Mildred

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Auf den Lebensspuren von Mildred Harnack (1902 – 1943)

Von Christel Wollmann-Fiedler

Peter Adalbert Silbermann wird 1878 in Görlitz in eine jüdische Familie geboren, besucht später in Berlin das Französische Gymnasium. Nach dem Abschluß studiert er Philologie und promoviert. In der Türkei leitet er eine Schule, entscheidet sich für den diplomatischen Dienst, arbeitet im Preußischen Kultusministerium in Berlin und wird Professor für Erwachsenenbildung. Er beginnt seine Lehrtätigkeit in dem von ihm 1927 in der Wormser Straße in Berlin – Schöneberg gegründeten Abendgymnasium für Erwachsene, das noch heute in der Blissestraße in Wilmersdorf aktiv ist. Silbermann will damals den Bürgern der unteren Schicht sozialen Aufstieg durch Bildung ermöglichen. Bereits 1933 werden er und einige andere jüdische Kollegen aus dem Schuldienst entlassen. Silbermann geht für einige Zeit an die Universität in Rom, bis ihn auch in Italien der Faschismus einholt. Er rettet sich in die USA und stirbt 1944 in Hollywood.

Mildred Harnack – Fish wird in diesem Abendgymnasium  in den Jahren 1932-1936 als Englischlehrerin arbeiten. Die erwachsenen Schüler möchte sie mit ihrem pädagogischen Talent, ihrem politischen und sozialen Denken erreichen, ihnen Wissen vermitteln, ihnen ebenso die Literatur dieser Welt erklären.

Mildred Fish wird 1902 in den Vereinigten Staaten in Milwaukee, Wisconsin, in eine nicht begüterte Familie geboren. Von der Mutter bekommt sie die Stärke mit auf den Lebensweg und lernt ihren Kopf durchzusetzen. Auch die Arbeiterbewegung in ihrer Umgebung prägt sie. Ein Studium ist für sie nicht geplant, doch sie hat den Willen und wird an der Universität Georgetown in Washington D.C. Literaturwissenschaften studieren. Später ist sie Dozentin an der University of Wisconsin-Madison. In diesen Jahren lernt sie Arvid Harnack, den Juristen aus Deutschland kennen, der mit einem Rockerfeller-Stipendium Nationalökonomie in den USA studiert. 1926 heiraten Mildred und Arvid und gehen 1929 zusammen nach Deutschland, nach Berlin in die Reichshauptstadt. Hin und wieder reist sie in die Vereinigten Staaten zur Familie. Arvid möchte, dass sie dort bleibt, weil die politische Lage für sie zu gefährlich wird in Deutschland. Ihre Aufgabe sei es, in Deutschland zu bleiben und sie bleibt. Die Hitlerzeit liegt in der Luft, Mildred spürt geradezu, wie sie auf Deutschland zukommt und Schlimmes verspricht.

Shelly Kupferberg, die prominente Moderatorin, führt eine interessante und sachkundige Unterhaltung mit der Urgroßnichte von Mildred Harnack. Rebecca Donner hat 2021 in den USA ein Buch über die Ahnin Mildred Harnack geschrieben „All the Frequent Troubles of Our Days“, das zu einem preisgekrönten wichtigen Dokument in den USA wird. In der deutschen Übersetzung hat das Buch den sehr klaren und eindeutigen Titel „Mildred“ bekommen und ist in deutscher Übersetzung im kanon verlag in Berlin zu finden.

In der vorderen Reihe der Aula ist Hans Coppi mit seiner Ehefrau zu sehen. Hans Coppi ist ein wichtiger Gast, sicherlich der wichtigste an diesem Abend. Die Geschichte seiner Eltern, die auch seine ist, gehört ebenfalls zu den grausamen und menschenverachtenden der Nazizeit. Der Vater Hans, ist Mitglied der KPD und beginnt bereits als Siebzehnjähriger gegen den Nationalsozialismus zu arbeiten. Verhaftungen folgen und Untersuchungshaft in Sachsenhausen. Flugblätter werden zum Verhängnis. Mit anderen Hitlergegnern kooperiert er. Hilde Radtke heiratet Hans Coppi, auch sie ist im Widerstand gegen das Naziregime. Hilde ist schwanger als beide 1942 verhaftet werden. Das Kind, der Sohn Hans, kommt 1942 im Berliner Frauengefängnis in der Barnim Straße zur Welt. Drei Wochen später werden Hans Coppi, Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen in Plötzensee hingerichtet. Am 5. August 1943, neun Monate nach der Geburt ihres Kindes, wird Hilde Coppi in Plötzensee enthauptet.

