„Ein anderes Land“ – Ausstellung mit Erinnerungslücken

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Reisetruhe von Josef und Lizzi Zimmering, 1930er- bis 1940er-Jahre; Leihgabe der Familie Zimmering an das Jüdische Museum Berlin. Foto: Roman März.

Das Jüdische Museum Berlin präsentiert eine neue Ausstellung zur Geschichte der Juden in der DDR. Martin Jander hat sich die Ausstellung angesehen und vermittelt seine ersten Eindrücke. Seine These lautet: Die Ausstellung hat ihren stärksten Moment mit einer Installation von Leon Kahane. Sie fällt insgesamt hinter das wissenschaftlich und publizistisch bereits erreichte Niveau einer Darstellung der Besonderheiten der Geschichten von Juden im realsozialistischen Nachfolgestaat des deutschen Nationalsozialismus zurück.

Von Martin Jander/Berlin

Die neue Ausstellung „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ hat ihren stärksten Moment im letzten der Ausstellungsräume. Leon Kahane präsentiert dort eine Installation mit dem Titel „vom ich zum wir“.[1] Der Künstler zeigt, reflektiert und kommentiert Entwicklungen seiner jüdischen Großmutter Doris Kahane, die nach ihrer Flucht aus Deutschland, von Frankreich aus fast nach Auschwitz deportiert wurde. Ihren späteren Mann, den ebenfalls aus Deutschland geflohenen Max Kahane, der ein Mitglied der französischen Widerstandsbewegung geworden war, lernte sie in Frankreich lieben und kehrte mit ihm in die DDR zurück.

Die Installation besteht aus verschiedenen Elementen. Doris Kahane entwarf in Neu-Delhi, für den DDR-Pavillon der dritten Weltlandwirtschaftsmesse, ein Mosaik mit dem Titel „vom ich zum wir“. Das Mosaik, heute bis auf ein Ministückchen nur noch als Fotografie erhalten, zeigt was sein Titel sagt: schematisierte Figuren, die zunächst, offenbar im Kapitalismus, wild und unorganisiert gegeneinander arbeiten, dann aber eingeladen werden in den Sozialismus zu kommen, wo man friedlich und freundlich miteinander arbeitet.

Die Installation zeigt außerdem Ausschnitte aus privaten Filmen der Familie. In einem dieser Filmschnipsel taucht auch Otto Grotewohl, der erste Ministerpräsident der DDR, auf, der bereits 1951 formuliert hatte: „Literatur und bildende Künste sind der Politik untergeordnet (…). Die Idee der Kunst muss der Marschrichtung des politischen Kampfes folgen“.[2]  Außerdem werden Ausschnitte aus einem Interview mit Doris Kahane gezeigt, in dem sie über ihre Inhaftierung im Lager Drancy in Frankreich spricht und über ihre Todesangst.

Weiterhin zeigt die Installation einen Artikel aus einer DDR-Kinderzeitschrift, ein Portrait von Doris Kahane. Es trägt den Titel „Immer wieder malt sie Kinder“. Doris Kahane hatte in Drancy erlebt, wie für den letzten Transport nach Auschwitz 450 Kinder ausgesucht wurden, von denen, so Leon Kahane, sicher keines überlebt habe. Sie überwand dieses Trauma nie und hat deshalb häufig Kinder gezeichnet. Das Portrait der DDR-Kinderzeitschrift benennt zwar das Trauma von Doris Kahane, zeigt aber keine Kinderzeichnungen von ihr. Darüber hinaus instrumentalisiert man Kahane in dem Bericht auch für die israelfeindliche Politik der DDR. Der Autor des Porträts behauptet, dass sich „Faschismus“ heute gegen die Kinder in „arabischen Ländern“ richten würde.

Um die berührenden Kinderzeichnungen von Doris Kahane dem Museumsbesucher dennoch zu zeigen, hat Leon Kahane einige von ihnen seiner Installation hinzugefügt.

