Walter Kaufmann – Welch ein Leben

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Ein Gespräch mit den Regisseuren Karin Kaper und Dirk Szuszies über Walter Kaufmann und ihren neuen Film

Von Christel Wollmann-Fiedler

Ein Weltenbummler war er, der Schriftsteller Walter Kaufmann. Die Enge eines Landes, die Enge einer politischen Ideologie hätte er nicht ertragen. Möglichkeiten des Reisens gab ihm die DDR, in die er ging im Jahr 1957.

Rachel Schmeidler, eine polnische Jüdin brachte ihn, Jizchak Schmeidler, 1924 in der Mulackstraße in Berlin zur Welt. Der jüdische Anwalt Dr. Sally Kaufmann und seine Frau Johanna adoptierten den dreijährigen Jungen. In Duisburg, seinem neuen Zuhause, bekam er den Namen Walter Kaufmann, wurde liebevoll und gut erzogen, besuchte später das Steinbart-Gymnasium in Duisburg. Den jüdischen Eheleuten wurde das Leben bereits ab 1933 schwerer. Im November 1938 wurde der Besitz der Kaufmanns in ihrem Haus durch die Nazis mutwillig zerstört. Der Vater seines besten Freundes kam zur Hilfe, reparierte und entschuldigte sich für das, was die Nazis dieser Familie  angetan haben. 1939 gaben ihn die Eltern, den behüteten Sohn Walter, auf einen Kindertransport nach England, um sein Leben vor den Nazis in Deutschland zu retten. Kurzzeitig besuchte Walter eine reformpädagogische Schule in Kent, die von Anna Essinger, einer Reformpädagogin aus Deutschland geführt wurde, kam als Ausländer in ein britisches Internierungslager in die Nähe von Liverpool in das Lager Huyton. Freiwillig meldete er sich als Jugendlicher für die Ausreise nach Kanada, landete aber per Schiff nach siebenundfünfzig Tagen in Australien.

Die Eltern schickten dem Sohn liebevollste, herzzerreißende Briefe mit Küssen und Grüßen von Vati und Mutti und wünschten sich ein baldiges Wiedersehen. Nie gaben sie die Hoffnung auf, selbst als sie bereits nach Theresienstadt deportiert wurden. Das Visum für die USA lag bereit, doch die Nazis verweigerten die Ausreise, den 2. Weltkrieg hatten sie  begonnen und waren auf dem Weg auf brutalste Weise jüdische Bürger zu ermorden, deren Kultur und Zukunft für immer zu zerstören. Die Eltern von Walter Kaufmann wurden nach Theresienstadt deportiert und in Auschwitz ermordet.

Karin Kaper und Dirk Szuszies: Alle über 16-Jährige, ob sie Juden waren oder nicht, ob sie Opfer der Nationalsozialisten waren oder nicht, wurden in Großbritannien interniert und 2000 von ihnen verfrachteten sie mit dem berüchtigten Schiff „Dunera“ nach Australien in das Wüstencamp in Hay.

1955 kam Walter Kaufmann, nachdem er die ersten literarischen Meriten in Australien bekommen hatte, zu den Weltjugendspielen nach Warschau. Dort war ein Verleger aus der DDR, der ihn nach Ost-Berlin einlud. In Ost-Berlin brauchten sie fähige Leute und baten ihn, nach Berlin zu kommen, in seine alte Heimat. Zuvor war er in Duisburg, wo er Menschen traf, die nichts von damals in der Nazizeit wissen wollten. Alle wissen von Nichts, Weltwirtschaftswunder, behandeln Walter Kaufmann wie einen Aussätzigen. Nach diesem Erlebnis wollte er nicht in dem Westteil des Landes bleiben.

Christel Wollmann-Fiedler: Ihr beiden seid in der alten Bundesrepublik groß geworden, lebt schon Jahre in Berlin, seit 1987. Kanntet Ihr den Namen Walter Kaufmann als Schriftsteller? Wann und wie seid Ihr auf ihn aufmerksam geworden?

