Gelungene Inszenierung von „Die Jakobsbücher“ am Thalia Theater in Hamburg
Von Miriam N. Reinhard
Auf der Hamburger Bühne muss Bischof Katjen Soltyk (Stefan Stern) nicht lange überredet werden: Mit den Frankisten kann er sein Standing in Rom verbessern. Er hat einen solchen Support dringend nötig, denn er ist von zweifelhaftem Ruf. Der spielsüchtige Katholik, der auch schon mal aus Pragmatismus antisemitische Fake-News verbreitet, wenn sie ihm helfen können, diejenigen zu beseitigen, bei denen er sich verschuldet hat, ist bereit, die Frankisten zu taufen. Persönlich will er die Patenschaft für Jakob Frank (André Szymanski), ihren charismatischen Anführer übernehmen. Die Frankisten willigen ein. Jakob Frank will sie schließlich in eine neue Zeit führen und vielleicht muss der Weg zur Erlösung ja durch den Katholizismus gehen, um dann auch diese Religion schließlich „wie Schmutz von der Haut abwaschen zu können“…? Doch die Taufe führt zu neuen Identitätskonflikten: „Ich weiß nicht, in welchem Namen ich über mich selbst nachdenken soll“, stellt eine Frankistin fest, sie fühlt sich sich selbst entfremdet, als Fremdheit durch die Taufe aufgehoben sein soll. Erwartbar schützt diese die konversionsbereiten Juden auch nicht vor dem weiter grassierenden Antisemitismus: „Das Schlimmste ist, wenn etwas Fremdes in dem Gewand des Eigenen auftritt“, weiß die kaltkluge Kastellanin Katarzyna Kossakowasko (Oda Thormeyer) , die die Massentaufe initiiert hat, dann zu einer Vertrauten zu sagen.
Jakob Frank, 1726 in Korolówka geboren, wirkte nach Aufenthalten im osmanischen Reich ab 1755 in Polen, das er für das verheißene Land hielt. Sich selbst hielt er für den Messias. Das sahen die meisten Juden zwar anders, aber einige waren bereit, ihm in seiner Ansicht folgen. Frank verwarf den Talmud, polemisierte gegen die Rabbiner, lieferte dem christlichen Antisemitismus pseudotheologische Begründungen, konvertierte erst zum Islam, dann zum Katholizismus – vielleicht zuweilen auch aus lebenserhaltender Strategie, um denen zu entkommen, die er gerade gegen sich aufgebracht hatte.
„Der Messias muss etwas Fremdes an sich haben“, hören wir Nachman ben Lewi (Jirka Zett) sagen, ein glühender Verehrer Franks. Ein Fremder, ein Grenzüberschreiter, Provokateur und Verfolgter musste Jakob Frank bleiben in einer Welt, die alles in eindeutige Identitäten und Bedeutungen überführen will.
Olka Tugarczuk hat die Geschichte des charismatischen Anführers in ihrem 2014 erschienen Roman „Die Jakobsbücher“ erzählt, für den sie 2018 den Literaturnobelpreis erhielt. Nun hat sie Ewelina Marciniak– angelehnt an die Romanvorlage – im Hamburger Thalia-Theater inszeniert. Sie bringt den Roman in Fragmenten auf die Bühne, manches ist wörtlich in den Bühnentext übernommen und wird szenisch umgesetzt, manches wird vorgelesen, manches erweitert und aktualisiert.
Das aufwendige Bühnenbild von Mirek Kaczmarek ist mal düster, mal unheimlich, zuweilen auch schwer zu decodieren, manchmal mit witziger Requisite, vieldeutig, wie all das, das in diesem Raum verhandelt wird. Fast immer wird der Bühnenraum als Ganzes bespielt, selten kommt es nur auf die Dialoge an, es gibt Musik, Choreographien und Tanz. André Szymanski glänzt in der Rolle des Jakob Frank. Er spielt Frank wie einen von sich selbst überzeugten Philosophen, der cool eine Community zusammenhält, dabei auch selbstgerecht, machohaft und rücksichtslos agiert, wenn ihn die Sorgen seiner Gemeinschaft nicht zu interessieren scheinen. Auch Stefan Stern überzeugt in der Doppelrolle des zuweilen leicht garstigen Rabbi Pinkas und des verschlagenen Bischofs Soltyk. Oda Thormeyer ragt nicht nur mit einer Turmfrisur heraus: In der Rolle der exzentrischen Kastellanin Katarzyna Kossakowasko brilliert sie durch Präzision: Überzeugung, Taktik, schließlich auch Leid, eiserne Selbstbeherrschung und Kontrollverlust können dicht beieinanderliegen – nicht jeder kann diesen Übergang so hervorragend markieren wie Thormeyer es tut.
So ist mit einem durchgehend hervorragenden Ensemble und einer intelligenten Inszenierung der lange Theaterabend (3 ½ Stunden mit Pause) kurzweilig und abwechslungsreich und lädt zum Nachdenken über letzte Fragen ein. Antworten auf sie sollte man allerdings nicht erwarten. Die letzten Dinge können auch hier nicht abschließend geklärt werden, denn, „die Welt braucht Übersetzer, um auf die Beine zu kommen“. Übersetzung bedeutet immer, die Fremdheit des zu Übersetzenden weiter zu tradieren.
„Die erlöste Welt wird eine Zwischenwelt sein“, erfahren wir, eine Welt also, die im Über-Gang des Über-Setzens bleibt. Eine Welt, in der Fremdheit Identität ohne Defizit ist. Vielleicht praktizieren dann aber auch die selbsternannten männlichen Heilsbringer zuweilen Erlösungsboykott, wenn ihre Selbstherrlichkeit sich nur noch bedingt übersetzungsbereit zeigt, weil auch der eigene Standort weiter übersetzt werden müsste. Ewelina Marciniak bietet uns auch diese Perspektive an.
„Die Jakobsbücher“ am Thalia Theater ist rundum sehenswert. Besonders für jene, die glauben, dass sie all das schon verstanden haben.
Weitere Aufführungstermine im Thalia-Theater Hamburg:
November 2021, 19 Uhr
November 2021, 19 Uhr
Tickets und weitere Informationen:
https://www.thalia-theater.de/stueck/die-jakobsbuecher-2020
Foto: Krafft Angerer