Der Künstler kommentiert zusammenfassend: „Diese Mythenbildung durch Bilder und Sprache macht sehr deutlich, dass sich die DDR als kindlich, naiv und unschuldig inszeniert hat. Es wurde eine junge Nation behauptet, die einen Bruch mit dem Nationalsozialismus darstellte, und doch begann die politische Indoktrination schon bei den Kindern. Es bleibt ein manichäisches Weltbild. Menschen wie meine Großmutter haben bald bemerkt, dass sie darin keinen Platz hatten.“[3]

Erinnerungsfragmente

Leider erreichen die anderen Räume der Ausstellung das Niveau und Qualität dieser vielschichtigen Installation nicht. Das beginnt bereits beim Eintritt in die Ausstellung. Der Betrachter wird im „Prolog“ mit einer Diaschau konfrontiert, die das Museum aus Leihgaben jüdischer Familien zusammengestellt hat. Die verschiedenen Fotografien fließen, den gezeigten Menschen werden keine Namen gegeben, am Betrachter vorbei. Wer nicht an die Legende der Diaschau herantritt, weiß auch nicht, aus welchen Familienalben die Fotos stammen. Musikalisch ist der Raum mit Bert Brechts und Hanns Eislers „Kinderhymne“ unterlegt. Beim Eintreten in die Ausstellung scheint es so, als habe es eine homogene Gruppe linker Juden in der DDR gegeben.  

Im nächsten Raum mit dem Titel „Zwischenzeiten“ zieht die Reisetruhe von Josef und Lizzi Zimmering, in der die beiden ihr Hab und Gut aus dem Exil in England in die Sowjetische Besatzungszone transportierten, die Besucher unweigerlich in ihren Bann. Es werden auch kurze, allerdings wieder namenlose Auszüge biographischer Geschichten an Hörstationen angeboten. Darüber hinaus gibt es Fotografien von machtvollen antifaschistischen Demonstrationen der „Opfer des Faschismus“ in den ersten drei Nachkriegsjahren. Ein Bericht über den zerstörten Versuch von Julius Meyer, Paul Merker und Leo Zuckermann ein Gesetz zur umfassenden Entschädigung für die jüdischen und nichtjüdischen Opfer des Nationalsozialismus zu institutionalisieren, fehlt. 

Der sich anschließende „Stadtraum“ zeigt eine Fotoserie von Mathias Brauner, die aus vielen verschiedenen Perspektiven die zerstörte Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin zeigt. Kommentare, Karten, Fotografien, die den Umfang der ermordeten Juden aber auch der anderen Opfer des Nationalsozialismus in Berlin, Deutschland oder Europa zumindest andeuten, fehlen.

Es schließt sich der Raum „Ostberlin“ an, in dem die Ausstellung sich den verschiedenen Verständnissen von Jüdischkeit in der DDR annähert. Aber auch hier sind die Hörstationen erneut namenlos und die wenigen präsentierten Einzelbiografien jeweils so kurzgehalten und mit so wenigen Beigaben – Bildern, Ausweisen, Zeichnungen, Briefen, etc. – versehen, dass ihre Geschichten nicht wirklich erzählt werden. Ein Hinweis auf die große Vertreibung von Juden aus der DDR im Winter 1952/53 und ihre Folgen fehlt. Auch ein Hinweis auf die Unterdrückung der Dokumentation („Verfolgte Berliner Wissenschaft“) über die Entlassungen von der Berliner Humboldt-Universität seit 1933, angefertigt vom Philosophen Rudolf Schottlaender, fehlt. Sie wurde nicht veröffentlicht, so erfuhr er informell, weil zu viele Juden darin vorkamen.

