Vor genau 90 Jahren verbrannten nationalsozialistische Studenten überall in Deutschland die Werke von ihnen unliebsamen Autoren. Vor allem auf die Bücher jüdischer Autoren hatten sie es dabei abgesehen. Aber der 10. Mai 1933 markiert mehr als nur eine makaber anmutende Inszenierung des NS-Regimes.
Von Ralf Balke
Spontan war die Aktion nicht, die sich da vor den Augen unzähliger Schaulustiger in Deutschland abspielte. Denn als am 10. Mai 1933 in Berlin sowie anderen Orten nationalsozialistisch gesinnte Studenten Tausende von Büchern aus öffentlichen und privaten Bibliotheken auf zentrale Plätze karrten, um sie dort unter großem Gejohle zu verbrennen, war das alles von langer Hand geplant. Bereits am 2. April 1933, also unmittelbar nach dem von den Nationalsozialisten organisierten Boykott jüdischer Geschäfte, hatte die seit 1931 vom NS-Studentenbund dominierte Deutsche Studentenschaft an der Choreographie gefeilt und am 6. April 1933 die Einzelstudentenschaften an den verschiedenen Universitäten in einem Rundschreiben über die bevorstehende Aktion informiert.
„Die Deutsche Studentenschaft plant anläßlich der schamlosen Greuelhetze des Judentums im Ausland eine vierwöchige Gesamtaktion gegen den jüdischen Zersetzungsgeist und für volksbewußtes Denken und Fühlen im deutschen Schrifttum“ hieß es darin. „Die Aktion beginnt am 12. April mit dem öffentlichen Anschlag von 12 Thesen, >Wider den undeutschen Geist< und endet am 10. Mai mit öffentlichen Kundgebungen an allen deutschen Hochschulorten.“ In einer ersten Phase bemühte man sich um Beiträge prominenter sowie nationalistisch gesinnter Autoren, die darin ihre „Einstellung zum deutschen Schrifttum“ ausformulieren sollten – die Resonanz fiel jedoch äußerst dürftig aus. Die zweite Phase war aber ganz anderer Natur. Unter der Losung „Der Staat ist erobert. Die Hochschule noch nicht! Die geistige SA rückt ein. Die Fahne hoch“ initiierte man einen flächendeckenden Boykott jüdischer Professoren sowie aller Hochschulmitarbeiter, die im Verdacht standen, politisch links, liberal oder irgendwie nicht konform mit dem neuen Regime zu sein. Für viele Universitätsmitarbeiter bedeutete dies, nicht nur einen leeren Hörsaal vorzufinden, sondern an Leib und Leben bedroht zu werden.
Studenten wurden zudem seit dem 26. April 1933 aufgefordert, die eigenen Buchsammlungen oder auch die ihres sozialen Umfelds auf „schädliche“ Bücher hin zu prüfen und zu säubern. Das galt ebenfalls für die Bestände der Universitätsbibliotheken, öffentlichen Büchereien sowie Buchhandlungen. Ab dem 6. Mai steigerte sich das Ganze, in dem man die indizierten Bücher gezielt zusammentrug und abtransportierte. In Berlin beispielsweise zerstörte man an diesem Tag die gesamte Bibliothek des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld. Die dritte und zugleich bekannteste Phase sollte dann die sogenannte „Hinrichtung des Ungeistes“ sein. Die Deutsche Studentenschaft kündigte an, dass an allen Hochschulen am 10. Mai 1933 das „zersetzende Schrifttum den Flammen überantwortet“ werde. Propagandaminister Joseph Goebbels, der bei der Planung und Durchführung ebenfalls eine treibende Kraft war, deutete das Spektakel als einen befreienden Akt, bei dem „die Nation sich innerlich und äußerlich gereinigt hat“.
Vorab hatte die Deutsche Studentenschaft am 9. Mai 1933 sogenannte Feuersprüche versendet, die das Ritual begleiten sollten. Man konnte aus neun verschiedenen sich die gewünschten aussuchen oder gleich alle bei diesem makaberen Spektakel skandieren, beispielsweise: „Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky!“ Oder „Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, für verantwortungsbewusste Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard!“ Bei der Wahl der Bücher, die man vernichtete, hatte man es vor allem auf die Werke jüdischer Autoren wie Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger oder Sigmund Freud und Karl Marx abgesehen. Systemunkonforme Autoren wie Heinrich Mann, Erich Kästner oder Bertold Brecht hatte man aber ebenso im Visier wie die ausländischen Schriftsteller Jack London, Maxim Gorki oder Ernest Hemingway. In Berlin, wo Goebbels persönlich anwesend war, verbrannte man zudem eine Büste des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld.
Bereits vor dem 10. Mai 1933, und zwar schon Anfang März und im April war es in Dresden, Düsseldorf oder Magdeburg zu ersten, etwas unorganisierteren Bücherverbrennungen gekommen, nachdem man unter anderen die Bibliotheken von Gewerkschaften oder linker Parteien geplündert hatte. Und die Aktionen waren danach noch lange nicht vorbei. Weil es vielerorten regnete, wurden manche verschoben. Die letzte sollte am 21. Juni 1933 in Darmstadt stattfinden. Insgesamt sind 102 Bücherverbrennungen in über 90 deutschen Städten erfasst. Der 10. Mai 1933 hat sich aber nicht zuletzt deswegen als Erinnerungstag etabliert, weil es vom Opernplatz in Berlin, dem Ort des Geschehens, eine erhalten gebliebene aufgezeichnete Radioübertragung mit dem genauen Wortlaut gibt. Auch soll es dort mehr als 70.000 Schaulustige gegeben haben. Und während die bereits gleichgeschaltete deutsche Presse das Spektakel feierte, zeigte man sich im Ausland entsetzt. Das amerikanische Nachrichtenmagazin „Newsweek“ schrieb von einem „holocaust of books“, das „Time Magazin“ nannte es einen „bibliocaust“.
