Premiere im Negev

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Außenminister beim Gipfeltreffen im Negev

Im Negev kamen die Außenminister der USA, Marokkos, der Vereinigten Arabischen Emirate sowie Bahrains und Israels zu ihrem ersten Gipfeltreffen zusammen. Ganz oben auf der Agenda stand wenig überraschend der Iran. Was dennoch verblüffte, war die Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander.

Von Ralf Balke

Das Wort historisch hatte dieser Tage Konjunktur. Als am Sonntag die Außenminister der Vereinigten Staaten, Marokkos, der Vereinigten Arabischen Emirate sowie Bahrains und Israels zu zweitägigen Gesprächen im Negev zusammenkamen, war schnell die Rede von einem historischen Treffen. Dabei ging es nicht nur um die Tatsache, dass gleich drei hochrangige Regierungsvertreter aus der arabischen Welt nach Israel eingeflogen wurden, was bereits eine Premiere war. Ebenfalls der Ort, an dem man sich traf, war damit gemeint und geradezu symbolträchtig. Denn es handelte sich um Sde Boker, also genau jenem Kibbuz, in dem einst David Ben Gurion sein Zuhause hatte. Zudem sind solche Begegnungen alles andere als eine Selbstverständlichkeit – schließlich sind die offiziellen Beziehungen Israels zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain sowie Marokko noch keine zwei Jahre alt. Zu einem Besuch aller Teilnehmer am Grab des Staatsgründers im nahe gelegenen Midreshet Ben Gurion war es dann aber doch nicht wie angekündigt gekommen. Dort ließen sich am Ende nur Yair Lapid und Antony Blinken, die Außenminister Israels und der Vereinigten Staaten, blicken.

Dennoch gehen von dem Treffen im Negev zahlreiche Signale aus. Das wichtigste davon scheint die Botschaft zu sein, dass Israels Existenz in der Region nicht einfach nur still hingenommen wird, weil man keine andere Wahl hat. Vielmehr soll jetzt der Eindruck entstehen, dass das Land von vielen arabischen Staaten heute im wahrsten Sinne des Wortes akzeptiert wird und es keine Hemmungen mehr gibt, diese Normalisierung auch nach Außen zu demonstrieren. Daran konnte ebenfalls die Serie der Anschläge von Sympathisanten des Islamischen Staates in einem Einkaufszentrum in Beer Sheva sowie zuletzt am Sonntag in Hadera, die den Gipfel zu überschatten drohten und von dem palästinensischen Islamischen Jihad als „heldenhafte Antwort auf den Gipfel der Demütigung und Schande im besetzten Negev“ gefeiert wurden, nichts ändern. Unisono verurteilten alle anwesenden Außenminister den Mord an zwei israelischen Grenzpolizisten in der Küstenstadt – auch solche Statements seitens prominenter arabischer Politiker wären vor wenigen Jahren wohl noch undenkbar gewesen.

„Ganz offensichtlich hatten sie einen gegenteiligen Effekt“, lautet dazu die Einschätzung von David Horovitz, einem der Gründer der „Times of Israel“. Denn nacheinander sollten der israelische Außenminister Yair Lapid und seine vier arabischen Amtskollegen betonen, dass diese Formen des Extremismus einer der Gründe sei, warum man hier zusammensitzt. „Anstatt die Morde von Hadera als Rückschlag für die Bemühungen hinzunehmen, stellten alle Beteiligten dieses erste multilaterale Treffen seiner Art innerhalb Israels als den Beginn einer neuen konzertierten Anstrengung dar, um die Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten auf eine neue Ebene zu bringen.“ Dabei kam selbst verständlich auch der ungelöste Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zur Sprache. Drei der vier arabischen Außenminister, und zwar Abdullatif bin Rashid Al-Zayani aus Bahrain, Sameh Shoukry aus Ägypten und Nasser Bourita aus Marokko, nahmen sich in ihren Reden ein wenig Zeit, um die Notwendigkeit einer Übereinkunft zwischen Israel und Palästinensern zu betonen. Auch Yair Lapid erwähnte sie und ermutigte „alle Völker in der Region, einschließlich die Palästinenser, den Weg des Terrors und der Zerstörung hinter sich zu lassen, und gemeinsam nach Fortschritt zu streben“. US-Außenminister Antony Blinken ging sogar noch weiter und erklärte, dass die Abraham-Accords, die aktuell alle Minister im Negev zusammengebracht hätten, „kein Ersatz“ für einen nachhaltigen Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern seien.

