Sonjas Tagebuch

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Konrad und Gaby Kutt hatten im Namen der „BücherboXX“ in ihren privaten Salon Kunst Stücke in Grunewald eingeladen. Ein literarisch-musikalischer Abend war angekündigt, ein Abend für Sonja Borus wurde es. Die Erinnerung an Dr. Klaus Voigt, der vor Wochen in Berlin gestorben ist, sowieso. Eine Symbiose Sonja Borus und Klaus Voigt.

Von Christel Wollmann-Fiedler

Die Proben dieses musikalisch-literarischen Abends begleitete der Historiker bereits vor Monaten und war begeistert von der Idee und den Voraufführungen. Die Geschichte der „Kinder der Villa Emma“ in Nonantola taucht in meinen Gedanken auf, die Geschichte des 13 jährigen Mädchens, das von Recha Freier 1941 von Berlin aus auf die Alija nach Palästina mitgenommen wird, doch dort nicht ankommt. Auf die Flucht vor den Nazis werden die Kinder von Kroatien nach Slowenien gebracht und von dem jungen Kroaten Josef Indig begleitet und beschützt. Nach einem Jahr in Lesno Brodo, einem Jagdschloss bei Ljubljana, geht die Flucht der Kinder weiter ins norditalienische Nonantola in der Provinz Modena. Die Villa Emma wird ihr Zufluchtsort, die jüdische Organisation DELASEM in Mailand unterstützt die Gruppe. Auch in dieses idyllische Örtchen wird die deutsche Wehrmacht eimarschieren und die jüdischen Kinder dürfen nicht entdeckt werden. Zupackende Bürger verstecken die Kinder und organisieren die Flucht, ein katholischer Geistlicher und ein Arzt werden besonders genannt. Sie bringen die Kinder und ihre Begleiter in kleinen Gruppen bei Nacht und Nebel über die Tresa ins Tessin, in die Schweiz, in Sicherheit.

Jahrzehnte später wird der Historiker Dr. Klaus Voigt vom Bürgermeister der Stadt Nonantola gebeten, sich historisch und wissenschaftlich mit dem Thema zu befassen. Über die jüdische Verfolgung in der faschistischen Zeit in Italien hatte er bereits geforscht und darüber ein wichtiges zweibändiges, wissenschaftliches Werk „Zuflucht auf Wiederruf – Exil in Italien 1933-1945“ geschrieben. Nun rückt die Villa Emma in der Emilia Romagna in dem damals kleinen mittelalterlichen Städtchen Nonantola mit einer der ältesten Abteien Italiens in den Vordergrund. Ein handgeschriebenes Tagebuch der 14jährigen Sonja Borus aus Berlin taucht auf, wird von ihm redigiert und herausgegeben. Inzwischen ist es in italienischer Sprache, in slowenischer und auch in hebräischer erschienen. Klaus Voigt selbst schrieb die „Villa Emma – Jüdische Kinder auf der Flucht 1940-1945“, das Buch ist ebenfalls in Deutsch und Italienisch im Buchhandel zu finden. Die Kinder von damals kommen erst 1946 in Palästina an. Ich erinnere mich an meine Begegnung mit Sonja Borus, heute Schoschana Harari, vor Jahren im Kibbutz Ruchama, wo sie seit ihrer Ankunft im rettenden Land am Rande der Negev Wüste wohnt.

Ich komme zurück zur Musik und zur Literatur in Grunewald, komme zurück zu  Gaby und Konrad Kutt, die im Nachbarschaftshaus in Friedenau kurz nach Klaus Voigts plötzlichem Tod bei dieser  wunderbaren Veranstaltung dabei sind als an ihn, den Freund von Sonja, gedacht wird. Stella Maria Adorf, die Schauspielerin, liest Passagen aus Sonjas Tagebuch, die vor Monaten noch von Klaus Voigt und ihr ausgesucht wurden. Tal Koch, der Sänger und Komponist trägt auf eine ganz besondere Art seine fantastischen Kompositionen vor. Assaf Fleischmann, Pianist und Komponist, begleitet auf dem Klavier mit seinen musikalischen Interpretationen. Beide Musiker haben diesen Abend erarbeitet und waren langjährig mit dem Verstorbenen eng und freundschaftlich verbunden. Die Historikerin Dr. Beate Kosmala, ebenfalls eine Freundin von dem hochgeehrten Verstorbenen hält eine Einführung zum Leben von Sonja Borus und über die Historie der Villa Emma. Irene Aselmeier hält schützend die Hand über die Musiker und das einstudierte Stück. Sie vertritt Künstler und Projekte.

