„Der Jude Hirschburg hat Schmuckgegenstände abgeliefert“

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Am 13. April 1944 stirbt der Schauspieler, Regisseur und Autor Eugen Burg in Theresienstadt

Von Judith Kessler

Eugen Burg gehört zu den Unzähligen, die das Kulturleben vor dem »Dritten Reich« prägten und sterben mussten, weil sie jüdischer Herkunft waren. Wer ist dieser einst berühmte Mann, der heute nur noch als Nebenfigur auftaucht, wenn es um seine Tochter Hansi geht, die Jahrzehnte mit dem Filmstar Hans Albers liiert war?

Eugen Burg stammte aus einfachsten Verhältnissen. Sein Vater war Levi Louis Hirschburg, 1836 in Werben bei Stendal geboren, seine Mutter Libe Lina Hirsch, die 1841 in Zirke bei Posen geborene Tochter des Pferdehändlers Moses Michael Hirsch und der Johanna Meyer. Louis Hirschburg und Lina Hirsch haben 1868 in Berlin geheiratet. Im Jahr darauf kam ihr erster Sohn Moritz und 14 Monate später, am 6. Januar 1871, der zukünftige Schauspieler Eugen Burg zur Welt. Bis zur Geburt ihres dritten Sohnes Willy, 1876, sind die Hirschburgs – der Vater steht als Tapezier, Dekorateur und Möbelhändler im Adressbuch – dreimal innerhalb des armen Scheunenviertels umgezogen. Willy wurde nur drei Tage alt und tragischerweise starb drei Wochen später auch der Erstgeborene – und Eugen war wieder Einzelkind.

In den Bühnenlexika heißt es »Eugen Burg verließ in den 1890er-Jahren seine Geburtsstadt Berlin, um in Wien eine Bühnenlaufbahn einzuschlagen«, oder er sei dafür sogar von Zuhause ausgerissen. Die Berliner und Wiener Adressbücher sagen jedoch, dass die Familie bereits seit Eugens 9. Lebensjahr in Wien lebte. Möglicherweise hatte sie dort auf ein besseres Leben gehofft. Eugen geht hier auf das »k.k. Staatsgymnasium« im II. Bezirk und wohnt in der jüdischen Leopoldstadt, Große Schiffgasse 21, zur selben Zeit und im selben Haus wie das spätere »Wunderkind«, der Geiger Fritz Kreisler und sein Bruder Hugo, die Kinder des Arztes Samuel Kreisler, der Siegmund Freud behandelt hatte. Anders als deren Eltern gehörten Eugens Eltern auch hier weiter zu den »kleinen Leute«. Und offenbar konnte der Vater die Familie schwer ernähren und hat sein Glück immer wieder für längere Zeit anderorts versucht; denn die Hälfte alle Jahre ist im Adressbuch nicht Louis, sondern Lina Hirschburg verzeichnet, einmal sogar mit dem ungewöhnlichen Zusatz »Tapeziererin«.

Eugen (Hirsch)Burg wuchs in der Hauptstadt eines Vielvölkerstaates auf, in der Stadt der Operettenmelodien, aber auch der künftigen Geburtsstätte der Neuen Musik, des Jugendstils und der modernen Kunst. Er selbst begann 1888 Schauspielunterricht bei Maximilian Streben (eigentl. Skutezky) zu nehmen, dem Direktor des vormaligen »Niklastheaters«, der zur gleichen Zeit auch Max Reinhardt unterrichtete. Beide, Burg wie Reinhardt, waren nach einer Erinnerung von Max Blau zudem Teil einer Gruppe junger Theaterenthusiasten, die sich die »Leopoldstadtler« nannte und die Wiener Bühnen unsicher machte. Zu dieser Gruppe gehörte auch Emil Lind, mit dem Burg später in New York zusammenarbeitete sowie Luis Taufstein, mit dem zusammen er mehrere Theaterstücke schrieb.

1889 war es soweit. Eugen Hirschburg, dem das Rollenfach des jungen Liebhabers und Bonvivants besonders lag und der seinen Nachnamen zu »Burg« verkürzt hatte, gab im böhmischen Kurort Franzensbad sein Bühnendebüt – als »Max von Thürmer« in Theodor Herzls »Die Wilddiebe« über die amourösen Abenteuer dreier Männer in einem Ostender Hotel. Während Herzl in den folgenden Jahren vom mäßig erfolgreichen Lustspielautor zum Vordenker des politischen Zionismus wurde, stand Burg als Schauspieler auf k.u.k.-Provinzbühnen – u.a. in Reichenberg, Bielitz, Bad Ischl und Troppau – und trat irgendwann in dieser Zeit zum Protestantismus über. Möglich, dass ihn auch Zeitungsmeldungen, wie eine, in der er »als Wiener Jude« geschmäht wurde, dazu bewogen haben. Seine Eltern sind dem Judentum im übrigen bis zum Ende treu geblieben, sie wurden beide auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee beigesetzt.