Aber das war es auch schon. Abdullah bin Zayed al Nahyan, der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, erwähnte die Palästinenser beispielsweise mit keinem einzigen Wort. Und irgendwie ließ sich der Eindruck nicht erwehren, dass alle Äußerungen kaum mehr als eine verbale Pflichtübung waren. Außer Blinken machte sich keiner der eingeflogenen Außenminister auch nur die Mühe, einen Abstecher nach Ramallah zu unternehmen, um dort – wie so oft bei ausländischen Staatsgästen ansonsten üblich, wenn man schon in Israel ist – wenigstens pro forma seine Solidarität mit den Palästinensern zu demonstrieren und Mahmoud Abbas vor laufenden Kameras die Hand zu schütteln. Genau diese Aufgabe hatte ein anderer übernommen, der bei der Autonomiebehörde zeitgleich zum Gipfel im Negev vorbeischaute, und das war König Abdallah von Jordanien. Eigentlich war auch sein Land eingeladen worden, an dem Gipfeltreffen im Negev teilzunehmen. Doch der Monarch hatte dankend abgelehnt, wohl aus innenpolitischen Gründen. Denn anders als bei den neuen Partnern Israels, steht der 1994 abgeschlossene Friedensvertrag mit Israel immer wieder zur Disposition. Die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung würde ihn lieber heute als morgen aufkündigen. Das Königshaus dagegen weiß sehr wohl, dass es ohne Israel an seiner Seite noch schlechtere Überlebenschancen in der Region hätte als ohnehin schon. Dass Abdallah am Montag zum Tête-à-Tête mit dem greisen Palästinenserpräsidenten gereist ist, um ihm „zuzuhören und zu erfahren, was er von uns Jordaniern alles braucht“, wie es der König formuliert hatte, ist daher als Zeichen zu verstehen. Amman möchte nicht, dass der ungelöste israelisch-arabische Konflikt angesichts der vielen neuen Ebenen, auf denen Israel und viele sunnitische Staaten gerade Kooperationen eingehen, einfach unter den Teppich gekehrt wird.

Das Gipfeltreffen im Negev fand zudem unter ganz besonderen Vorzeichen statt. In Wien laufen gerade die Gespräche über eine Neuauflage des Atomabkommens mit dem Iran. Von der Aussicht, demnächst  mit einem Iran konfrontiert zu sein, der nicht mehr unter dem Sanktionsregime stehen könnte, waren – außer dem amerikanischen Außenminister natürlich – alle anderen Teilnehmer in Sde Boker wenig begeistert. „Diese neue Sicherheitsarchitektur, diese Fähigkeiten, die wir zusammen jetzt aufbauen, schüchtern unsere gemeinsamen Feinde ein und schrecken sie ab, allen voran den Iran und seine Handlanger“, erklärte denn auch Gastgeber Yair Lapid. Doch sollte man etwas vorsichtiger sein.  Einen „Gipfel gegen den Iran“ bezeichneten einige israelische Medien den Gipfel euphorisch. Und auch wenn hochrangige israelische Regierungsmitarbeiter – zwar anonym – erklären, „die Konferenz sei eine Botschaft an den Iran, dass die Reaktionen derer, auf die er es abgesehen hat, nur noch entschlossener ausfallen werden, wenn er weiterhin Chaos in der Region verbreitet“, dann steckt manchmal eine Menge Wunschdenken dahinter.