Konrad Kutt der Erfinder der BücherboXX am Gleis 17 in Berlin-Grunewald möchte in seinem privaten Salon für uns alle diese literarisch-musikalische Szenerie zeigen. Kurzentschlossen lädt er ein und alle kommen, geimpft und mit Maske. Der Botschafter der Republik Sloweniens in Berlin, S.E. Herr Franc But, begrüßt und berichtet sehr informativ über eine Passage des Buches von Oto Luthar „Margius of Memory – Anti-Semitism and the destruction oft the Jewish Community in Prekmurje“. Hier geht es um jüdische Schicksale in Prekmurje an der Mur, einem Ort im Nordosten Sloweniens, in den Jahren der faschistischen Zeit. Überdurchschnittlich stark präsentiert war die jüdische Bevölkerung in diesem Städtchen bis auch hier ab 1943 antisemitischer Terror beginnt bis hin zu den Deportationen nach Polen, nach Auschwitz. In dem Buch wird u.a. erzählt über das Schicksal der jüdischen Großmutter einer Mitarbeiterin der Slowenischen Botschaft und des Slowenischen Kulturzentrums in Berlin.

Zwanzig großformatige Fotos sind aufgehängt und zeigen Sonja in ihrem Kibbutz Ruchama in Israel. Auf anderen Fotos läuft sie erzählend und zeigend mit Dr. Klaus Voigt durch Nonatola in Oberitalien, auf anderen Fotos ist sie mit ihren erwachsenen Kindern in Berlin während einer Lesereise aufgenommen worden.

Konrad Kutt der Hausherr erinnert an die EU-Ratspräsidentschaft, die 2021 Slowenien übernommen hat. Sein BücherboXX-Projekt findet hohe internationale Anerkennung, so auch die “Nachhaltige Bücherbox XX für die EU-Ratspräsidentschaft“. Dr. Jaša Drnovšek, der Komparatist und Übersetzer, reist spontan von Ljubljana nach Berlin und erzählt wunderbar über sehr persönliche Begegnungen mit Dr. Klaus Voigt. Ins Slowenische übersetzte er in den Jahren Sonjas Tagebuch und Josef Indigs und als drittes das Buch von Leo Koffler, einem damals schon älteren „Kind“ der Villa Emma. Die Geschichte kennt er bis in die Tiefen der damaligen Zeit. Das ins Slowenische übersetzte Buch von Leo Koffler ist eine ganz besondere sehr persönliche Widmung an den verstorbenen Historiker Dr. Klaus Voigt (1938-2021). Loredana Melissari, die italienische Übersetzerin sämtlicher Bücher und Schriften von Dr. Klaus Voigt, ist über das Internet aus Florenz zugeschaltet, auch Sonja Borus und ihre Familie aus Israel. Sehr freudig begrüßt uns Sonja Borus, die vierundneunzigjährige alte Dame. Ein kaum zu beschreibendes großartiges Erlebnis an diesem Abend! Die Gedanken an Klaus Voigt, unseren Freud kommen und machen traurig. Der Abend wäre auch sein Abend, wenn er dabei wäre. Seine Freude wäre grenzenlos.

Die Schauspielerin und die beiden Musiker haben uns einen künstlerischen Abend, einen Abend der besonderen Art mit einem nicht alltäglichen Thema geboten. Ein tiefer Dank mit einer tiefen Verbeugung gebührt ihnen!

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