Der Sammelband „Über jeden Verdacht erhaben?“ widmet sich entsprechend des Untertitels „Antisemitismus in Kunst und Kultur“. Indessen passen nicht alle Artikel direkt zum Thema und es fehlt auch in der Gesamtschau an Struktur. Gleichwohl findet man in dem Buch auch einige analytische Perlen.
Von Armin Pfahl-Traughber
Antisemitismus in Kultur und Kunst – gibt es heute noch derartige Formen der Judenfeindlichkeit? Geht es nicht um einen sozialen Bereich, der mit einer progressiven Prägung verbunden ist? Und ist man dort nicht über jeden diesbezüglichen Verdacht erhaben? Die letztgenannte Formulierung motivierte wohl auch einen Sammelband zum Thema mit dem Titel: „Über jeden Verdacht erhaben? Antisemitismus in Kunst und Kultur“. Herausgegeben hat ihn Stella Leder, die als Journalistin und Publizistin über derartige Themen schreibt. Bereits in der Einleitung macht sie darauf aufmerksam, dass sich in dem Band ganz unterschiedliche Texte finden. Und die Herausgeberin bekennt, dass der Sammelband nicht systematisch aufgebaut ist. Es gibt Abhandlungen und Erörterungen, Essays und Kommentare, Gedichte und Songtexte. Alle Beiträge behandeln im weitesten Sinne das angezeigte Thema, aber die Betonung muss hier schon auf „im weitesten Sinne“ liegen. Denn häufig werden ganz andere Inhalte zum eigentlichen Schwerpunktthema.
Nach der Einleitung der Herausgeberin folgen erst einmal ein Gedicht und Erfahrungsberichte, wonach dann von dem bekannten Antisemitismusforscher Samuel Salzborn eine interessante Betrachtung zur Shoah-Erinnerung im deutschen Film nach 1949 folgt. Deutlich macht der Autor in der bilanzierenden Gesamtschau, dass die eigentlichen Anstöße von ausländischen Filmen ausgingen, während in den deutschen Filmen die Kriegsfolgen für die nicht-jüdischen Deutschen im Zentrum standen. Man ist zunächst über eine diesbezügliche Aussage irritiert, die präsentierten Beispiele sprechen aber für die Deutung. Auch danach folgen ein Gedicht, ein Erlebnisbericht und ein Kommentar. Analytisch interessanter wird es wieder wenn der Journalist Philipp Peyman Engel kritisch in die „Süddeutsche Zeitung“ blickt, wobei die Kommentierung des Pianisten Igor Levit nur ein Thema ist. Deutlich wird, dass in der bekannten Tageszeitung nicht nur einmal, sondern häufiger antisemitisch verstehbare Karikaturen und Texten vermittelt wurden.
Danach geht es um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und die Entnazifizierung im Widerspruch, wobei dies der Antisemitismusforscher Lars Fischer anhand von zwei kleineren Fallbetrachtungen veranschaulicht. Wie es gegenwärtig mit der „Judensau“ als Kirchenkunst, also entsprechenden Bestandteilen mittelalterlicher Judenfeindschaft an Kirchengebäuden, steht, thematisiert danach der Journalist und Jurist Ronen Steinke. Er arbeitet für die „Süddeutsche Zeitung“. Insofern hätte man auch gern um seine Auffassungen um die vorgenannten Stereotype in der Tageszeitung gewusst. Denn der kursierende Antisemitismus ist ansonsten ein wichtiger Berichtsgegenstand für Steinke, was seine Artikel und Bücher immer wieder interessant verdeutlichen. Danach geht es um die jüdische Schriftstellerin Else Ury und einen Rap-Text von Ben Salomo. Und dann behandelt der studierte Theaterwissenschaftler Benno Plassmann die historische Hachschara-Bewegung, ein Netzwerk jüdischer Selbstorganisation zwischen den 1920er und 1940er Jahren ein.
Die folgenden Abhandlungen widmen sich dann dem Schicksal von Mitarbeitern der Münchener Kammerspiele in der NS-Zeit oder mit der Herausgeberin mit einem Fall von „Wiedergutmachung“, unterbrochen von einem Gedicht. Ein besonders aktuelles Thema folgt dann, wo es um die „Pluralisierung“ von Erinnerungskultur im antizionistischen Diskurs der Post-Kolonialisten in gleich zwei Texten geht. Auch das „Antifaschistische Nicht-Erinnern in der Kunstproduktion der DDR“ ist bei der studierten Literaturwissenschaftlerin Tahera Ameer ein gesondertes Thema, wobei wieder deutlich wird, dass es nicht nur auf das Analysieren des Bestehenden, sondern auch des Fehlenden ankommen kann. Gegen Ende geht es noch um die subversive Kraft des Humors, aber auch in einem Interview um das Jüdische Museum in Frankfurt. Wie die Inhaltsangabe und Kommentierung schon veranschaulichen handelt es sich tatsächlich nicht um einen strukturierten Sammelband. Nicht alle Beiträge widmen sich dem eigentlichen Thema. Man findet aber in dem Buch auch analytische Perlen.
Stella Leder (Hrsg.), Über jeden Verdacht erhaben? Antisemitismus in Kunst und Kultur, Leipzig 2021 (Hentrich & Hentrich-Verlag), 242 S., Bestellen?