Die genaue Zahl der im Frühjahr 1933 verbrannten Bücher ist nicht bekannt. Allein in Berlin sollen es über 20.000 gewesen sein. Aber die bereits zuvor von Studenten oder Bibliothekaren erstellten „schwarzen Listen“, die später offizielle Verwendung fanden, lassen die Dimensionen erahnen. 1935 umfasste die vorläufige „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, die in den Jahren danach ständig erweitert wurde, bereit 3.500 Einzeltitel. 1939 nannte diese sogar 4.175 Einzeltitel und 565 Verbote von Gesamtwerken. Und es waren nicht nur übereifrige Studenten, die sich an der Denunzierung und damit der Verfolgung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern beteiligen sollten. Manche Bibliotheken agierten ebenfalls im vorauseilendem Gehorsam. Und selbst der Börsenverein der Deutschen Buchhändler machte mit und veröffentlichte entsprechende Listen. Letztendlich trug die Bücherverbrennung mit dazu bei, dass mehr als 2.000 Autorinnen und Autoren ins Exil gingen, darunter so bekannte Namen wie Anna Seghers, Else Lasker-Schüler oder Arnold Zweig. Andere wie Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger, die sich diesem Zeitpunkt im Ausland befanden, begriffen spätestens am 10. Mai 1933, dass es keine gute Idee sein könnte, nach Deutschland zurückzukehren. Und Schriftsteller wie Carl von Ossietzky oder Erich Mühsam wurden verhaftet, gefoltert und letztendlich im KZ ermordet. Von Oskar Maria Graf ist sogar überliefert, dass er in der Wiener Arbeiter-Zeitung dazu aufgerufen hatte, seine Bücher ebenfalls zu verbrennen. Zuvor hatte er seinen Namen auf einer „weißen Liste“ entdeckt, in der die Nationalsozialisten Empfehlungen für lesenswerte Bücher gaben – auf keinen Fall wollte Oskar Maria Graf von den braunen Machthabern vereinnahmt werden.
Zugleich setzte sich das neue Regime mit der organisierten und öffentlichen Verbrennung von Büchern jüdischer sowie anderer, mit der Weimarer Republik assoziierten Autoren gegenüber der als „Systemzeit“ diffamierten publikumswirksam in Szene. Doch die „reinigenden Flammen“ markieren mehr als nur einen Bruch mit der Demokratie oder eine Abgrenzung zu Weimar. Denn das „jüdische Buch“ wurde auf diese Weise nun ganz offiziell zum „Volksfeind“ erklärt, wie es der Historiker Volker Dahm einmal auf den Punkt gebracht hatte. Und damit selbstverständlich auch ihre Urheber. Und was damals vor genau 90 Jahren geschah, war auch der erste Zugriff auf Bücherbestände, die sich im jüdischen Besitz befanden. Und es sollte nicht der letzte sein. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs glich das Ganze einem gigantischen Raubzug durch halb Europa. Mal wurden ganze Bibliotheken eingestampft, mal wurden als wertvoll betrachtete Bücher verkauft oder öffentlichen Büchereien zugeführt.
Aber es ging um mehr. „>Jüdische Bücher< waren auch Gegenstand einer nationalsozialistischen Strategie pervertierter Erinnerung“, weiß Markus Kirchhoff zu berichten. „Bestimmte Bestände wurden gezielt selektiert und geraubt, um spezielle Sammlungen zu begründen“, so der Leiter der Arbeitsstelle des Akademieprojekts >Europäische Traditionen – Enzyklopädie jüdischer Kulturen< am Simon Dubnow Institut in Leipzig. Selbsternannte Experten zur „Judenfrage“ bemächtigten sich der Buchbestände ihrer Opfer, um sie für ihre antisemitische Propaganda zu instrumentalisieren oder als Lehrmaterial für die Schulung von NS-Parteikader zu nutzen. „Nicht zuletzt ging es den Nazis dabei um den eigenen Ruhm“, so Kirchhoff. „Trophäen gleich, sollten sie nach der Verfolgung und Vernichtung der Juden ihre einstige Existenz bezeugen, mithin dem Gedächtnis einer, wie es hieß, >untergegangenen Rasse< dienen.“ Für eine künftige „Judenforschung ohne Juden“ wollte man sich ihre Wissensbestände aneignen, um sie dann im Rahmen der eigenen Ideologie umzudeuten und zu verwerten.
Im Exil jedenfalls hatte sich der 10. Mai bald schon als „Tag des verbrannten Buches“ etabliert, der an den Orten begangen wurde, wo sich verfemte Schriftstellerinnen und Schriftsteller wiederfinden sollten, beispielsweises in Paris, Prag oder London. In New York kam es anlässlich des 10. Jahrestages der Bücherverbrennung sogar zu einer Reihe von Veranstaltungen, die die New York Public Library auf die Beine gestellt hatte. Thomas Mann hielt an diesem Tag sogar eigens eine Rede, die von der BBC verbreitet wurde. Und in der Nachkriegszeit entstanden ganze Editionen, die sich den am 10. Mai 1933 verbrannten Werken widmen. Last but not least wird seit vielen Jahren am 10. Mai mit dem „Tag des freien Buches“ vielerorten der verbrannten Dichter gedacht, insbesondere anlässlich des 90. Jahrestags der Bücherverbrennung.
Bild oben: Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin am 10. Mai 1933, Foto: Bundesarchiv, Bild 102-14597 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0