Nachdem Burg 1893 noch kurz am Wiener Jantsch-Theater engagiert war, folgte er im Sommer 1894 dem Ruf von Otto Brahm, der gerade die Leitung des Deutschen Theaters in Berlin übernommen und im gleichen Jahr auch Max Reinhardt in sein Ensemble geholt hatte. Eugen Burg erregte u.a. Aufmerksamkeit mit der Rolle des »Franz Ferner« in Anzengrubers Volksstück »Der Meineidbauer«, in Hauptmanns »Die Weber«, und als »Osrick« im »Hamlet«, blieb aber nur zwei Jahre in seiner Geburtsstadt und wechselte zur Spielzeit 1896/97 nach Brünn.

Hier lernte er Emma Anna Raabe kennen, die sich als Sängerin »Emmy« Raabe nannte und als Koloratursopranistin am Stadttheater Brünn beschäftigt war. Die beiden heirateten 1897. Und wechselten zur nächsten Spielzeit ans Wiener »Raimund Theater«: »Gleich in seiner Antrittsrolle«, schreibt 1903 ein Bühnenlexikon, » erkannte man in ihm den gewandten, talentierten Schauspieler, der sich nicht an Muster und Vorbilder hält, sondern seinen eigenen sicheren Weg geht, der fast ausschließlich zum Erfolg führt. (…) Seine vornehme Art, seine unbedingte Eleganz, sein kluges, durchdachtes Spiel, warben ihm rasch Freunde und Erfolg folgte auf Erfolg«.

Offenbar war man auch in Hamburg auf ihn aufmerksam geworden. Denn nach drei Jahren wurde Burg zur Eröffnung des Deutschen Schauspielhaus in die Hansestadt verpflichtet, wo er als »Erich Goßler« in »Jugend von heute« debütierte und als »Osvald Alving« in Ibsens »Gespenster« und galanter »Assessor Brack« in »Hedda Gabler« brillierte.

Zwischenzeitlich hatte das Ehepaar Hirschburg/Raabe an den Orten seines Engagements auch zweimal Nachwuchs bekommen. Der ersten Tochter, 1898 noch in Wien geboren, gaben sie den treudeutschen Namen Wilhelmine Alexandrine Hansi Antoinette. Die zweite, 1901 in Hamburg geboren, nannten sie Stephanie-Marie. (Die Schauspielerin Rita Burg, die dem Ehepaar in vielen Bühnenlexika als dritte Tochter »untergejubelt« wird, ist hingegen nicht mit ihnen verwandt.)

Nun pendelten sie zur Viert weiter. Max Reinhardt, der inzwischen das »Kleine Theater Unter den Linden« und das »Neue Theater« am Schiffbauerdamm« leitete, holte Burg für die Spielzeit 1904/05 nach Berlin und nach weiteren zwei Jahren am Hamburger »Carl Schultze-Theater« bestieg die ganze Familie 1907 in Cuxhaven die »SS Graf Waldersee« in Richtung New York, wo Eugen Burg zunächst Schauspieler und Oberregisseur am »Deutschen Theater« und zuletzt dessen Direktor wurde, während seine Frau ausgedehnte Konzertreisen unternahm. Nachdem Burg anschließend noch kurz am »Düsseldorfer Schauspielhaus« war, ließ er sich mit seiner Familie 1910 dauerhaft in Berlin nieder.

Während seine Eltern, die bereits um 1900 wieder zurück nach Berlin gezogen waren, nun wieder und bis zu ihrem Lebensende – Louis starb 1924 und Lina 1932 – in der armen Gegend um den Alexanderplatz im Ostteil Berlins in einer Hinterhof-Wohnung lebten, wohnte der Schauspieler mit seiner Familie im boomenden Westen – in Straßen links und rechts vom Kurfürstendamm, erst in der Bregenzer Straße, dann in der Mommsenstraße, schließlich in der Albrecht-Achilles-Straße.