Walter Kaufmann hat sich unsere Filme angesehen und schrieb Rezensionen über die Filme. Wir wussten nichts über seine schriftstellerische Laufbahn, kannten ihn nur als bestechend schreibenden Filmkritiker. Er schrieb in seiner Art knapp, kurz und vielsagend. Das war ab dem Jahr 2000. Dann lasen wir einen Bericht in der Zeitung, dass Walter Kaufmann sein neues Buch vorstellt. Ist das unser Walter Kaufmann, dachten wir? Dann riefen wir ihn an und erfuhren mehr aus seinem Leben.

Dachtet Ihr damals bereits an einen Film, einen Film über einen jüdischen Menschen, der überlebt hat, der ein kaum zu beschreibendes, überwältigendes, sehr interessantes Leben geführt hat, trotz der schrecklichen Erlebnisse und Geschehnisse in der Nazizeit?

Wir entwickelten dann die Idee einen Film über ihn zu machen. Wir sind ja immer auf der Spur einer faszinierenden Lebensgeschichte. Als uns durch seine Bücher die Ausmaße seines Schicksals bewusst wurden und was alles dahinter steckt, war das für uns eine Chance. Bei Walter Kaufmann spiegeln sich wirklich elementarste Ereignisse der 60er, 70er, 80er, 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, die bis heute ausstrahlen. Dabei sind Unruhen, Bürgerrechtsbewegungen, Verfolgung der Schwarzen in den 60ern in den USA mit dem Prozesshöhepunkt gegen Angela Davis Anfang der 70er Jahre. Zu unglaublichen Zeiten war er in Israel 1980/81. Libanonkrieg und was er dort alles erlebt hat und, und, und…Da war uns klar, wir wollen einen Film machen. Doch es hat leider sehr lange gedauert.

Walter Kaufmann erzählt aus seinem Leben als Kind in Duisburg, später spricht er über England, dann kommt er nach Australien, geht zur australischen Armee und wird australischer Staatsbürger. In der dortigen Gewerkschaft wird er aktiv und wird Mitglied der kommunistischen Partei. Das Bildmaterial in dem Film ist großartig. Habt Ihr dort gefilmt?

Wir konnten ja nicht filmen, aufgrund von Corona. D.h., wir hätten entweder das ganze verschieben müssen, was wir natürlich nicht wollten, weil der Film unbedingt fertig werden sollte. Dann kam uns die Idee, Kameraleute überall auf der Welt anzusprechen, ob sie uns helfen und für uns die Aufnahmen machen können. Das war auch oft innerhalb eines Landes schwierig, weil überall Corona-Einschränkungen waren. Für uns war das etwas ganz Neues. Auch waren wir sehr traurig, weil wir doch selber gerne die Reisen unternommen hätten, und andererseits waren wir natürlich heilfroh, dass unser Filmprojekt weiter gehen konnte. Selbst haben wir alle Aufnahmen in Deutschland machen können, auch haben wir noch die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz filmen können. Alle anderen Aufnahmen sind von Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt. Ein Akt großer Solidarität und Empathie haben wir kennengelernt. Wir sind denen sehr dankbar.

Über seine Eindrücke in Kuba bei Fidel Castro war er begeistert und beeindruckt und entschied sich daraufhin in die DDR zu gehen und zu leben

Die Kubareise fand statt als er längst etabliert war. Nach 1957 hatte er sehr rasch Erfolg mit all seinen Kurzgeschichten etc. Sein Stern ging bereits in der DDR auf. Er sagte: “Ja, ich spürte trotz des Erfolges eine gewisse Enge in der DDR“ und wollte wieder zur See fahren. In der DDR haben sie seinen Wunsch anerkannt. Kuba kam dann eigentlich als Hochzeitsgeschenk für seine geliebte Angela Brunner, die er 1960 heiratete. Sie war im dritten Monat schwanger und beide gingen sie 1961 auf ein Schiff zum Honeymoon nach Kuba. Die Schiffsreise startete in Rostock, doch der Schiffsarzt verbot Angela Brunner weiterzufahren, sie musste von Bord. Doch Walter war nicht in der Lage mitzugehen, das Fernweh hatte ihn zu sehr gepackt. Er heuerte als Decksmann an, war kein Passagier mehr, und fuhr weiter. Kam Tage nach dem Zurückschlagen der Invasion in der Schweinebucht an. Eine ungeheure Euphorie empfing ihn dort.