Auch der Raum zu jüdischer Geschichte in „Film und Fernsehen“ der DDR, lässt die meisten Fragen offen. Kurze Ausschnitte aus Filmen wie „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ (1972), „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ (1973), „Jacob der Lügner“ (1974) u. a. werden in einer Filmschleife abgespielt. Die Quellen werden dem Betrachter nur in den Filmlegenden an der Wand zur Filmschleife mitgeteilt. Der nach einer Untersuchung von Lisa Schoß[4] erstellte Raum versucht erst gar keine Interpretation der Jüdischkeit, die die Filmsequenzen liefern. Was die Kurator*innen mit dem so gestalteten Raum wollen, bleibt unklar. Fragmente aus DDR-Filmen sind kein Ersatz für eine lebendige Erinnerungskultur.

Der Raum mit dem Titel „Gemeinden“ hätte sich angeboten, die Gängelung der kleinen jüdischen Gemeinden in der DDR durch das „Staatssekretariat für Kirchenfragen“ darzustellen, das unterbleibt. Erneut werden lediglich Fragmente von Geschichten erzählt. So zum Beispiel ist eine Fahne mit Davidstern zu sehen, die Überlebende an einem Bus befestigt hatten, der sie von Theresienstadt nach Erfurt zurückbrachte. Die Geschichte zu dieser Fahne wird nicht erzählt. Ähnlich ist es mit den meisten der hier zu sehenden Fotos, Bilder, Plastiken und Kultgegenstände.

Hinweise auf den berühmten Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Leipzig, Eugen Golomb, und seinen nicht weniger berühmten Freund in der Dresdner Gemeinde, Helmut Eschwege, fehlen. Golomb, ein jüdisch-polnischer Offizier, der aus Auschwitz geflohen war, organisierte hinhaltenden Widerstand der Jüdischen Gemeinden gegen ihre Instrumentalisierung für die gegen Israel gerichtete Politik der DDR. Er bewunderte Israel. Sein Freund Eschwege konnte in den 1930er Jahren ins britische Mandatsgebiet Palästina entkommen. Er wurde 1953 aus der SED entfernt, weil er nicht darauf verzichtete, seine Nationalität als jüdisch anzugeben. Beide gemeinsam setzten sich für eine Verstärkung jüdischer Bildungsarbeit in der DDR ein. Eschwege war der einzige Holocaustforscher der DDR. Sein Lebenswerk wurde weitgehend zerstört.  

An diesen Raum angeschlossen, ist ein modularer Raum, der während der Dauer der Ausstellung für Vorträge und Präsentationen verwendet wird. Hier sind drei Video-Stationen aufgestellt. Sie enthalten die vollständigen Interviews, deren kurze Auszüge, meist nicht länger als drei Minuten, an den Audiostationen der anderen Räume zu hören sind. Hier, an einem Ort im Abseits der Ausstellung erfährt der Besucher endlich wer in den Interviewfragmenten spricht und die Befragten haben Raum, ihre Geschichten, die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern, sowie ihres eigenen Lebens in der DDR zu erzählen.

Im vorletzten Raum der Ausstellung mit dem Titel „Staatsfragen“ werden einige Kontexte jüdischen Lebens in der DDR aufgerollt: (1) 1961 [Der Prozeß gegen Eichmann in Jerusalem], (2) 1976 [Die Ausbürgerung Wolf Biermanns], (3) 1953 [Slánský-Prozess in der Tschechoslowakei], (4) 1988 [50. Jahrestag der Reichspogromnacht], (5) 1989/90 [Demonstration 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz], (6) Aufruf [Erklärung einiger jüdischer Intellektueller im ´Neuen Deutschland` zur Unterstützung der Kritik der DDR-Regierung am 6-Tage-Krieg-Israels]. Viele andere Kontexte fehlen.  