Anfangs war das nahe »Neue Schauspielhaus am Nollendorfplatz« seine Bühnenheimat. Eugen Burg war jetzt 40 Jahre alt und spielte nicht mehr die Liebhaber, sondern trat nun als Architekt, Schriftsteller, Abgeordneter oder Kapitalist auf, und meist in Lustspielen. In den folgenden zwei Jahrzehnten wird er quasi auf jeder Berliner Bühne zu sehen sein, am »Trianon-Theater« bzw. »Residenztheater«, an den »Rotter-Bühnen«, am »Lessing-Theater«. Er führte vielfach gleichzeitig die Regie, so wie in »Sturmidyll« mit Ida Wüst, einem Lustspiel des später ebenfalls ermordeten Fritz Grünbaum im »Theater an der Königgrätzer Straße«, war eine Zeit lang Oberspielleiter am »Theater in der Behrenstraße« und machte sich zusammen wie seinen Wiener Freunden Louis Taufstein und Otto Härtling als Lustspiel-Autor einen Namen (u.a. »Herrschaftlicher Diener gesucht, »Alles aus Gefälligkeit«, »Der geschiedene Mann«, »Wo die Liebe hinfällt«, »Ausgerechnet Carotti«, »Ohne Geld geht’s auch«).

Wir wissen nicht, wie Eugen Burg die radikalen Umbrüche in der Gesellschaft, die in diesen Jahren stattgefunden hatten, wahrgenommen hat: Erster Weltkrieg, Novemberrevolte, Abdankung des Kaisers, Weimarer Republik, Hyperinflation… Bekannt ist nur, dass er sich zeitlebens für die Interessen seiner Bühnen-Kollegen und -Kolleginnen engagiert hat. Er war aktives Mitglied der Bühnengenossenschaft, 1921 Mitbegründer und Vorsitzender einer Vereinigung für Bühnenkünstler als Alternative zu ihr, Vorstandsmitglied der Pensionsanstalt deutscher Bühnenangehöriger, und er sammelte und spendete für bedürftige Kollegen bei Versammlungen, in den Theater und auch anlässlich seiner Bühnenjubiläen.

Berlin war das Epizentrum neuer Kunst- und Experimentierformen, kleine Theater und Kabaretts schossen wie Pilze aus dem Boden. Die neuen Stars hießen Toller, Piscator, Waldoff oder Hollaender. Burg scheint auf der Bühne eher dem klassischen Repertoire treu geblieben zu sein, aber versuchte sich auch am neuen Medium Film. 1914 stand er zum ersten Mal vor der Kamera, zunächst in Stummfilmen von Max Mack wie »Robert und Bertram«, in der auch Ernst Lubitsch als Kommis Max Edelstein zu sehen war, in dem Kurzfilm »Nahira« mit Tilla Durieux und in der äußerst beliebten »Sherlock-Holmes«-Reihe, in der er in »Das dunkle Schloss« 1915 den »Meisterdetektiv« spielte. Es folgten zig weitere Stummfilme, bei denen er in 18 Fällen auch Regie führte. Zu seinen bekanntesten Arbeiten als Darsteller zählen »Fridericus Rex« (1921, mit Otto Gebühr), das Melodram »Violet« (1921, mit Olga Tschechowa), »Alt Heidelberg« (1923) oder »Kukuli« (1926, mit Carola Neher). Seine letzten Film-Auftritte hatte er in Erich Waschnecks Romanze »Unmögliche Liebe« (1932, mit Asta Nielsen) und in dem Kurzfilm »Meine Frau – seine Frau« (1933).

Die erstgeborene Tochter der Burgs, Hansi, war in die Fußstapfen ihres Vaters getreten. 1919 traten sie in die »Das Abenteuer der Bianetti« zum ersten Mal zusammen in einem Film auf, und bald auch im Theater. Im selben Jahr, Hansi wohnte noch bei den Eltern in der Mommsenstraße, heiratete sie einen Kollegen, Leopold Kittay, der in Stummfilmen und unter dem Namen Lo-Kittay als Illusionist und Hypnotiseur auftrat und zog mit ihm zusammen in die Uhlandstraße. Eugen Burg und der Konzertdirektor Erich Sachs waren die Trauzeugen. Doch die Ehe hielt nicht lange, schon Anfang 1921 folgte die Scheidung.

Zwischenzeitlich hatte sich auch der junge Hans Albers, der die Burgs schon aus Hamburg kannte, in Berlin niedergelassen. Eugen Burg nahm sich des noch unbekannten Mimen an und brachte ihn seinen Produktionen und denen seiner Kollegen unter.  Hans Albers: »Wir haben lange Nächte dagesessen und über unsere Rollen diskutiert und ich habe mit ganzem Respekt zugehört, was mir dieser erfahrene Mann zu sagen hatte. Nimm mal meine Schauspiellehrer aus, so habe ich von Burg sicherlich die meisten Berufstricks gelernt.«

Hansi Burg, die offiziell weiter Kittay hieß, und am Theater gemeinsam mit Tilla Durieux und Adele Sandrock (die mit den Burgs eng befreundet war) engagiert war, lernte Albers näher kennen, als sie 1922 beide in einer der Nelson-Revuen im Theater am Kurfürstendamm auftraten, für die Kurt Tucholsky die Texte geschrieben hatte. Hans Albers und Hansi Burg wurden ein Paar, und spielten dann zusammen auch in Eugen Burgs Lustspiel »Ein Fehltritt« und alle drei 1925 in »Die Alarmglocke«, einem Stück, bei dem Burg auch Regie führte, der dann 1927 auch noch in der Komödie »Eine Dubarry von heute« zusammen mit Albers auftrat.

