Antisemitismus in Österreich nach 1945

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Antisemitismus in Österreich nach 1945 wird in einem neuen Sammelband behandelt, der 15 Beiträge zu unterschiedlichen Themen enthält. Es geht dabei um die Bedeutung der Judenfeindschaft in diversen Institutionen und Medien ebenso wie in politischen und sozialen Zusammenhängen. Auch wenn keine einheitliche Gesamtdarstellung vorliegt, werden doch interessante Beiträge für eine solche in dem informativen Sammelband präsentiert.

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus ist nach wie vor auch in Österreich ein reales Phänomen, wovon alltägliche Beobachtungen ebenso wie empirische Untersuchungen zeugen. Doch wie hat sich die Judenfeindschaft in dem Land nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt? Antworten auf diese Frage geben will ein Sammelband, der von Marc Grimm und Christina Hainzl herausgegeben wurde. „Antisemitismus in Österreich nach 1945“ lautet der Titel. Und diese Allgemeinheit steht dann auch für den Inhalt. Denn die einzelnen Autoren sprechen unterschiedliche Erscheinungsformen der Judenfeindschaft an. Dabei geht es mal um die jeweilige politische oder soziale Herkunft, mal um die institutionellen oder medialen Kontexte. Entsprechend schreiben die Autoren aus unterschiedlichen Perspektiven, um eben bestimmte Facetten der Judenfeindschaft hervorzuheben. Insofern darf man entgegen der Betitelung auch kein systematisches oder vollständiges Bild erwarten, fällt der jeweilige Blick doch bezogen auf die Formen der Judenfeindschaft auf bestimmte Teilbereiche.

Am Beginn steht ein Bericht von Hainzl, welche anhand einer qualitativen Befragung deutlich macht, dass das Jüdischsein keine Selbstverständlichkeit ist und erfahrene Übergriffe häufig zu Vermeidungsverhalten führt. Hier wird gleich zu Beginn des Sammelbandes deutlich, wie wichtig auch die Aufmerksamkeit für die Betroffenen ist. Denn ansonsten könnte man mangels einer öffentlichen Artikulation die gesellschaftliche Bedeutung der Judenfeindschaft falsch einschätzen. Die dann folgenden Beiträge sprechen die unterschiedlichsten Kontexte dafür an. So behandelt etwa Barbara Serloth die österreichische Entnazifizierungs- und Restitutionspolitik, wobei sie einen „demokratisch legitimierten legislativen Antisemitismus“ ausmacht und entsprechend die politische Elite der Nachkriegszeit überaus kritisch sieht. Ähnliches gilt dann für eine Abhandlung zum Antisemitismus als politische Strategie, wobei Karin Bischof und Marion Löffler bezogen auf das nationale Parlament die Plenumsdebatten untersuchen. Dabei arbeiten sie vier Cluster im rhetorischen Verfahren heraus.

Besondere Aufmerksamkeit findet dann die FPÖ und ihr Kontext, wobei Margit Reiter das entsprechende Milieu nach 1945 und Helga Embacher die gegenwärtige Entwicklung ins Visier nimmt. Der letztgenannte Aufsatz geht auch auf das geänderte Israel-Bild ein, ist doch hier von einer selektiven Parteinahme für den Staat die Rede. Die Kapitelüberschrift „Die FPÖ als selbsternannte anti-antisemitische Partei im Kontext einer zunehmenden Islamfeindlichkeit“ veranschaulicht gut den Zusammenhang. Dem folgend wird der Antisemitismus in Studentenverbindungen von Bernhard Weidinger thematisiert. Und dann fällt der Blick von Stephan Grigat auch auf das Israel-Bild der politischen Linken. Dem schließen sich Beiträge zur Judenfeindschaft unter Muslimen allgemein und in bosnischen Milieus an, wobei die Autoren Mouhanad Khorchide und Hasan Softic auch den Mangel an einschlägigen quantitativen Studien konstatieren. Den katholischen Antisemitismus thematisiert danach Matthias Falter, auch und gerade zur Kontinuitätsfrage.

Und dann finden noch besondere Bereiche gesondertes Interesse, wobei es bei Bernadette Edtmaier um Jugendliche und bei Klaus Davidowicz um den Nachkriegsfilm geht. Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse der empirischen Sozialforschung, die auf antisemische Einstellungen in Österreich zwischen 1973 und 2020 bezogen ist, wird dann von Heinz P. Wassermann geliefert. Damit liegt interessantes Datenmaterial vor, das noch gesonderten Untersuchungen dienen kann. Und schließlich geht es noch bei Florian Markl um Antisemitismus in österreichischen Medien allgemein und bei Ben Dagan um den Antisemitismus in Sozial Media. Eine Art Bilanz der Herausgeber fehlt leider. Hier könnte ein Gesamtfazit stehen, nicht bezogen auf eine allgemeine Einschätzung, die auch durch die thematische Breite des Sammelbandes nicht möglich wäre. Gleichwohl könnte so ein Anstoß zu weiteren Forschungen und Vergleichen gegeben werden. Insgesamt hat man es mit einen beachtenswerten und informativen Sammelband zum Thema zu tun.

Christina Hainzl/Marc Grimm (Hrsg.), Antisemitismus in Österreich nach 1945, Leipzig 2022 (Hentrich & Hentrich-Verlag), 325 S., Bestellen?

Leseprobe (PDF)