Der Journalist Marc Thörner macht in seinem Buch „Rechtspopulismus und Dschihad“ darauf aufmerksam, dass islamistische Ideologen auch von westlichen Intellektuellen inhaltliche Konzepte übernommen haben, wobei es sich gerade um jene Denker handelt, die auch von der Neuen Rechten verehrt werden. Die zutreffende Beobachtung wird indessen nicht näher erörtert und systematisiert, sodass sie eher Bestandteil eines geistigen und realen Reiseberichts bleibt.
Von Armin Pfahl-Traughber
Islamisten und Rechtsextremisten haben eigentlich ein feindliches Verhältnis. Das „eigentlich“ muss bei der Aussage betont werden, denn es gibt zwar diese gegenseitige Frontstellung, gleichwohl aber auch inhaltliche Verbindungslinie. Diese bestehen etwa im Antisemitismus und der Israelfeindlichkeit, aber eben nicht nur in diesen beiden Auffassungen bzw. Orientierungen. Auch die Ablehnung der konstitutiven Normen des Westens ist ihnen eigen. Dabei griffen die islamistischen Ideologen gelegentlich auch auf westliche Publizisten zurück. Diese Erkenntnis ist in der Forschung nicht neu. Denn dass mit Alexis Carrell ein solcher Denker auch für Sayyid Qutb ein geistiges Vorbild war, ergibt sich aus dessen Buch „Der Islam und die Probleme der Zivilisation“ von 1963. Es ist durchzogen mit Carrell-Zitaten. Dabei handelt es sich um keinen Einzelfall, auch bei anderen Islamisten verhielt es sich ähnlich. Diese fanden etwa in Martin Heidegger oder Ernst Jünger eine geistige Orientierung. Diese Einsicht ist ein Thema für Marc Thörner.
Er arbeitet als freier Journalist und bereist daher auch die Länder des Nahen Ostens in einem sehr weiten Sinne. Sein Buch „Rechtspopulismus und Dschihad. Berichte von einer unheimlichen Allianz“ greift die gemeinten Verbindungen auf. Gleichwohl muss diese Aussage in mehrfacher Hinsicht relativiert werden. Denn dem Autor geht es nicht darum, einschlägige Kooperationen zu thematisieren. Es handelt sich eher um eine Ansammlung von geistigen und realen Reiseberichten, wobei die aus Begegnungen erkennbaren ideologischen Nähen jeweils das konkrete Thema sind. Daher fehlt es dem Buch an einer inhaltlichen Stringenz, springt doch der Autor von Begegnung zu Begegnung. Das machen auch die in dem Band enthaltenen Fotos deutlich: Darauf sieht man nicht nur die jeweiligen Gesprächspartner, sondern auch Thürner etwa in einem Tunnel. Die Lektüre mag durch den Reportagecharakter aufgelockert sein, indessen lenkt dieser auch immer wieder vom Kern der Thematik ab. Und diese wird eher fragmentarisch und unsystematisch präsentiert.
Dies bedeutet aber nicht, dass die postulierten Auffassungen falsch sind. Gleich zu Beginn heißt es über drei einflussreiche islamistische Denker: „Sie entwickeln sich zu Vordenkern des Radikalislam: zu jenen Autoren, auf die sich heute Salafisten, Fundamentalisten und Dschihadisten der ganzen Welt berufen. Und noch etwas verbindet sie: Sie schöpfen ihre Kritik am Westen nicht aus der islamischen Tradition, sondern schreiben sie – manchmal wortwörtlich – bei westlichen Autoren ab. Und zwar bei jenen, die die Neue Rechte heute zu ihren Ideologen und Wegbereitern zählt“ (S. 7). Gerade am Beispiel von Carrell und Qutb zeigt sich dies: Der avantgardistische Gedanke, dass eine kleine Elite in eigenständigen Zellen handeln müsse, wurde von dem heute meist vergessenen französischen Publizisten übernommen. Und diese besondere Auffassung von der angemessen Organisationsweise lässt sich auch im djihadistischen Terrorismus ausmachen. Carell bildete hier offenkundig für Qutb eine Referenzquelle. Indessen lässt sich die Entwicklung eines „Leaderless Jihad“ (Marc Sageman) auch aus allgemeinen Rahmenbedingungen ableiten.
Diese Anmerkungen machen denn auch die Problematik der Veröffentlichung deutlich. Sie stellt auf beobachtbare und reale Gemeinsamkeiten von Islamismus und Rechtsextremismus ab. Doch ergeben sie sich allein oder primär aus der Adaption der genannten westlichen Denker? Dies behauptet der Autor nicht dezidiert, er lässt diese Wirkung aber so erscheinen. Und genau die fehlende systematische Erörterung von Kontexten stellt dann für die Monographie ein zentrales Problem dar. Es wird über die Darstellung der Gemeinsamkeiten nicht hinaus gedacht. Man könnte gar aus der Betonung der westlichen Vorbilder ableiten, dass die Islamisten nicht im ideologischen Kontext islamischer Traditionen stehen würden. Auch dies behauptet der Autor nicht dezidiert, eine solche Deutung wäre bei ihm indessen möglich. Seine Auffassung von Gemeinsamkeiten belegt er gleichwohl schon – ohne diese aber genauer zu qualifizieren. Denn sie bestehen meist weniger auf der ideologischen und inhaltlichen und doch mehr auf der strategischen und strukturellen Ebene.
Marc Thörner, Rechtspopulismus und Dschihad. Berichte von einer unheiligen Allianz, Hamburg 2021 (Edition Nautilus), 180 S., 16 Euro, Bestellen?