1928 wurde Hans Albers über Nacht berühmt. Weil kurz vor der Premiere ein Schauspieler abgesprungen war, bekam er dessen Rolle in dem Stück »Die Verbrecher« am Deutschen Theater unter dem Intendanten Max Reinhardt und konnte sich danach kaum noch vor Angeboten retten. Doch als der Erfolg für ihn kam, gab Hansi Burg ihre Karriere auf, um sich der seinen zu widmen. Und ihr Vater Eugen wurde von seinem Sponsor zu seinem Protegé. In seinem ersten Tonfilm »Der Greifer« spielte er neben Hans Albers einen Chefinspektor bei Scotland Yard. Doch spätestens danach dürfte eher der inzwischen zum Superstar avancierte Albers seinem quasi-»Schwiegervater« zu (Neben-)Rollen verholfen haben (so in »Der Sieger« und zuletzt in »Der weiße Dämon«.)

1924 starb Eugen Burgs und Emmy Raabes jüngere Tochter, die »Kontoristin« Stephanie Hirschburg mit 22 Jahren und sein Vater Louis mit 87 Jahren. Drei Jahre später, im Juli 1927, starb auch seine Frau Emmy. 1928 zog Burg in eine 5-Zimmer-Wohnung in der Albrecht-Achilles-Straße 5 und heiratete wieder: die 44-jährige kinderlose jüdische Witwe Antonie Wetzlar, genannt »Toni«. Die hatte nach dem Tod ihres ersten Mannes seine Firma »Arnold Selig & Co« übernommen, die Unter den Linden 16 »Herrenkleider« schneiderte. Vielleicht war der Schauspieler ja einer ihrer Kunden…

1931 wurde Eugen Burg 60 Jahre alt, Anlass für große Feiern und viele Glückwünsche: sein Co-Autor Louis Taufstein wünschte aus Wien klassisch jüdisch: »…bis zu 120 Jahren!«; Hans Albers entschuldigte sich auf einem blumenumrandeten Telegramm, dass er wegen einer Generalprobe nicht kommen könne; der Vorstand des Deutschen Bühnenklubs schickte Blumen, bedankte sich für seine immer tatkräftige Unterstützung und wünschte sich selbst: »… dass wir immer sagen können: Auch Eugen Burg ist unser Mitglied!« Max Reinhardt kabelte, dass er sich an ihre gemeinsame »zauberhaft bunte und jugendseelige« Wiener »graue Vorzeit« erinnere, und die spätere »fruchtbare« Zusammenarbeit in Berlin« und »von Herzen« grüße. Kurt Tucholsky aka »Peter Panter« lobte Burg mit einem längeren Beitrag in der »Weltbühne« als einen Künstler, der sein Handwerk verstehe, Charme habe, glaubhaft sei, ein Schauspieler mit Leib und Seele, zudem nett, und kein Fatzke, sondern ein Herr.

Und schließlich ließen ein paar Spaßvögel ein »11-Uhr-Abendblatt« drucken, in dem sie u.a. ankündigten, dass die Pekingfliegerin Amy Johnson und der afghanische König Amannullah (der 1928 als erstes Staatsoberhaupt nach dem Ersten Weltkrieg Berlin besucht hatte) zur Ehrung des Jubilars nach Berlin zurückkehren, das Rheinland jede Burg festlich illuminieren, Remarque ein neues Werk mit dem Titel »Im Westen endlich ’mal etwas Neues!« verfassen, das Burgtheater in Eugen-Burg-­Theater umgetauft, der Kirchgesang in »Ein Eugen Burg ist unser Gott« korrigiert und die Sowjets den Bolschewismus abschaffen und »B(o)urgeois« werden würden.