Fehlende Kontexte

Es gab in Berlin bereits zwei große Vorläufer-Ausstellungen, die man für die neue Präsentation im Jüdischen Museum hätte nutzen können. Die Amadeu Antonio Stiftung stellte 2007 „Das hat`s bei uns nicht gegeben!“ – Antisemitismus in der DDR vor.[5] Im Centrum Judaicum in Berlin gastierte die Ausstellung „Zwischen Bleiben und Gehen“.[6] Auch wissenschaftliche Literatur und die Publizistik haben längst ein differenziertes Bild von Juden in der der realsozialistischen Nachfolgegesellschaft des Nationalsozialismus entworfen.[7] Das Thema der linken-deutschen Juden, das von der Ausstellung „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ in den Mittelpunkt gerückt wird, ist seit 2000 in einer Spezialuntersuchung von Karin Hartewig zugänglich.[8]

Ohne die Shoa und ohne die Unfähigkeit der Deutschen den Nationalsozialismus selbst zu besiegen, hätte es nie eine DDR gegeben. Eine breit angelegte Reparation für die Morde und das entzogene Eigentum von Juden und anderen scheiterte. Kaum war die DDR gegründet, vertrieb die SED im Schatten von Stalins Prozess gegen die „Ärzteverschwörung“ große Teile der Juden aus der DDR. Die Integration vieler kleiner und mittlerer Nazis in das gesellschaftliche Leben der DDR, war ein offenes Geheimnis. Selbst die SED-Mitgliedschaft setze sich nicht unerheblich aus ehemaligen NSDAP-Mitgliedern, der Hitlerjugend und des Bund deutscher Mädel zusammen.

Die Faschismusinterpretation der DDR war ganz auf diesen Integrationsprozess zugeschnitten. Nicht die Deutschen hatten Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Polen, Russen und viele andere umgebracht. Es war das expandierende deutsche Kapital, dass diese verbrecherische Politik vorantrieb. Wer sich nach 1945 zum Sozialismus bekannte, dem wurden seine kleineren oder größeren Verbrechen vergeben. Publikationen, die von der Shoa, dem Versuch der Deutschen alle Juden zu vernichten, sprachen, wurden unterdrückt. Die DDR blockierte sogar den Zugang zum Archiv der Jüdischen Gemeinden. Nachforschungen zu den entstandenen Schäden sollten behindert werden.    

Politisch links orientierte Juden standen, so sie denn in der DDR lebten, vor großen Problemen. Eben die werden in der Installation von Leon Kahane sichtbar. Die DDR wurde kein demokratisch-sozialistischer Staat, wie das viele linke Juden erträumten. Aber in der gesellschaftlichen Ordnung der DDR waren die Grundlagen für kapitalistische Machtentfaltung aufgelöst. Sofern man sich von der Idee, dass damit Faschismus, Antisemitismus und Rassismus mit den Wurzeln ausgebrannt worden seien, nicht lösen konnte, die DDR als ein kleineres Übel im Vergleich zur Bundesrepublik ansah, konnten jüdische Überlebende von der SED für ihr diktatorisches Konzept instrumentalisiert werden. Jüdischkeit bildete einen Teil der eigenen Identität, den man in der DDR seit 1953 besser verbarg. Nicht alle in der DDR lebenden Juden und schon gar nicht ihre Kinder taten es.  

Die politische Instrumentalisierung jüdischer Holocaustüberlebender und ihrer Kinder nahmen in den 60er Jahren noch zu. Seit dem 6-Tage-Krieg 1967 begann die DDR die Gesellschaften militärisch zu bewaffnen, die Krieg zur Vernichtung Israels führten. Sie begann auch die PLO zu unterstützen. 1973 erlaubte die DDR, noch vor der Sowjetunion, die Errichtung einer Vertretung der PLO. Sie erhoffte sich davon größere internationale Anerkennung. Seit ihrer Mitgliedschaft in der UNO 1973 beteiligten sich ihre UNO-Vertreter an der Dämonisierung Israels.

Linke Juden, die sich aus der, wie Anetta Kahane schrieb, „Antifaschismusfalle“[9] nicht lösen konnten, wurden jetzt auch noch dazu instrumentalisiert, sich gegen Zionismus, Faschismus und Rassismus auszusprechen, die Dämonisierung Israels und die militärische Hilfe der DDR für seine Feinde zu rechtfertigen. Jüdische Identität war nur auf engsten privaten Räumen und im Umkreis der sehr kleinen jüdischen Gemeinden lebbar. Manche, wie zum Beispiel Eugen Golomb und Helmut Eschwege, gingen entschiedener vor.  