Kurz vor ihrem Tod schreibt diese mutige Frau in einem Brief an ihre Mutter:

„Du wirst dir denken können, dass ich keine schönen Stunden hinter mir habe. Ein Glück, dass das kleine Hänschen noch bei mir ist, in seinem Interesse muss ich mich sehr zusammennehmen. Ach, Mama, der Gedanke an die Trennung von meinem Kinde will mich fast verzweifeln lassen. Ich glaube für eine Mutter kann es keine größere Strafe geben, als sie von ihrem Kind zu trennen.“ Hilde Coppi

Rebecca, die Urgroßnichte von Mildred Harnack, hat sich auf die Spuren der Urgroßtante begeben, sich mit Mildreds Leben in den USA und später in Deutschland sehr intensiv befasst. Bereits mit neun Jahren hört Rebecca Geschichten über Mildred, die die Großmutter erzählt. Das Kind versteht diese Geschichten nicht. Später ist es die Großmutter, die ihr fein säuberlich abgelegte Briefe von Mildred zum Lesen gibt. Rebecca will mehr erfahren über diese mutige Frau, die aktiv gegen das Hitlerregime arbeitet und sich zusammen mit ihrem Ehemann Arvid, dem Cousin des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, in Todesgefahr bringt. Bonhoeffer ist ebenfalls in einer Widerstandsgruppe aktiv und wird im April 1945, Tage vor Kriegsende, im KZ Flossenbürg geköpft.

Rebecca läuft mit Mildreds Augen durch Berlin, möchte entdecken, wie Mildred in Berlin gelebt hat, wo sie gewohnt und gearbeitet hat. Sehr schnell bemerkt Mildred die Armut in dieser Stadt, möchte die unsoziale und politische Lage verändern. Bei all diesen Entdeckungen wird Rebecca ständig neugieriger, recherchiert und liest in wichtigen Archiven in Dokumenten und Geheimdienstakten. Geheime Treffen mit Gleichgesinnten finden in Mildreds Wohnung in Kreuzberg statt, der Kreis um Mildred und Arvid wächst. Informationen und Flugblätter gehen in die Sowjetunion zum Nachrichtendienst NKGB und an die US-amerikanische Botschaft, um zu warnen. Hitler ist Reichskanzler, plant einen Krieg und einen Überfall auf die Sowjetunion.

Der elfjährige Don ist der Überbringer der wichtigen geheimen Nachrichten zwischen Mildred und Arvid Harnack und der US-amerikanischen Botschaft in Berlin, in der Dons Vater, Donald Heath, als Attaché in den 1930iger Jahren einen Posten hat. Familie Heath lebt von 1937 bis 1941 in Berlin und ist den beiden Harnacks freundschaftlich sehr verbunden.

Mehrere Widerstandskreise gibt es in Berlin. Irgendwann hat die Gestapo Mildred und ihren Mann im Visier. Ihre Widerstandsgruppe wird als „Rote Kapelle“ bezeichnet. Im September 1942 werden Mildred und Arvid Harnack auf der Kurischen Nehrung von der Gestapo verhaftet und nach Berlin in die Gestapozentrale in die Prinz-Albrecht-Straße gebracht, anschließend wird sie ins Frauengefängnis in die Kantstraße überführt und im Dezember 1942 zu sechs Jahren Zuchthaus „wegen Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats und zur Spionage“ verurteilt. Hitler hebt dieses Urteil auf und im Januar 1943 folgt das Todesurteil. Einen Monat später, am 16.2.1943, wird Mildred durch das Fallbeil ermordet. Mehr als 50 Mitglieder dieser Widerstandsgruppe werden in der Haftanstalt Plötzensee guillotiniert, mehr als 3000 Menschen kommen von 1933 bis 1945 unters Fallbeil.

Shelly Kupferberg und Rebecca Donner führen ein lebhaftes, ein interessantes Gespräch in englischer und in deutscher Sprache, lesen aus dem Buch „Mildred“, nehmen uns Zuhörer mit auf die Lebensspuren der Frau, die nur einundvierzig Jahre alt wird, die als Amerikanerin im Deutschen Reich gegen den Nationalsozialismus kämpft, den Kampf verliert und 1943 in Plötzensee im Charlottenburger Norden geköpft wird.

Fotos: © Christel Wollmann-Fiedler