Vier Jahre später ist all das vorbei. Zuletzt war Burg wieder am »Theater in der Behrenstraße«, wurde in Komödien wie »Ehe in Dosen« als Partner von Trude Marlen gefeiert, und trat im Lustspiel »Hau-ruck!« sowohl als Mime als auch Regisseur in Erscheinung. Doch im Januar 1933 waren die Nazis legal an die Macht gekommen. In kürzester Zeit waren die demokratischen Instanzen ausgehebelt. Bevor es noch um seine jüdische Herkunft ging, wurde ihm offenbar schon seine österreichische Vergangenheit zum Verhängnis. Das lässt sein Gedicht »Notschrei eines deutschen Schauspielers!« vermuten, das noch 1933 oder 1934 in einer Zeitung abgedruckt wurde und das Bezug auf die »Spio«, die 1933 gleichgeschaltete Spitzenorganisation der Filmwirtschaft und auf die »Kontingentstelle« der Reichsfilmkammer nimmt, die nun »ausländische« (so auch jüdische und österreichische) Filme auf den Index setzte: 

Urgroßvater kam in Preußen schon zur Welt, / Großvater ist hier in Berlin geboren, / Der Vater wurde auch hier hergestellt, / Und ich hab’ zur Geburt Berlin mir auserkoren! / Was Vater, Mutter fertig nicht gebracht,  / Hat mir die Spio-Liste angetan, / Sie hat nen Wiener nun aus mir gemacht, / Was fang’ ich armer Teufel an? / Ich bin Berliner, kann schon sagen »Ur«  / Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben! / Von Oesterreicher wirklich keine Spur  / Und wegen Kontingent soll ich nun darben? / Ich schrei` es allen in die Ohren… / Direktor, Regisseur und Dramaturg / Ich bin hier in Berlin geboren, / Ich bin ein Deutscher! / Eugen Burg.«

Im Juni 1935 war Eugen Burgs Karriere, wie die aller Anderen mit jüdischen Wurzeln endgültig zu Ende. Der »Volljude«, der an insgesamt 88 Lang- und Kurzfilmen mitgewirkt und 47 Jahre lang Theater gespielt hatte, der sich sein Leben lang um die Anerkennung der beruflichen Leistungen seiner Zunft und des Schauspielerberufs bemüht hatte, wurde aus der Reichstheaterkammer und der Reichsfilmkammer ausgeschlossen und bekam Berufsverbot.

Die Wertschätzung für Burg, aber vielleicht auch den Umstand, dass die Ausgrenzung der Juden zu diesem Zeitpunkt erst noch im Werden war, zeigt ein Schreiben des Deutschen Bühnenklubs vom 30. Juni 1935, in dem ihm dessen Vorstand für sein fast 50-jähriges Wirken warm dankt und das Ende seiner Tätigkeit bedauert.  Wie unrealistisch Eugen Burg seine eigene Position und die kommende Art des »Deutschseins« einschätzte, aber auch, wie er sein erzwungenes Ausscheiden in einen freiwilligen Beschluss ummünzte, mag sein Antwortschreiben vom selben Tag illustrieren, in dem er dem Klub überschwänglich dankte und – im Original unterstrichen – seinen Nationalstolz und den Stellenwert einer »Deutschen Bühne« betonte: »Stets war ich ein sozial eingestellter, national empfindender, »deut­scher« Künstler und es erfüllt mich mit ganz besonderer Befriedigung, dass es mir vergönnt ist, als »Deutscher Schauspieler«, aus eigenem Willen, meine Laufbahn zu beschliessen. (…) Bis zum letzten Atemzuge gehört mein Denken und Fühlen der »Deutschen« Bühne… Ich habe die frohe Hoffnung, dass die Deutsche Bühnenkunst stets die führende Stellung in der Welt einnehmen wird.«

Eduard von Winterstein, der auch den Brief an Burg unterzeichnet hatte, drückte es in seiner Rede auf der letzten General-Versammlung des Deutschen Bühnen-Klubs elf Tage später unverblümter aus. Er sprach von einem »unerwünschten Abschluss« eines reichen Bühnenlebens, aber erkannte  wohl auch nicht ganz die »Zeichen der Zeit«, als er sagte: »Der Dank der gesamten deutschen Schauspielerschaft ist ihm sicher.«

Wie sicher dieser »Dank« war, zeigte sich bald. Am 15. September 1935 war das »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« erlassen worden. Am 28. November 1935 meldete das Pariser Tageblatt: »Nun ist auch der letzte nichtarische Schauspieler Berlins, Eugen Burg, den Nichtarier-Gesetzen zum Opfer gefallen. Burg war bis zuletzt bei Ralph Arthur Roberts im »Theater in der Behrenstrasse« tätig und konnte sich halten, weil sein Komiker-Direktor mit hohen Parteistellen gut Freund war und weil Burgs Tochter bekanntlich die Frau von Hans Albers ist. Drei Jahre lang hat Eugen Burg vermocht, seine Position zu halten, ohne jemals ein Hehl aus seiner jüdischen Abstammung zu machen; nun wurde er zur Strecke gebracht…«