Er hat aber später auch immer wieder bereut, dass er seine Frau alleine von Bord hat gehen lassen. Nun, man trifft oft Entscheidungen, die nicht immer ganz glücklich sind, doch er hat daraufhin sein Kuba erlebt.

Wie ich gerade hörte, entschied sich Walter Kaufmann bereits 1956, ein Jahr vor Kuba, in die DDR zu gehen und dort zu leben. Von der DDR-Regierung wurde er in westliche Länder geschickt. Hat er sich für die eher starre Ideologie der DDR-Regierung eingesetzt oder auch dagegen gesprochen?

 Erst einmal kämpfte er um Fuß zu fassen. Man muss sich vorstellen, es war ein völlig neues Leben, das er sich aufbauen musste. Er sagt ja selbst in dem Film, die Widersprüche Ost und West, das zerstörte Berlin, das nicht gute Aufnehmen in seiner alten Heimat Duisburg usw. haben ihn bestimmt. Sein gesamtes schriftstellerisches Wirken war rückwärtsgewandt, er hat zuerst einmal seine Vergangenheit aufgearbeitet. Er konnte gar nicht zu einem kritischen Geist werden. Er hatte sich um seine eigene Karriere gekümmert, konnte reisen, er war 1963 in den USA und weitere Reisen folgten. Seine Frau, Angela Brunner, die Malerin, war absolut davon überzeugt, im besseren Deutschland zu leben. Anfang der 1960er Jahre war sie von dem Staat noch absolut überzeugt. Walter hatte im Westen noch erlebt, wie die alten „Faschos“ am Regieren waren. Er war kein Angepasster, er war immer von allem besessen. Alles, was er schrieb hat er eins zu eins erlebt. Er hat oft Kritik bekommen, hat aber mit dem Veröffentlichen gewartet. Schreibtischtäter wechseln, der eine sagt Ja, der andere sagt Nein. So hat sich Walter ganz geschickt durchgemogelt. Hinzu kommt, dass er zu Anfang nur Englisch geschrieben hat, was auch übersetzt werden musste.

Habt Ihr mit ihm über seine alte englischsprachige Literatur gesprochen, habt Ihr überhaupt über seine Literatur von ihm erfahren?

Das war nicht unser Hauptaugenmerk, wenn es um filmische Umsetzung geht.

Walter fing bereits im Internierungslager Camp Hay an, sich sprachlich auszudrücken, short stories zu schreiben. Für die Geschichte „Simple Things“ bekam er einen wichtigen Nachwuchspreis. Das wollte er werden, Schreibender, Schriftsteller. Er war nicht nur in der Gewerkschaft, in der Seemannsgewerkschaft, sondern auch in der kommunistischen Partei. Er war damals in dieser australischen Hafenwelt ein politischer Aktivist. Er las den Arbeitern in den Pausen in den Werkskantinen seine short stories vor, wofür sie ihm ein wenig Geld gaben. Er fühlte sich dieser gesamten Arbeiterbewegung unglaublich nah. Das war seine Welt, seine Heimat. Das hat ihn auch sehr geprägt. Als junger Mensch diese Erfahrung mit dieser Gewerkschaft. Es war eine der stärksten Gewerkschaften der Welt überhaupt. Sie wollten den gesamten Hafen lahmlegen. Sie hatten die besten Löhne weltweit. Diese Kraft, die dahinter steckt, ist beeindruckend. Er wurde von ihnen unterstützt.

Aus einem armen polnischen Judenkind in Berlin wurde ein Kind der Bourgeoisie, erzählt er uns. Er wurde von der Mutter gut gekleidet, elegant gekleidet war er auch später. Er hat offenbar diesen Stil fortgesetzt.

Ja, seine gesamte Erscheinung war attraktiv. Er war von sich eingenommen und wusste um seine Ausstrahlung, konnte gut erzählen. Ein Abenteurer, ein Schriftsteller, ein Seemann war er. Er liebte gutes Essen. Nach all dem Schrecklichen, das er erlebt hat, ließ er es sich gerne gutgehen.

