Sportfest statt Olympiade

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Hundertmeterlauf, Julius Bendorf 2. v. r., Repro: jgt/nurinst-archiv (Sammlung Julius Bendorf), Repro: jgt/nurinst-archiv (Sammlung Julius Bendorf)

Im August 1936 trafen sich 100 jüdische Leichtathleten in Fürth

Von Jim G. Tobias

„Zu dem angekündigten Wettkampf der Landessportverbände hatten Berlin, Baden-Südwest und Württemberg-Bayern je eine Kampfmannschaft entsandt“, schreibt „Die Kraft“, Organ des Sportbundes Schild des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“ (RJF) in der Ausgabe vom 28. August 1936. „Die genannten Verbände hatten ihre stärkste Vertretung zur Stelle, sodass die Kämpfe sich außerordentlich spannend gestalten“, so das Blatt weiter. Darunter befanden sich auch Sportler, die von ihren Leistungen her eigentlich an den Olympischen Spielen in Berlin hätten teilnehmen können – wie etwa Gretel Bergmann.

Deutschland erhielt 1931, als es noch ein demokratisches Land war, den Zuschlag zur Ausrichtung der XI. Olympischen Sommerspiele in Berlin (1. – 16. August 1936). Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen und unverzüglich staatliche Maßnahmen zur Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung erließen, erwogen einige Länder den Boykott der Olympiade – allen voran die USA. Um die Kritiker zu befrieden, stellte das NS-Regime die Teilnahme jüdischer Sportler in Aussicht. Ein wichtiger Teil dieses Täuschungsprogramms waren Olympia-Lehrgänge für jüdische Sportler, die 1934 und 1935 in der Sportschule Wilhelmshöhe im badischen Ettlingen stattfanden; 27 Mitglieder des RJF-Sportklub Schild nahmen daran teil. Nach Ende der Lehrgänge wurde jedoch nur eine Handvoll Athleten zu den eigentlichen Qualifizierungs-Wettkämpfen eingeladen. „Die Atmosphäre auf dem Sportplatz war unerträglich“, erinnerte sich ein Teilnehmer. Es wimmelte von Nazis in Uniform, gegen massive Beleidigungen und Störung wurde nicht vorgegangen. „Es war unter diesen Umständen nicht verwunderlich, dass unsere Athleten nicht an ihre beste Leistungen anknüpften und ausschieden.“

„Gretel Bergmann erreicht deutschen Rekord“. Meldung aus der Zeitung des Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten vom 3. Juli 1936, Repro: jgt/nurinst-archiv (Sammlung Julius Bendorf)

Als Letztes blieb nur Gretel Bergmann als Kandidatin für die Olympiade übrig, glänzte sie doch mit Rekordleistungen in ihrer Lieblingsdisziplin, dem Hochsprung. Bei den allgemeinen württembergischen Meisterschaften errang sie den Meistertitel und erreichte mit 1,60 Höhe den deutschen Rekord.

Trotz dieser Leistung wurde sie nicht für die Olympiade nominiert: „Sie werden aufgrund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben“, lautet es zynisch und wahrheitswidrig in einem Schreiben des „Deutschen Reichsbund für Leibesübungen“. Das zuständige Fachamt Leichtathletik bot Gretel Bergmann jedoch wegen „Ihres Fleißes und Ihrer Einsatzbereitschaft“ gratis Stehplatzkarten für die Wettkämpfe an.

Statt die Olympiade zu besuchen, fuhren Gretel Bergmann und andere jüdische Sportler, wie etwa die RJF-Leichtathleten Erich Klaber oder Julius Bendorf, die auch an der Pseudo-Olympiavorbereitung teilgenommen hatten, nach Fürth. Am 23. August wurden bei „schönem, für die Sportler allerdings etwas kühlem Wetter“, der „Kampf der Verbände“, wie die Zeitung „Die Kraft“ titelte, durchgeführt. „Die durch den Regen der letzten Tage noch sehr weiche Bahn ließ bei den Läufern leider keine guten Leistungen zu; im Übrigen präsentierte sich die Fürther Sportanlage aber in tadelloser Verfassung.“

Die sogenannte Sportanlage befand sich im Hinterhof einer Fürther Spedition. Denn die städtischen Plätze und Anlagen blieben Juden verwehrt. Trotz der Ferienzeit verfolgten 1.000 Zuschauer die Wettkämpfe der etwa 100 Aktiven. Insbesondere die verhinderten „Olympioniken“ setzten sich in vielen Disziplinen durch: Erich Klaber gewann den Hochsprung, das Kugelstoßen und Diskuswerfen sowie den Sechskampf; Gretel Bergmann siegte in den Wettbewerben 100 Meter-Lauf, Weitsprung, Speerwurf und Hochsprung. Wobei sie mit 1,45 Höhe ihren deutschen Rekord weit verfehlte. Julius Bendorf musste sich mit einem dritten Platz beim Hochsprung begnügen. Dennoch waren die Zuschauer und auch die jüdische Presse mit den Leistungen mehr als zufrieden, da „höchst erfreuliche Resultate, ja teilweise Ergebnisse von Meisterschaftshöhe erzielt wurden“, wie das „Nürnberger-Fürther Israelitische Gemeindeblatt“ schrieb.

Sportfest Fürth: Julius Bendorf beim Hochsprung, Repro: jgt/nurinst-archiv (Sammlung Julius Bendorf)

Der Länderwettkampf der RJF-Klubs war vermutlich eines der letzten große überregionalen jüdische Sportereignis in Fürth, obwohl mit dem Jüdischen Sport-Club Fürth noch bis zur Zwangsauflösung 1939 ein bedeutender und erfolgreicher Verein in der Stadt tätig war. Die Athleten wurden 1937/38 von Erich Klaber, „Deutschlands bestem und vielseitigsten jüdischen Sportler“ trainiert, wie das jüdische Gemeindeblatt feststellte.

Gretel Bergmann konnte sich im Frühjahr 1937 in die USA retten. Im Alter von 103 Jahren verstarb sie 2017 in New York City. Erich Klaber, der im November 1938 nach Buchenwald verschleppt wurde, gelang im Herbst 1939 ebenfalls die Flucht in die USA. Er verstarb 80-jährig 1994 in Phoenix (Arizona). Julius Bendorf überlebte mehrere Zwangsarbeiterlager und das KZ Auschwitz. Nach der Befreiung arbeitete er für die amerikanischen Besatzungsbehörden und emigrierte 1948 in die USA, wo er 2016 in Los Angeles im Alter von 101 Jahren verstarb.

Bild oben: Hundertmeterlauf, Julius Bendorf 2. v. r., Repro: jgt/nurinst-archiv (Sammlung Julius Bendorf), Repro: jgt/nurinst-archiv (Sammlung Julius Bendorf)