Zwar empörte sich der im Artikel erwähnte Hans Albers, der Eugen Burg nun wirklich zu besonderem Dank verpflichtet war, hatte der doch seine Karriere befördert: Er mied zum Beispiel den Klub der »Kameradschaft deutscher Künstler«, nachdem man seinem Quasi-Schwiegervater dort den Eintritt verwehrt hatte. Er hatte ein Haus für sich und Hansi am Starnberger See gekauft, in dem sie beide lebten, obwohl er aufgefordert worden war, sein Verhältnis mit Hansi Burg zu beenden und im Oktober 1935 an Joseph Goebbels geschrieben hatte, er habe die persönlichen Beziehungen zu ihr gelöst. Er hat eine Scheinehe für Hansi mit dem Norweger Erik Andreas Blydt arrangiert, die ihr ermöglichte, Anfang Januar 1939 mit ihrem neuen norwegischen Pass nach London zu entkommen. Er drehte weiter umjubelte UFA-Filme und erzielte Höchstgagen, hielt sich aber im Gegensatz zu den allermeisten anderen, die etwas waren oder werden wollten im Kulturbetrieb, von der Nazi-Prominenz fern, besuchte keine Empfänge von NS-Größen und ließ sich nicht mit ihnen ablichten (weil er sich selbst für den Größten hielt, wie manche behaupten). Aber für seine verfolgten jüdischen Kollegen, hier im Speziellen für Eugen Burg, hat der »Staatsschauspieler« anscheinend keinen Finger gerührt.

Hans Albers schwieg. Politisch kaum belastet, konnte er seine Laufbahn nach dem Zusammenbruch Nazi-Deutschlands nahtlos fortsetzen. Auch Hansi Burg, die ihre Karriere wegen Albers aufgegeben hatte, um ihn groß zu machen, kehrte 1946 nach Deutschland und zu Albers zurück, und blieb, auch wenn er sie nie geheiratet hat, bis zu seinem Lebensende bei ihm. Sie hatten beide viel zu verdrängen. Nach allen bisherigen Erkenntnissen hatte ihr Liebster weder sie in ihrem Londoner Exil unterstützt, noch ihrem Vater geholfen, seinem Mentor und Vorbild. Albers hat sich selbst genügt, viel getrunken und ausgeblendet. Auch, ob Hansi Burg von London aus mit ihrem Vater korrespondiert oder versucht hat, ihn und seine Frau herauszuholen, ist nicht bekannt. In den Interviews, die sie nach dem Krieg gegeben hat, kommt der Nationalsozialismus und die Ermordung ihres Vaters nicht vor.

Es ist schwer zu sagen, wie Eugen und Antonie Burg nach der Emigration Hansis zunächst weitergelebt haben. Es gibt nur Puzzleteile. Schon 1935 hatten die beiden Antonies Geschäft »Arnold Selig & Co« unter Wert an ihren ehemaligen Zuschneider, einen Arier verkaufen müssen. In der 1938er-Ausgabe des Berliner Adressbuches war »Burg, Eugen, Schauspieler« zu »Hirschburg, E., Privatier« geworden. Die Nazis hatten ihm nicht nur den Beruf genommen, sondern auch den Namen, unter dem er berühmt geworden war. 1939 und 1940 führt ihn das Verzeichnis wie alle, die nach NS-Kategorien jüdisch waren, mit dem Zusatznamen »Israel« auf. Dann enden die Einträge. Eugen Burg war nun auch kein Haushaltsvorstand in der Albrecht-Achilles-Straße mehr; nur die registriert das Adressbuch.

Die namentliche Abstempelung und der Zwangsverkauf des Geschäftes war jedoch nur der Auftakt der Beraubung und Vernichtung. Die Wiedergutmachungsakten liefern weitere Schlaglichter. Hansi Blydt (Burg) sowie die Nichte und der Neffe von Antonie Hirschburg haben nach dem Krieg Entschädigungsanträge gestellt, in denen es nicht nur um den Zwangsverkauf der Firma »Selig & Co« und ein Grundstück Hansis ging, sondern auch um beschlagnahmtes Mobiliar und Bankvermögen des Ehepaars Burg. Die Beiden hatten ja nicht nur die »Reichsfluchtsteuer« zu entrichten, wozu sie nach Angaben der Commerzbank Wertpapiere in Höhe von 17.100 RM veräußert hatten, sondern wurden. wie alle als Juden geltende Personen, vorher schon gezwungen, beispielsweise Fahrräder, Radioapparate, Pelze und ihren Schmuck abzuliefern.

