Der Garten des (nicht) Vergessens – Unutma Bahçesi

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Zwei türkische Kuratorinnen thematisieren mit ihrer künstlerischen Forschungsarbeit das Leben und Werk des Fürther Botanikers Alfred Heilbronn und geraten damit in der Türkei in einen Kulturkampf.

An Heilbronn und den Botanischen Garten Istanbuls, den er 1935 nach seiner Flucht vor dem Nationalsozialismus errichtete, zu erinnern, bedeutet auch an die Reformen Mustafa Kemal Atatürks zu erinnern. Er holte im Rahmen seines Reformierungsprojekts westeuropäische Akademiker:innen nach Istanbul, um die Hochschulen aufzubauen. Heute steht demgegenüber Erdogans Streben, die islamische Überlieferung mit einem Machtstaat westlichen Typs zu versöhnen. Das Gelände des Botanischen Instituts und des von Heilbronn gegründeten Botanischen Gartens nahm die türkische Regierung 2014 von dem Botanischen Institut der Istanbuler Universität weg und übereignete sie der benachbarten Religionsverwaltung. Seitdem ist die Zukunft des Botanischen Gartens ungewiss.

Dilşad Aladağ und Eda Aslan erinnern mit ihrem künstlerischen Forschungsprojekt einerseits an ein in Deutschland vergessenes Kapitel deutsch-jüdischer-türkischer Geschichte, andererseits entlarven sie das Streben der Türkei, Geschichte vergessen zu machen. In der künstlerischen Forschungsarbeit der Kuratorinnen werden die städtischen Räume Fürth und Istanbul zu Handlungs-, Diskurs- und Gedächtnisräumen, in denen Alfred Heilbronns Leben und Werk inszeniert werden. Dilşad Aladağ und Eda Aslan haben mit ihrer künstlerischen Forschungsarbeit eine Ausstellung konzipiert, die durch ihr akribisches Gespür und poetische Umsetzung tief beeindruckt.

Laufzeit: Freitag, 15.7.22 bis So, 26.2.23
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Franken in Fürth |UG Neubau (Königstraße 89)
Öffnungszeiten: während der Pandemie derzeit Do bis So 10-17 Uhr
https://www.juedisches-museum.org/der-garten-des-nicht-vergessens/

Alfred Heilbronn wurde 1885 in Fürth als Sohn des Fürther Spiegelglasfabrikanten Leo Heilbronn, jun. geboren. Die Familie lebte in der Engelhardtstraße 4. Nach seinem Abitur in Nürnberg absolvierte er sein Studium in Naturwissenschaften in München, wo er 1909 in Botanik, Physik und Chemie promoviert wurde. 1913 wurde er Lehrstuhlvertreter für Botanik an der Universität Münster, wo er den Botanischen Garten plante und führte. Um die Kunsthistorikerin und Lehrerin Magda Detmer 1913 heiraten zu können, konvertierte er auf Wunsch der Brautfamilie vom Judentum zum Protestantismus. Zusammen hatten sie zwei Kinder, Hans und Agnes. 1921 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt.

Heilbronn war von 1918 bis 1933 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei. Im April 1933 wurde er zunächst beurlaubt und nach Erlass des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im September 1933 wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen.

Alfred Heilbronn, um 1935, Botanisches
Institut Istanbul © Kurt Heilbronn

Nach der Universitätsreform 1933 wurde Heilbronn durch die Flüchtlingsorganisation „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“ eingeladen, eine Professur für Pharmazeutische Botanik und Genetik in Istanbul anzunehmen. Kemal Attatürk wollte die Türkei zu einem Land nach westlichem Vorbild ausbauen und lud hierzu viele deutsche Akademiker:innen ein, um ein Hochschulsystem aufzubauen. Heilbronns Forschungsschwerpunkt war die damals vielversprechende Genetik und die Heilpflanzenkunde. Diese Spezialisierung war es, die ihm den Ruf an die Universität in Istanbul brachte und ihn schließlich rettete. Mit dem österreichisch-deutschen Botaniker Leo Braun gründete er das Botanische Institut. 1935 legte er den Botanischen Garten der Universität Istanbul an. 1941 wurde Alfred Heilbronn aus dem „Deutschen Reich“ ausgebürgert und sein restliches Vermögen „arisiert“.

An der Istanbuler Universität waren neben anderen deutschen Wissenschaftlern auch sein Kollege und Freund, der Zoologe und Genetiker Curt Kosswig. Er gilt als Erfinder der türkischen Universitäts-Zoologie und war Gründer des westtürkischen Vogelparadieses am See von Manyas.

Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Heilbronn 1948 Fatma Mehpare Başarman (1910–1993). Zusammen hatten sie einen Sohn, Kurt. Alfred Heilbronn erforschte in der Türkei die Heilpflanzen der Bergstöcke an der Ostküste des Marmarameers. 1955 kehrte Alfred Heilbronn im Alter von 70 Jahren nach Münster zurück, wo er an der Universität als Emeritus beschäftigt wurde. In Folge des Militärputsches in der Türkei 1960, wurde Heilbronns Frau, die Botanikprofessorin Mehpare Heilbronn, entlassen. Nach ihrer Rehabilitierung (1962) emigrierte sie 1964 in die Bundesrepublik und lebte bei ihrem Man in Münster. Alfred Heilbronn starb am 17. März 1961 im Alter von 76 Jahren, und der Alfred Heilbronn Botanische Garten hielt sein Andenken als Vermächtnis des Botanikers in seiner Exilstadt viele Jahre wach. Heilbronn steht exemplarisch für das Schicksal vieler jüdischer Akademiker, Intellektuelle und Künstler, die nach ihrem Exil in Vergessenheit geraten sind.