In den 80er Jahren begann sich in der DDR eine neonationalsozialistische Szene herauszubilden. Offene, unzensierte Gespräche über Schuld und Verantwortung waren in der DDR nicht möglich. In den Täterfamilien setzte sich teilweise eine Heroisierung der nationalsozialistischen Großeltern durch.

In den letzten fünf Jahren der DDR entwickelte Erich Honecker eine etwas andere Erinnerungspolitik. Er wollte damit vor allem die USA beeindrucken, um bessere Handelsbeziehungen zu erreichen. Die Gründung des Centrum Judaicum wurde durch eine Stiftung angestoßen.

Diese etwas differenziertere Erinnerungspolitik beinhaltete jedoch nicht, dass sich die DDR zu ihrer Verantwortung und Haftung als Nachfolgestaat des deutschen Nationalsozialismus bekannte. Sie beinhaltete auch nicht, dass man die militärische und propagandistische Unterstützung der PLO und der israelfeindlichen arabischen Staaten einstellte. Sie bedeutete ebenso wenig, dass man die in den frühen 50er Jahren wegen ihrem Bekenntnis zu jüdischer Identität oder Unterstützung Israels aus der SED entfernten Genossen vollumfänglich rehabilitierte. Die Entsolidarisierung der deutschen Kommunisten von ihren jüdischen Genossen die im Winter 1952/53 begonnen hatte, hielt bis zum Untergang der DDR an.        

„Forum“?

Die Macher*innen sind überzeugt, dass sie mit der Ausstellung „ein Forum“ eröffnet haben, „um das Ausstellungsthema mit seinen starken Implikationen für die Gegenwart weiter zu verhandeln.“[10] Der Rezensent ist eher der Auffassung, dass diese Ausstellung viele Ideen, Ängste, Illusionen, Wünsche, Erfahrungen und Traumata der in der DDR lebenden, aus ihr geflohenen, oder vertriebenen Juden, nur oberflächlich antippt. Manche wichtige Geschichte wird gar nicht erzählt. Die Ausstellung konzentriert sich fast ausschließlich auf die Geschichten linker Juden.

Es soll mit dieser Kritik der Ausstellung nicht behauptet werden, dass Bundesrepublik und Österreich der Umgang mit den Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus angemessen gelungen wäre. Es soll auch nicht behauptet werden, dass jüdische Identität dort ohne Probleme lebbar gewesen wäre. Der Nachfolgestaat des Nationalsozialismus DDR aber scheiterte. Sein Scheitern wird durch den Verweis auf die Bundesrepublik und Österreich nicht besser.

Die Hauptfeinde der Nazis, die Juden, waren zu großen Teilen aus der DDR vertrieben worden. Diejenigen, die nach der antisemitischen Kampagne blieben, duldete man nur am Rand des Erinnerungsdiskurses und dann, wenn sie sich zur Legitimation der SED-Politik zur Verfügung stellten. Jüdische Identität abseits der Propaganda war nur in allerkleinsten Räumen lebbar. Die deutschen Kommunisten haben sich im Winter 1952/53, wie Jeffrey Herf in seinem Buch „Divided Memory“ zeigt, von ihren jüdischen Genossen entsolidarisiert[11] und haben diese Entsolidarisierung bis zum Untergang der DDR auch nicht zurückgenommen.

Die Installation von Leon Kahane am Ende der neuen Ausstellung gelingt, was die Macher*innen von „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ nicht wirklich darstellen können. Sein Beitrag sprengt den beschränkten und aus der Sicht des Rezensenten auch empathielosen Umgang der Macher*innen mit den vielen verschiedenen jüdischen Geschichten aus der DDR. Die Träume von Doris Kahane, ihre künstlerische Arbeit, wurden instrumentalisiert. Eine diktatorische Nachfolgegesellschaft des deutschen Nationalsozialismus sollte installiert werden, die nicht nur die Opfer des Nationalsozialismus nicht umfassend entschädigte. Auch die Erinnerungen, Traumata der Juden und der anderen Opfer des Nationalsozialismus wurden unterdrückt. Doris Kahanes Zeichnungen von den Kindern, die aus Drancy nach Auschwitz deportiert wurden, veröffentliche die DDR-Kinderzeitschrift nicht. Jüdische Überlebende sollten in der DDR mit ihrer ganzen Existenz zu Propagandisten der realsozialistischen Diktatur und ihrer Politik werden.

