Humanitäre Worthülsen

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Vom Gift der Worte und Sprachverdrehungen

Von Ramona Ambs

Es kommt nicht auf die großen Sachen an, sondern auf den Alltag der Tyrannei, der vergessen wird. Tausend Mückenstiche sind schlimmer als ein Schlag auf den Kopf. Ich beobachte, notiere die MückensticheWorte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

Victor Klemperer

 

Das Gift der Worte, von dem Victor Klemperer spricht, ist noch immer da. Es offenbart sich in der langjährigen Berichterstattung über Israel und es sind dabei die immer gleichen Vokabeln die fallen und die ihr Gift nach und nach verbreiten. Besonders auffällig ist das, wenn man Textschnipsel aus der derzeitigen Berichterstattung einmal nimmt und einfach mal die Rollen vertauscht.

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Ein paar Sätze als Beispiel:

Die Entführung der israelischen Geiseln durch die Hamas hält mit unverminderter Härte an. Unter den Geiseln befinden sich vor allem Frauen, Kinder und Babies und viele alte gebrechliche Menschen, denen der Tod droht, wenn man ihnen die medizinisch notwendige Behandlung verweigert.

Das Nothilfebüro der Vereinten Nationen (OCHA) schlug Alarm, dass Wasser, Nahrung und Medizin für die Geiseln von der Hamas nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden.

Die Hamas verfolgt kompromisslos ihr Vergeltungsprogramm und ist derzeit nicht bereit in Verhandlungen zu treten. Ihre Raketen werden ohne Unterlass weiter abgefeuert.  Fachleute bekunden zwar das Selbstverteidigungsrecht der Hamas, befürchten jedoch einen Flächenbrand. Die Vereinten Nationen mahnen die Hamas an, sich an humanitäre Standarts zu halten.

Angesichts der Not  der entführten Kinder hoffen internationale Helfer auf einen Dialog mit ranghohen Mitgliedern der Hamas. Es wäre der einzige Weg, um Hilfe zu den von den Palästinensern verschleppten Menschen zu bringen. Experten warnen zudem vor den Langzeitfolgen einer solchen Behandlung von Geiseln, die der UN-Menschenrechtskonvention widerspricht.

„Gewalt wird nur Gegengewalt produzieren“ sagt Professor XY und mahnt: „Die Hamas muss sich ans Völkerrecht halten und bei der Wahl ihrer Mittel die Verhältnismäßigkeit beachten! Sonst droht eine Eskalation. Und wir als Verbündete und Freunde müssen klar sagen dürfen, wenn wir die Gewaltspirale nicht weiter mittragen können. Der Westen darf nicht länger schweigen“

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Nie sowas gelesen? Ich auch nicht….

Weil man nämlich Ausdrücke wie „unverminderte Härte“, „Vergeltung“ oder auch Apelle an die „Verhältnismäßigkeit“ und „Humanität“ stets nur in Kombination mit Israel liest.

Ein anderes, alt bekanntes Phänomen ist die Täter-Opfer-Umkehr in den Überschriften. Aktuell geht grade die jahrzehntelange Headline-Lüge „Israel greift Ziele im Gaza an“ (wenn der jüdische Staat nach längerem Beschuss durch die Hamas sich militärisch verteidigte) über in „Israel bestreitet die Verantwortung für eine Explosion in Gaza“ (obwohl seit STUNDEN(!!!) klar ist, dass es ein Geschoss des Islamischen Dschihad war, das den Parkplatz vor dem Krankenhaus getroffen hat)… 

Diese Sprachverdrehungen gehen aber auch außerhalb der Berichterstattung über Israel direkt weiter: „Der Nahostkonflikt wird hier auf die Straße getragen“ heißt es in den Meldungen. Passivkonstruktionen sind sprachliche Meister der Verschleierung. Sie ermöglichen dem Text, die Handlung ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und dabei das Subjekt in den Hintergrund zu drücken. Wer trägt denn diesen Konflikt auf die Straße und wie sieht das dann konkret aus?

Sammeln sich wütende Juden vor Moscheen und schmeißen Molotowcocktails? Rennen Israelis durch die Straße und markieren Häuser von Muslimen mit dem Halbmond? Eskalieren Trauerkundgebungen der jüdischen community? Well…

Wenn das Denken die Sprache korrumpiert, korrumpiert die Sprache auch das Denken hat Orwell gesagt. Leider hat er nicht gesagt, wie man das verhindert…

Bild oben: Der Einschlagsort vor dem al Ahli Krankenhaus in Gaza, Foto: X Twitter/Mohamed Al Masri