Zwar mag es richtig sein, dass die Bedrohung durch die Mullahs mit dazu beigetragen hat, warum sich wichtige sunnitische Player heute mit Israel verbünden. Aber während für Jerusalem der Iran das Top-Thema gewesen sein mag, schien dies bei den anderen teilnehmenden Ländern nicht zwangsläufig der Fall zu sein. So hatte Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate nicht nur die Palästinenser nicht erwähnt, über den Iran ließ er aber ebenfalls nichts verlauten. Und die arabischen Diplomaten betonten zwar immer wieder, dass der Iran gewiss ein Anliegen sei, aber nicht eigentliche der Grund, warum sie zum Negev-Gipfel angereist waren. Auch gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung der iranischen Gefahr. Während für Israel das Atomprogramm des Iran als größte Bedrohung gilt, sind es für die anderen Staaten am Golf vor allem eher die konventionellen Raketensysteme, die Teheran beispielsweise an die Huthi-Rebellen in den Jemen liefert. „Wenn man jeden Minister hier am Tisch in Sde Boker gefragt hätte, wäre immer wieder eine andere Priorität genannt worden“, bringt es Dan Shapiro, ehemals US-Botschafter in Israel und bis vor wenigen Tagen Berater des US-Sondergesandten für den Iran auf den Punkt. „Für die Vereinigten Arabischen Emirate könnten es Investitionen in saubere Energie sein, für Bahrain die Sicherheit der Schifffahrt, für Marokko wiederum Bildung und Landwirtschaft, für Ägypten dagegen von allem etwas.“

Was auf jeden Fall als Erfolg zu verbuchen ist, scheint die Institutionalisierung des Treffens zu sein. Gerne möchte man jetzt regelmäßig in dieser Konstellation zusammenkommen, wobei auch signalisiert wurde, dass man sich gegenüber weiteren Kandidaten aufgeschlossen zeigt. Wunschpartner Israels wäre dabei zweifelsohne Saudi Arabien. Und noch etwas fällt auf. Ganz im Unterschied zu der Zeit, in der Benjamin Netanyahu Ministerpräsident war, können amtierende Außenminister nun ihren Job erledigen, ohne dass ihnen der Regierungschef dazwischen grätscht Genau das war in den zwei Jahren mit den vier Wahlgängen Lapids Vorgängern immer wieder passiert, weil Bibi auf jeden Fall vermeiden wollte, dass ein politischer Konkurrent so Punkte hätte sammeln und ihm bei einer der vier Knesset-Wahlen in den Jahren zwischen 2019 und 2021 womöglich gefährlich werden können. Zum Beispiel blockierte Netanyahu im März 2021 die Reise von Außenminister Gabi Ashkenasi an den Golf, als dieser dort die israelische Botschaft eröffnen sollte. Umgekehrt hatten einige arabische Staatschefs wenig Interesse daran, vom israelischen Ministerpräsidenten als Wahlhelfer instrumentalisiert zu werden, weshalb trotz der vielen Erfolge, wenn es um die Normalisierung von Beziehungen mit ehemaligen Feindstaaten ging, die israelische Außenpolitik in den letzten Jahren der Netanyahu-Ära eher dysfunktional wirkte. Aktuell, und das demonstrierte der Gipfel sehr eindrücklich, funktioniert das Zusammenspiel offensichtlich ohne Reibungsverluste. Staatspräsident Yitzhak Herzog konnte als Eisbrecher in der Türkei für bessere Beziehungen zwischen beiden Ländern wirken, Verteidigungsminister Benny Gantz unternahm wichtige Trips, beispielsweise nach Marokko, um Sicherheitspartnerschaften unter Dach und Fach zu bringen, Lapid konnte mit dem Gipfel im Negev glänzen und Ministerpräsident Naftali Bennett sich als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine ins Spiel bringen. Eine funktionierende israelischen Außenpolitik, und das nach bald einem Jahr Acht-Parteien-Koalition, auch das ist eine Überraschung und keine Selbstverständlichkeit.

Foto: MFA