Alles das blamiert natürlich den Traum von Doris Kahane nicht. Dennoch stellt ihr Enkel die Frage, ob ihr Traum vielleicht deshalb instrumentalisierbar war, weil er ein manichäisches Weltbild mit sich führte. Dass Doris Kahane als jüdische Überlebende in der DDR nicht angenommen wurde, nicht zu Hause war, spürte sie deutlich.  

Ein Versagen der Ausstellungsmacher*innen besteht für den Rezensenten darin, die Beiträge der Sozialistischen Einheitspartei (SED) zur Relativierung der Shoa und des Antisemitismus in Deutschland nach 1945 und die Zumutung die das für Juden bedeutete, nicht sichtbar zu machen. Die Universalisierung der Shoa[12], die Behauptung, dass sie gar kein deutsches Verbrechen gewesen sei, sondern ein kapitalistisches, wird so wenig analysiert wie die Dämonisierung von Juden als kapitalistisch.[13] Auch die Gleichsetzung von Rassismus, Antisemitismus und Zionismus, die Dämonisierung Israels als kapitalistischer, fast faschistischer Staat[14], scheint den Ausstellungsmacher*innen keine nachträgliche Reflektion wert. 

Wäre die Präsentation 1993 eröffnet worden, hätte man sie als einen Anfang loben können. 2023 geht das nicht. Ein Anfang ist längst mit vielen Publikationen, wissenschaftlich wie publizistisch gemacht. Die große Truhe von Josef und Lizzi Zimmering aus dem „Zwischenraum“, in der die beiden ihr Hab und Gut aus dem Exil in England in die Sowjetische Besatzungszone transportierten, wird leider nicht geöffnet. Die vielen Erfahrungen von Juden in und mit der DDR, von denen wir heute längst wissen, werden nicht wirklich sichtbar gemacht.

Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR – 8. Sep 2023 bis 14. Jan 2024

Katalog zur Ausstellung: Tamar Lewinsky, Martina Lüdicke, Teresia Ziehe (Hrsg.), Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR, Berlin 2023, ‎ Christoph Links Verlag, ISBN 978-3-96289-207-4, 272 Seiten, 28.- €uro.

[1] Zitiert nach: Leon Kahane, vom ich zum wir, in: Tamar Lewinsky, Martina Lüdicke, Teresia Ziehe (Hrsg.), Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR, Berlin 2023, S. 241 – 248.
[2] Zitiert nach: Ebenda.
[3] Zitiert nach: Ebenda.
[4] Lisa Schoß, Von verschiedenen Stadtpunkten, Berlin 2023.
[5] Anetta Kahane, Heike Radvan (Hrsg.), „Das hat`s bei uns nicht gegeben!“ – Das Buch zur Ausstellung der Amadeu Antonio Stiftung, Selbstverlag Berlin 2010.
[6] Andreas Weigelt, Hermann Simon (Hg.), Zwischen Bleiben und Gehen. Juden in Ostdeutschland 1945 – 1956. Zehn Biografien. Berlin 2008.
[7] Siehe z. B.: Werner Bergmann, Rainer Erb, Albert Lichtblau (Hg.), Schwieriges Erbe : der Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt ; New York : 1995.
[8] Siehe: Karin Hartewig, Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR. Köln, Weimar und Wien 2000.
[9] Zitiert nach: Anetta Kahane, Ich sehe was, was Du nicht siehst, Berlin 2004, S. 131.
[10] Zitiert nach: Tamar Lewinsky, Martina Lüdicke, Theresia Ziehe, Vorwort zur Ausstellung, in: Tamar Lewinsky, Martina Lüdicke, Teresia Ziehe (Hrsg.), Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR, Berlin 2023, S. 8.
[11] Siehe dazu: Jeffrey Herf, Divided Memory, Harvard University Press 1999.
[12] Siehe dazu: M. Rainer Lepsius, Das Erbe des Nationalsozialismus und die politische Kultur der Nachfolgestaaten des „Großdeutschen Reiches“, in: Max Haller, Hans Joachim Hoffmann-Nowotny, Wolfgang Zapf (Hrsg.), Verhandlungen des 24. Deutschen Soziologentags, des 11. Österreichischen Soziologentags und des 8. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Zürich 1988, Frankfurt 1989, S. 247-264.
[13] Siehe dazu: Thomas Haury, Antisemitismus von Links, Hamburg 2002.
[14] Siehe dazu: Jeffrey Herf, Divided Memory, Harvard University Press 1999; Jeffrey Herf, Undeclared wars with Israel, Cambridge University Press 2016.