Das hat er bereits in seinem Elternhaus in Duisburg als Junge gelernt. In der Mulackstraße in Berlin wäre das nicht möglich gewesen. Dieses Bewusstsein zieht sich durch den gesamten Film bis in sein hohes Alter, meine ich.

Er hat Mann und Frau immer beobachtet, wie sie gekleidet sind und hat auch Kommentare dazu abgegeben. Als er dann älter und schwächer wurde in den Jahren, hat er sich jahrelang geweigert einen Gehstock zu benutzen. Das wäre für ihn das Ende gewesen. Als der Rollator kam, wurde er richtig depressiv. Dass zum Alter Gebrechlichkeit gehört, war für ihn unerträglich.

Liebevoll wurde er erzogen von den Eltern, die ihn adoptiert hatten. Er war bereits als Schüler nach England gekommen, da schrieben ihm Mutter und Vater herzzerreißende, wunderschöne Briefe. Diese Briefe werden im Film gelesen. Die Eltern hat er nie wiedergesehen, erst spät von ihrem Tod erfahren. Wie war seine Reaktion auf diese Erlebnisse. Briefe, Eltern, Tod?

Ich denke, er musste erst einmal schauen, wie er klar kommt. Er war noch sehr jung. Natürlich hat ihm das alles sehr weh getan und sehr beschäftigt, aber andererseits musste er für sich selber gucken, wie er weiterkommt. Er hat sich später manchmal Vorwürfe gemacht, dass er nicht ganz so viele Briefe an die Eltern geschrieben hat, wie sie an ihn. Aber er hat ihnen geantwortet, er hat ihnen geschrieben. Im Nachhinein kamen dann die Selbstvorwürfe. Er hat sich für die Eltern immer noch eingesetzt über Kontakte, um ihnen zu helfen. Nur waren die Möglichkeiten begrenzt. In der Phase 1944/1945 hat er Vieles verdrängt. Es war im sicherlich klar, dass das das Ende der Eltern war. Doch hat er immer noch gehofft, weil manche Theresienstadt überlebt haben. Die absolute Gewissheit bekam er 1955 durch die Dokumente, die eine Gruppe engagierter Rechtsanwälte in Duisburg zusammengetragen hatten.

Die furchtbare Geschichte mit dem Ende der Eltern, wurde immer präsenter je älter er wurde. Manchmal hat er uns damit genervt. Es ging um Mutti, Vati, Vati, Mutti…Es war herzergreifend. Diese Edition mit den Briefen ist gerade jetzt erst herausgekommen, er hat das nicht mehr erlebt.

Das ist ja wunderbar, wir können die Briefe lesen. Walter Kaufmann wäre daran zugrunde gegangen!

Hat er vielleicht manchmal darüber nachgedacht und erzählt, wie seine Eltern reagieren würden, wenn sie erfahren hätten, welch ein guter und bekannter Schriftsteller er, ihr Sohn, geworden ist?

Vati hat ihm immer wieder geschrieben, er soll auch an die praktische Seite des Lebens denken. Er hat wohl als Jugendlicher in den Briefen bereits geäußert, dass er gerne als Dichter oder Schreibender sein Geld verdienen möchte. Sein Vater war etwas skeptisch. In einem Brief schrieb der Vater: Ja, mit dem Schreiben alles gut und schön, aber verlier nie das Praktische aus den Augen, hörst Du? Vater war Jurist und dachte an das Handfeste. Vielleicht begann bereits die Vater-Sohn-Beziehung: Vati, ich zeig Dir schon, dass ich das schaffe! Dass die Briefe der Eltern in Gänze erhalten sind ist ein Glücksfall, seine Briefe gibt es nicht mehr.

Hundert Jahre alt wollte Walter Kaufmann werden, siebenundneunzig Jahre ist er geworden (1924-2021). Gewarnt hat er vor dem Rechtsruck in unserer Gesellschaft. Corona ist ein biblisches Desaster. Diese Aussagen sind die letzten von ihm in Eurem wunderbaren Film. Ich wünsche Euch, dass Ihr diesen Film in der weiten Welt zeigen könnt. Schließlich durchstreifen die Kameras viele Länder und Walter Kaufmann erzählt interessant seine Vergangenheitsgeschichten.

Dank fürs Erzählen

Weitere Informationen auf www.walterkaufmannfilm.de