Zwischen Gefängnis und Revolution – Der Anarchist Alexander Berkman

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Der amerikanische Anarchist Alexander Berkman (1870-1936) wird von dem Historiker Frank Jacob in einem neuen „Jüdische Miniaturen“-Band vorgestellt. Ein wenig fehlt es an kritischer Distanz in der der ansonsten informativen Kurzbiographie.

Von Armin Pfahl-Traughber

Die vom Hentrich & Hentrich-Verlag herausgegebenen „Jüdischen Miniaturen“ sind immer wieder für eine Überraschung gut. Auf meist unter 100 Seiten erscheinen einschlägige Überblicksdarstellungen, wobei es um historische Persönlichkeiten mit einem jüdischen Hintergrund geht. Der Band 292 ist Alexander Berkman (1876-1936) gewidmet. Er dürfte in Deutschland nur wenigen Menschen mit Namen bekannt sein. Allenfalls am Anarchismus interessierte Leser könnten einmal auf seine einführende Monographie zum Thema gestoßen sein. Gleichwohl hat ihm Frank Jacob, ein deutscher Historiker, der an einer norwegischen Universität lehrt, ein kleines Werk gewidmet. Darin will er Berkmans Leben als kompromisslose Selbstauffassung thematisieren. So soll auch die Radikalisierung dieses anarchistischen Revolutionärs nachvollziehbar gemacht werden. Es handelte sich übrigens um einen durchaus gewaltakzeptierenden Akteur, führte er doch ein bekanntes anarchistisches Attentat durch. Da er als Einzeltäter handelte, gehörte Berkman damit zu den frühen Fällen eines Lone Actor-Terrorismus.

Die Darstellung von Jacob weist eine historisch-chronologische Prägung auf. Er beginnt mit der Entwicklung in Kindheit und Jugend noch im zaristischen Russland, wo sowohl der nihilistische Einfluss im persönlichen Umfeld wie die alltagskulturell wahrnehmbare soziale Ungerechtigkeit zum Widerspruch reizten. Berkman sah dann eine Hoffnung in den USA, reiste er doch wie viele jüdische Menschen aus Osteuropa seinerzeit dorthin. Berkman lernte den bekannten deutschen Anarchisten Johann Most kennen, ein wichtiger Anhänger der „Propaganda der Tat“. Mit dieser Bezeichnung waren auch Gewalthandlungen gegen Politiker gemeint, welche eine politische Botschaft für die Gesellschaft vermitteln sollten. Darüber hinaus lernte er die bekannte Anarchistin Emma Goldman kennen, seine langjährige Lebensgefährtin auch in einem privaten, nicht nur politischen Sinne. 1892 entschloss Berkman sich dazu, ein Attentat auf den Großindustriellen Henry Clay Frick durchzuführen. Damit sollten die Arbeiter und die Öffentlichkeit aufgerüttelt werden. Indessen gelangen sowohl das Attentat wie dessen Wirkung nicht.

Berkman wurde verhaftet und verbrachte 14 Jahre im Gefängnis. Danach agitierte er mit Goldman gegen die Kriegsbeteiligung der USA im Weltkrieg, was zu seiner Ausweisung in das gerade neu gegründete Sowjetrussland führte. Berkman hoffte auf die dortige Entwicklung, indessen entstand erneut keine freie Gesellschaft ohne repressive Herrschaft. Die autoritäre Entwicklung wurde früher von Goldman erkannt, Berkman hegte noch länger unrealistische Hoffnungen. Nach dem unweigerlichen Bruch mit der Lenin-Diktatur kehrten sie wieder in die USA zurück. Berkman schrieb später seine bekannte Einführung, die  als „ABC des Anarchismus“ auch in Deutschland und Europa bekannt und einflussreich werden sollte. Indessen sah er immer weniger für seine Gesellschaftsauffassung eine positive Zukunft. Gleichzeitig erkrankte Berkman schwer, was ihn dann zum Suizid motivierte. Er wird von Jakob mit erkennbarer Sympathie beschrieben. Berkman habe Freiheit und Gleichheit unbedingt umsetzen wollen. Einschlägige Hoffnungen wären verloren gegangen, er selbst aber an seinen Idealen nie verzweifelt. Berkman habe alles der Revolution geopfert.

Jakob erweist sich auch hier als guter Kenner, ebenso wie in seinen Darstellungen zu Goldman oder in andern Miniaturen. Gleichwohl neigt der Autor dann doch zu einer sehr unkritischen Beschreibung. Dies fällt besonders massiv bei der Behandlung des erwähnten Mordversuchs auf. Nachvollziehbarer oder überzeugter Antikapitalismus oder Anarchismus müssen nicht solche Konsequenzen haben, sie zeugen von einer absonderlichen Charakterstruktur und politischen Irrtümern. Damit setzt sich bei Berkman auch Jacob nicht näher auseinander. Er schildert diesen Anarchisten allzu sehr als Opfer einschlägige Rahmenbedingungen. Bei den Ausführungen zur Inhaftierung anlässlich der Propaganda, die gegen die Kriegsbeteiligung erfolgte, heißt es etwa, er sei „erneut für seine Überzeugungen weggesperrt worden“ (S. 47). Was sollte aber anders eine Folge nach einem Mordversuch in einem Rechtsstaat sein? Die mitunter fehlende Distanz zum Gegenstand ist denn auch für die kleine Monographie ein Problem. Dem steht aber die interessante Biographie entgegen, auch bezogen auf die frühen Erfahrungen im bolschewistischen Russland.

Frank Jacob, Alexander Berkman. Zwischen Gefängnis und Revolution, Leipzig 2013 (Hentrich & Hentrich-Verlag), 82 S., Euro 8,90, Bestellen?