1 Kommentar

  1. Hallo lieber Gabriel Berger,
    dass ich mit Anetta Kahane befreundet bin, sehen Sie ganz richtig. Ich würde noch hinzufügen, ich glaube sie ist eine bedeutende Intellektuelle und hat, z. B. mit der Gründung der Amadeu Antonio Stiftung, ganz großartige Dinge zuwege gebracht und schreibt sehr anregende Artikel, Kolumnen und Bücher.
    Ich wundere mich aber, dass Sie glauben, dass ich in der DDR bestimmte Dinge nicht sehen will. Welches Motiv soll mich an der Wahrnehmung hindern? Möglicherweise beurteile ich manche Dinge anders als Sie das tun?
    Die Juden, die nach der Shoa in die SBZ/DDR kamen, waren keineswegs mehrheitlich links. Viele, die nach der großen Vertreibung im Winter 1952/53 blieben, waren links. Viele, die in diesem Winter vertrieben worden waren, waren nicht links. Von den linken Juden die blieben, waren einige wenige in führenden Positionen, z. B. Albert Norden.
    Bei ihm z. B. liegt die Sache aber allerdings sehr speziell. Er hatte sich bereits in den 1920er Jahren von seinem berühmten Vater, dem liberalen Rabbiner Joseph Norden, abgewendet und ausdrücklich auch von der Vision eines Zion, eines israelischen Staates. Vielleicht hätte ich ihn in meine Ausstellungskritik einbeziehen sollen, denn dort kommt er nur im Zusammenhang mit einer Straßenumbenennung im Raum „Staatsfragen“ vor.
    Es gibt noch einige andere Beispiele, aber die meisten anderen linken Juden, die nach 1952/53 in der DDR blieben, waren keineswegs in führenden Positionen, haben auch keineswegs das Unrecht der DDR gerechtfertigt, oder waren gar daran beteiligt, so wie Albert Norden das war. Ihre Generalaussage jedenfalls über die Mitverantwortung linker Juden in der DDR am DDR-Unrecht ist pauschalisierend und aus meiner Sicht auch falsch. Wollen Sie zum Beispiel den Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski für das DDR-Unrecht mit verantwortlich machen?
    Sie meinen ausserdem, ich verschwiege absichtsvoll großzügige materielle und soziale Unterstützung von Juden in der DDR. Was soll mein Motiv dahinter sein? Sie haben Recht, ich habe es nicht erwähnt. Vielleicht hätte ich es tun sollen. Aber, was glauben Sie als Motiv dahinter zu entdecken?
    Die Ausstellung von Anetta Kahane hat sich dem komplizierten Thema des Antisemitismus in der DDR sehr früh genähert. Neben den wissenschaftlichen Annäherungen, Thomas Haury, Jeffrey Herf u. a., zeichnet sich die Ausstellung „Das hats bei uns nicht gegeben“ durch ihre große Plastizität aus. Es werden viele einzelne Fälle besprochen und auch die unterschiedlichen Quellen des Antisemitismus in der DDR genau lokalisiert. Ich finde das bis heute sehr lesenswert.
    Dass wir beide die Arbeit von Karin Hartewig schätzen, ist schön. Ob sie unbedingt Kuratorin der Ausstellung im Jüdischen Museum hätte werden sollen, weiß ich nicht. Ich verstehe nur nicht, warum die Kuratorinnen ihre Arbeit und sie selbst nicht in die Erarbeitung der neuen Ausstellung einbezogen haben. Aber aus der Arbeit von Karin Hartewig geht keineswegs Ihr pauschalisierendes Urteil über die Verantwortung linker Juden am Unrecht der DDR hervor. In welcher Recherche, oder in welchen Erfahrungen, Zeitzeugenberichten sehen Sie eine Bestätigung Ihres Urteils?
    Dass Sie in der DDR wegen Staatsverleumdung in Haft saßen, bedaure ich außerordentlich. Soll das aber heißen, dass Ihr Urteil über die DDR wichtiger, zutreffender und angemessener ist, als die Urteile z. B. von mir, oder anderen Autor*innen?
    Durch Ihre Kritik an meiner Ausstellungskritik hindurch höre ich die Behauptung, linke Juden seien hauptverantwortlich an der DDR-Diktatur? Höre ich das richtig? Das hielte ich für ganz abwegig und. Aber das haben Sie auch hoffentlich nicht sagen wollen.

