„Die Stadt ohne Juden“ war die satirische Antwort in Romanform von Hugo Bettauer auf den Antisemitismus der 1920er Jahre. Mei, waren das schöne Zeiten! Selbst in der jüdischsten Phantasie hat es gereicht, ein Stickerl Territorium zu verlassen, um die Welt vernünftig werden zu lassen! Nur mal so eben die Stadt wechseln – und der Schlamassel für die Zurückgebliebenen war perfekt. Literarisch eine sich selbst servierende Sachertorte!
Von Ramona Ambs
Heut ist das alles viel komplizierter. Würde ich mich nun an einem Roman versuchen, der auf den aktuellen Antisemitismus abzielt, müsst ich schon vom Titel her raumgreifender werden. „Welt ohne Juden“ müsste das heißen- oder zumindest „Planet ohne Juden“. (Böse Zungen behaupten an der Stelle, den Planet der Affen gäbe es schon, aber das blenden wir aus).
Weil wir ja derzeit überall gehasst werden, würde es nicht reichen, einfach nur in eine andere Stadt oder ein anderes Land zu gehen. Wir bräuchten einen neuen Planeten oder zumindest einen extraterrestrischen Satelliten. Die Abreise wäre also weniger malerisch als in Bettauers Buch, dafür ein bissel spektakulärer. In meinem Roman lass ich die verlassenden Juden ein Raumfahrzeug bei Elon Musk ersteigern, der mittlerweile völlig pleite, seine Raketenteile bei Rudis Resterampe verkloppen würde. Der Zusammenbau zu einem Raumschiff wär fix geschrieben und die Abreise flott erzählt. Auf die feinsinnige Unterscheidung von Ostjuden und hiesigen würde ich verzichten. Das war damals schon Nippes und stört nur den Lesefluss. Jeder weiß doch: ein Jude ist ein Jude ist ein Jude.
Und wie man in Schiffen überlebt, das wissen wir seit Noah. Null Problemo!
Anders als im Roman von Bettauer würden in meiner neuen Version jedoch nicht die Kaffeehäuser leer stehen, die Wirtschaft erlahmen und in den Theatern nur noch langweilige Stücke gespielt. Nein, bei mir würde nach dem Fortgang der Juden eine documenta-Daueraustellung in der gesamten Republik stattfinden, die danach durch die Welt touren würde. Und da die BDS-Bewegung dafür sorgen würde, dass sämtliche Erfindungen von Juden nicht mehr genutzt werden, gäbe es insgesamt keine Kaffeehäuser mehr. Dafür aber bald große Probleme im Gesundheitswesen. So würden beispielweise Kinder nicht mehr gegen Kinderlähmung geimpft werden, weil der Erfinder des Impfstoffs, Jonas Salk, ja ein Jude war. Diabetiker werden angehalten auf Insulin zu verzichten, weil Oskar Minkowski, der den Kohlenhydratstoffwechsel der Bauchspeicheldrüse entdeckt hat, ein Jude war. Die nichtjüdischen Herzen der gesamten Welt geraten außer Takt, weil Digitalis, das Medikament gegen Herzschwäche, auf die Forschung des Juden Ludwig Traube zurückgeht, der die Digitalistherapie des Herzens auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt hat. Auch die Antibiotika Zytostatikum Actinomycin A und das Antibiotikum Streptomycin, das gegen Tuberkulose hilft, würden vom Markt genommen und als Judenmedizin auf den Plätzen aller Städte der Welt verbrannt werden. „Wir übergeben die jüdische Medizin von Zalman Waksman dem Feuer!“ werden sie rufen – und die Tuberkulosebakterien würden voll fett Party feiern! Endlich sind die Juden weg!
Ich würde die zurückbleibenden Goym an Zahnschmerzen leiden lassen (Novacain gäbs nicht mehr!) und an Kopfschmerzen (Pyramidon und Antypyrin gibts leider auch nicht mehr) und die Syphilisbeschwerden würd ich in epischer Breite darstellen, weil man es weder diagnostizieren noch behandeln könnte, ohne jüdischen Beitrag. Die Welt ohne Juden zu beschreiben wäre mir ein lyrisches Fest – und eine Tortur für jeden hypochondrisch veranlagten Leser… und schnell würde man merken: eine Welt ohne Juden – how to say it diplomatisch?: sehr sehr suboptimal.
Und vielleicht vielleicht würde man die Juden dann endlich wieder lieb haben- wie in Bettauers bitterem Buch… Bei ihm wurden die zurückkommenden Juden begrüßt mit „Mein lieber Jude…“- und DAS will ich auch mal hören. Oder zumindest lesen. Vielleicht schreib ich ihn also schon morgen… den neuen großen Roman der hiesigen Zwanziger Jahre: „Die Welt ohne Juden“.