Hansi Blydt erklärt 1956 dem Entschädigungsamt: »(…) Mein Vater (…) war sehr gewissenhaft und kam der internen Auseinandersetzung in der Familie voraus, weil ich der Meinung war, dass man den Schmuck wenigstens teilweise verbergen könnte. Mein Vater erklärte, dies sei nicht möglich, weil der gesamte Schmuck bereits in einer schon vorher im Jahre 1938 durchgeführten Meldung jüdischen Vermögens mit aufgenommen worden war. (…)  Er zeigte mir auch einen Zettel, den er als eine Art Quittung erhalten hatte und auf dem lediglich zu lesen stand: »Der Jude Hirschburg hat Schmuckgegenstände abgeliefert.«

Die überlieferten Akten zur »Wiedergutmachung« sind im Übrigen exemplarisch für die gesamte unwürdige Entschädigungspolitik der frühen Bundesrepublik. Im Fall Eugen Hirschburg zog sich der Hickhack über zwanzig Jahre hin, dank immer wieder neuer Versuche der Behörden, um Zahlungen ohnehin lächerlicher Summen herumzukommen, etwa mit dem Argument, die Schmuck-Abgabestelle hätte sich in Berlin-Ost befunden, und daher sei man nicht zuständig, genauso wenig wie für Gelder, die Eugen Burg an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland hatte überweisen müssen, wenngleich nur das »Reich« über deren Konten verfügten konnte.

Ein anderer Mosaikstein über die letzten Lebensjahre der Burgs sind die herzzerreißenden Absagen, die Eugen Burg in dieser Zeit als Reaktion auf seine Bettelbriefe an emigrierte Kollegen in den USA, auch ihm und seiner Frau mit einer Bürgschaft die Emigration zu ermöglichen, bekommen hat:

Ernst Lubitsch antwortete ihm am 27.September 1938: »Es faellt mir unendlich schwer Ihnen leider eine negative Antwort senden zu muessen. Wie Sie sich wohl denken koennen werde ich von allen Seiten mit gleichem Anliegen ange­gangen. Man moechte allen helfen – aber es ist doch nicht moeglich.«

Max Reinhardt schrieb am 3. Oktober aus Hollywood: »Ihre Sache und Ihre nur allzubegreiflichen Wuensche gehen mir durchaus nahe. Ich will selbstverstaendlich alles tun und nichts unterlassen, was nur irgendwie in meinen Kraeften steht. Diese sind leider sehr begrenzt … Es waere mir heute ganz unmoeglich, den geforderten Nachweis zu erbringen, dass ich mit eigenen Mitteln fuer die Existenz einer anderen Familie einstehen kann.«

Dann folgte die Absage der Opernsängerin Dorothee Manski: »… die Sache liegt nun leider so, dass ich alle meine reichen Freunde schon xmal in Anspruch genommen habe, und dass infolgedessen alle schon etwas muede sind. …Was den Kontrakt betrifft, so habe ich leider gar keine Beziehungen, die Ihnen nuetzlich seien koennten.«

Die letzten negativen Antworten aus New York kamen im Januar 1939. Am 1. Januar schrieb der Opernsänger Emanuel List: »…leider kann ich Ihnen bei bestem Willen nicht dienlich sein. Erstens bin ich mit dem Export meiner zahlreichen Angehörigen in Deutschland und Ungarn vollauf beschäftigt und in Anspruch genommen, und zweitens fehlen mir in die Kreise, die Ihnen beruflich wichtig sind, die massgebenden Verbindungen. «  Und am 20. Januar begann der Dirigent Artur Bodzanzky seinen Brief:  »…will Ich Ihnen gleich sagen, dass es mir selbst, zu meinem aufrichtigen Bedauern nicht möglich ist, Ihnen das Affidavit zu schicken …«.

Bei einige Autoren heißt es, Burg sei wie Kurt Gerron nach Holland geflohen und nach dem deutschen Einmarsch festgenommen worden. Das ist höchst unwahrscheinlich. Zum einen, weil er dann wie Gerron in Westerbork interniert und von dort aus deportiert und nicht als »freier Mann« nach Berlin zurückgeschickt worden wäre. Zum anderen, weil er in diesem Fall vor dem Einmarsch der Deutschen am 10. Mai 1940 in Holland hätte gewesen sein müssen. Er saß aber nachweislich am 2.Oktober 1940 noch in seiner Wohnung in der Albrecht-Achilles-Straße (und hat einen erhalten gebliebenen Brief verfasst, in dem er Kollegen zu einem Treffen in seine Wohnung einlud).