  2. Martin Jander, gut befreundet mit Annetta Kahane, hat sich große Mühe gemacht, die ohne Frage sehr oberflächliche Ausstellung, zu kritisieren. Vieles von dem was er sagt ist richtig und die von ihm aufgezählten verschwiegenen Tatsachen zum Teil gravierend. Seine Kritik an der Instrumentalisierung linker Juden für die totalitäre (dieses Wort verwendet Jander nicht) Praxis des „Realen Sozialismus“ ist nur zum Teil richtig. Was Jander nämlich nicht sehen will ist, dass auch Juden zu Exponenten dieser sich antifaschistisch nennenden Diktatur zählten und folglich für alle Auswüchse dieser Diktatur, einschließlich der Verfolgung jüdischer Kommunisten und der Kriminalisierung Israels, mitverantwortlich waren. Das wird allerdings auch in der Ausstellung verschwiegen. Außerdem will Jander offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Juden die in die DDR kamen mehrheitlich kommunistisch orientiert gewesen sind und gerade deshalb in die Sowjetzone und später in die DDR kamen, um nämlich das sozialistische System mitzugestalten. Somit waren sie auch für die negativen Seiten dieses politischen Systems mitverantwortlich, auch dann, wenn sie nicht mit ihm vollständig übereinstimmten. Was Jander verschweigt, aber auch in der Ausstellung kein Thema ist, das ist die großzügige materielle und soziale Unterstützung der Juden in der DDR, sofern sie sich zu dem Staat loyal verhielten. Das muss der Vollständigkeit halber erwähnt werden, wenn zurecht kritisiert wird, dass die DDR an Juden und an Israel keine Wiedergutmachung gezahlt hat.
    Die von ihm lobend erwähnte frühere Ausstellung von Annetta Kahane kann man getrost vergessen. Sie war darauf fixiert nachzuweisen, dass die DDR von Anfang an und bis zuletzt rundweg antisemitisch gewesen sei, was so pauschal schlicht falsch ist. Das sage ich, obwohl ich selbst wegen „Staatsverleumdung“ in der DDR ein Jahr Haft verbringen musste. Dass die von Jander erwähnte Historikerin Karin Hartewig nicht zu den Kuratorinnen der Ausstellung zählte, muss man mit Bedauern feststellen, denn sie hat meiner Kenntnis nach das breiteste Hintergrundwissen, das zur Gestaltung einer Ausstellung über Juden in der DDR vonnöten gewesen wäre.