Ein Refugium für Reiche wird Grunewald genannt. Alfred Kerr der berühmte Theaterkritiker soll fünfundzwanzig Jahre im „Parkwald“ gewohnt haben. Ganz nebenher fällt bei ihm der Ausdruck „Millionärskaff“. Alfred Kerr flieht 1933 mit seiner Familie über die Schweiz und Frankreich nach England und kann sich retten.
Von Christel Wollmann-Fiedler
Ein schönes Bahnhofsgebäude wird von Architekt Karl Cornelius 1899 gebaut. Von diesem schönen Bahnhof wird in der Nazizeit die Reichsbahn jüdische Bewohner in den Osten deportieren. Bis 1942 hatten sie als Ziel die Ghettos Litzmannstadt (Łódź), Riga und Warschau, ab Ende 1942 wurden die jüdischen Bürger ausschließlich nach Theresienstadt und Auschwitz-Birkenau deportiert in die Gaskammern zum Töten. Heute erinnert Gleis 17 als Mahnung an die verheerende Geschichte von damals. Die Berlinbesucher und andere pilgern geradezu zu diesem Geis 17 in Berlin – Grunewald.
Vor dem Bahnhofsgebäude auf dem Vorplatz vor den grünen Büschen steht eine ausgediente Telefonzelle aus den 1970er Jahren, in der Bücher mit jüdischen Themen zum Lesen und Ausleihen, standen! Ja standen… In der Nacht vom 11. zum 12. August, vor Tagen, wurde diese Telefonzelle, die zur Bücherbox vor zwölf Jahren wurde, von einer unendlich bösen Hand, von einem bösen Menschen niedergebrannt. Eine hochkriminelle Tat ist hier verübt worden in einer modernen, demokratischen Welt. Ein wenig lesbar, halb verbrannt, ist ein Buchtitel zu erkennen „Verliebt in die Liebe“ vom Ullsteinverlag von Camilla Horn und einem Vorwort von Hermann Hesse. Alle anderen 300 Bücher stehen brikettähnlich im oberen Regal und 300 Autoren sind somit ebenfalls vernichtet worden.
Konrad Kutt, der Initiator der Bücherboxen in Berlin und Polen, kämpft beim Erzählen mit den Tränen und ist fassungslos. Sein Lebenswerk, das er mit Berufsschülern als Gesamtkunstwerk in den Jahren mühevoll aufgebaut hat, ist vernichtet worden von kriminellen Menschen ohne Hirn. Die Audiobox mit hebräischen Liedern und jüdischen Musikkompositionen von Tal Koch ist ebenfalls verkohlt und wird nie mehr einen auch nur leisen Ton von sich geben. Das Lebenswerk des 82jährigen Konrad Kutt und die Erinnrungsstätte an die jüdische Welt, die bereits in den 1930er und 40er Jahren des vorigen Jahrhundert zerstört wurde, liegt in Schutt und Asche in Grunewald vor dem Bahnhof als wäre eine Bombe eingeschlagen. Man wird an die verkohlten Wohnhäuser in der Ukraine erinnert.
Ein kruder Text, ein ideologischer, ein verlogener, der vor Dummheit strotzt und antisemitischem Hintergrund wird an der Telefonzelle gefunden. Die Tat erinnert an die Bücherverbrennung der Nazis im Mai 1933. Ein Szenario zum Weinen.
Auch bei dieser Hitze, bei über 30 Grad in Grunewald, pilgern tapfere und interessierte Menschen den Fußweg herauf zum Gleis 17. Die verkohlte, schwarze Bücherbox bleibt links liegen…
Mittlerweile wurde ein 63-Jähriger für die Tat verhaftet. Er hatte zudem einen Brandsatz auf das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Tiergarten geworfen und die Räume eines Vereins lesbischer Frauen in Brand gesetzt.