Andernorts ist hingegen zu lesen, das Ehepaar Burg sei beim Versuch ins Ausland zu fliehen gefasst worden oder/und erst nach Mai 1942 geflohen, da noch eine letzte Postkarte Eugen Burgs an den Berliner Theaterwissenschaftler Martin Sarneck aus dem Mai 1942 existiert. Doch die Schweiz als einziges neutrales Land weit und breit, war zu diesem Zeitpunkt bereits von den Achsenmächten umzingelt, ließ ab Sommer 42 niemanden mehr ins Land und welchen Sinn hätte es gehabt, ohne Geld in der Tasche und in ein besetztes Land wie die Niederlande zu fliehen, in dem Juden genauso Freiwild waren wie in Deutschland?

Für keine der Versionen sind Belege zu finden. Da sie aber nicht völlig aus der Luft gegriffen sein dürften, ist denkbar, dass die Burgs zumindest eine Flucht geplant haben oder dass sie einen Fluchtversuch abgebrochen hat. Denn aus der Polizeikartei geht hervor, dass das Ehepaar nach seiner Vertreibung aus der Achilles-Straße zunächst in Schöneberg, Bamberger Straße 49, zur Untermiete lebte (wie übrigens auch die Fotografin Yva, bevor sie im Juni 42 verhaftet und nach Sobibór deportiert wurde), und dass es von dort am 3. September 1942 in die Pariser Straße 32 umgezogen ist. Zur selben Zeit lebten 53 Personen, von denen fast alle ermordet wurden, unter dieser Hausnummer, die meisten in der »Pension Bernhard«. Aus der Mitteilung eines Rechtsanwalts in der Wiedergutmachungsakte lässt sich entnehmen, dass auch die Burgs mit dem Teil ihres Mobiliars, das noch nicht beschlagnahmt (und für 360 RM verschleudert) worden war, in ein leeres Zimmer eben dieser Pension gezogen sind. Die Pariser Straße ist ihre letzte Berliner Adresse – mit ihr stehen sie auch auf der Transportliste nach Theresienstadt: »83. Alterstransport« vom 28. Januar 1943.

Gipfel des Zynismus war, dass alle, die nach Theresienstadt deportiert werden sollten, vorher gezwungen wurden, einen »Heimeinkaufvertrag« für die Kosten im Lager abzuschließen. Konkret: sie mussten einen Teil oder auch ihr gesamtes verbliebenes Vermögen auf Konten die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, die aber nur als »Mittlerstelle« für die Geheimen Staatspolizei fungierte, übertragen. Im Fall von Eugen und Antonie Burg handelte es sich dabei um über 50.000 RM, die bis und kurz nach ihrer Deportation vom Regime eingezogen wurden.

In Theresienstadt könnte Eugen Burg noch einmal auf seinen Kollegen Kurt Gerron getroffen sein. Gerron und seine Frau Olga waren im Februar 1944 aus Westerbork nach Theresienstadt deportiert und erst nach Abschluss der Dreharbeiten zu Hitlers Propagandafilm »Der Führer schenkt den Juden eine Stadt« mit dem letzten Transport weiter nach Auschwitz geschickt worden, wo sie am 30. Oktober 1944 vergast wurden.

Antonie Burg starb hingegen bereits im Dezember 1943 im Alter von 60 Jahren, nach zehn Monaten im »Paradies« Theresienstadt (nach der erhaltenen Originalkarteikarte wurde sie am 8. Dezember 1943 kremiert). Eugen Burg, inzwischen 73 Jahre alt und fast vollständig erblindet, war nun auf sich allein gestellt. Er folgte Antonie vier Monate später, laut Sterbeurkunde am 13. April 1944 um 12 Uhr.

Hansi Burg, bis 1946 in London, hat vom Tod ihres Vaters und seiner Frau möglicherweise erst durch ihren Lebensgefährten Hans Albers erfahren. In einer eidesstattlichen Erklärung für die Entschädigungsbehörde schreibt er: »Im Jahre 1945 wurde ich von vielen Insassen des Konzentrationslager Theresienstadt, welche sich im Rueckkehrer-Lager Feldafing befanden, besucht. Verschiedene Insassen, deren Namen mir heute nicht mehr gelaeufig sind, erklaerten mir, dass sie mit den Eltern von Frau Hansi Burg im KZ zusammen waren. Es wurden mir auf Befragen mitgeteilt, dass Frau Antonie Burg kurz nach ihrer Einlieferung in das KZ verstarb. Herr Eugen Burg war ueber den Tod seiner Frau ganz ungluecklich da er dadurch, dass er fast kein Augenlicht mehr besass, keinen Menschen mehr um sich hatte. Mir lag das Schicksal von den Eltern von Frau Burg sehr am Herzen und [so] konnte ich Frau Burg, nachdem Postverkehr wieder moeglich war, nur noch berichten, dass beide Elternteile zuerst die Stiefmutter und dann der Vater im KZ verstorben waren.«