (S. 69).

Es sind derartige Gedanken, die nur als kurze Hypothesen wirken, aber doch wichtiges Nachdenken anregen können und sollen. Einige der letzten Betrachtungen gehen dann noch auf die „Enthemmungen“ ein, welche man immer mehr in der Öffentlichkeit ausmachen kann. Friedman blickt hier kritisch auf eine bestimmte Partei, die AfD, die immer nur vor dem muslimischen Antisemitismus warne, um den eigenen Antisemitismus nicht wahrnehmbar zu machen. Der Autor blickt aber ebenso auf bedenkliche Entwicklungen von links: „Die linke Bewegung hat den Wunsch, dass Deutschland sich von seiner Schuld befreit und die kolonialisierten Völker als die Opfergruppe der Gegenwart anerkennt. Das überschneidet sich mit der Forderung der Rechtsextremen, dass endlich Schluss sein soll mit dem ‚Schuldkult‘ der Deutschen“ (S. 77). Kurzum, es gelingt Friedman auf engem Raum, viele bedenkliche Entwicklungen zu thematisieren. Dies geschieht durchgängig mit einer subjektiven Ausrichtung, die aber eben nicht grundsätzlich für Einseitigkeit stehen muss.

Michel Friedman, Judenhass. 7. Oktober 2023, Berlin 2024 (Berlin-Verlag), 105 S., Euro 12,00, Bestellen?